Wenn sich Magnus Carlsen und Sergej Karjakin im South Street Seaport von New York an den Tisch setzen, schaut die ganze Schachwelt zu. Auch die gesamte Weltelite ist dabei, als TV-Experten, Liveticker-Kommentatoren oder eifrige Schreiber von Twitter-Nachrichten. Am Dienstag dauerte es nicht lange, da blickten sie alle recht perplex auf die Vorgänge in New York. Konnte das wirklich die zwölfte und letzte Partie um die Schach-WM sein?
Wäre es nicht verboten, Carlsen und Karjakin hätten vermutlich schon nach einer Viertelstunde in ihr Unentschieden eingewilligt. Doch sie müssen 30 Züge absolvieren und die dauerten dann doch 35 Minuten lang. Dann war es vorbei. Handschlag, Ciao, wir sehen uns am Mittwoch. Denn das zehnte Remis (plus je einem Sieg) bedeutet, dass dieses Duell um die Weltmeisterschaft in den Tiebreak geht.
Praktisch alle hatten mit einem letzten Großangriff des Titelverteidigers gerechnet, Magnus Carlsen führte schließlich die weißen Figuren. Doch er hob nur die Schultern: "Es gibt nicht viel zu sagen. Viele Figuren wurden getauscht und wir haben Remis gespielt. Ich entschuldige mich bei den Fans, die von uns eine längere Partie erwartet haben." Aber er habe nicht das Gefühl gehabt, dass es der Tag gewesen sei, um viel aufs Spiel zu setzen.
Es wirkte fast, als müsse Carlsen noch zu einer dringenden Verabredung. Er eröffnete die Partie mit der sogenannten spanischen Variante, dem wohl gängigsten Beginn im aktuellen Spitzenschach. Und Karjakin setzte die häufigste Reaktion entgegen: die Berliner Verteidigung, auch die Berliner Mauer genannt. Da Carlsen nichts unternahm, um diese Stellung aufzubrechen, kam es recht schnell zum eifrigen Figurentausch. Und zum Ende.
Karjakin sieht "gewisse Unsicherheit" bei Carlsen
Karjakin wirkte nach der Partie erfreut: "Ich habe Schwarz gespielt, ich bin zufrieden mit dem Remis." Russische Journalisten zitierten ihn später so, dass er in dem schnellen Unentschieden eine Schwäche seines Gegners sehe. "Wenn man Weiß hat, verfügt man über einen kleinen Vorteil, aber er versuchte nicht einmal, das zu nutzen. Ich erkenne eine gewisse Unsicherheit bei Magnus, denn wenn er sich in einer guten Situation befunden hätte, hätte er auf Sieg gespielt."
Doch Carlsen gab sich entspannt, als würde alles einem höheren Plan folgen. Bei einem Fußballballspiel sei die Partie jetzt in der Verlängerung: "Ich verstehe, dass es frustrierend ist, wenn die Mannschaften in den letzten Minuten der regulären Spielzeit keinen Treffer mehr zu erzielen versuchen." Er sei nicht stolz auf die Partie, aber für das Publikum gebe es am Mittwoch wohl eine Kompensation. Dies sahen auch die Veranstalter in New York so und gaben sogleich bekannt, dass die Eintrittskarten für die zwölfte Partie auch für den Tiebreak gültig seien.
Der Norweger rechnete sich in dem Tiebreak-Modus bessere Chancen aus, seinen Titel verteidigen, als alles auf die letzte Normal-Partie zu setzen. "Das hatte Magnus geplant. Er wusste, was er wollte", sagt sein Manager Espen Agdestein norwegischen Medien.
Tiebreak: Schnellschach, Blitzschach, Armageddon
Am Mittwoch beginnt der Tiebreak um 20 Uhr MESZ (Liveticker auf SZ.de) mit vier Schnellschach-Partien: Jeder Spieler hat 25 Minuten Bedenkzeit plus zehn Bonussekunden pro Zug. Carlsen meinte dazu: "Das ist viel Zeit, wir spielen immer noch normales Schach." Endet diese Phase mit einem 2:2, treten die beiden anschließend zu fünf Mal zwei Partien im Blitzschach an. Die Spieler verfügen dann nur über fünf Minuten Bedenkzeit plus drei Bonussekunden pro Zug.
Nach jeder Runde mit zwei Partien kann der Weltmeister feststehen, nur wenn alle fünf Runden Unentschieden enden, kommt es zur sogenannten Armageddon-Partie. Dabei hat der Spieler mit den weißen Figuren fünf Minuten Bedenkzeit, der Gegner nur vier. Allerdings würde bei einem Remis Schwarz zum Weltmeister werden. Karjakin wäre es lieb, es ginge nicht bis zum Schluss: "Hoffentlich kommt keine Armageddon-Partie, das wäre ein bisschen zu viel."
Carlsen fühlt sich wohl im schnellen Schachspiel. Er war Weltmeister im Schnellschach 2014 und 2015 sowie Weltmeister im Blitzschach 2009 und 2014. Doch auch Sergej Karjakin war 2012 Weltmeister im Schnellschach. Zudem hat sich der Russe den Ruf erworben, unter Druck Nerven aus Stahl zu besitzen.
Am Ende könnte auch das Datum der Grund dafür gewesen sein, dass Carlsen den Showdown für kommenden Mittwoch provoziert hat - es ist sein 26. Geburtstag. Darauf angesprochen, grinste er breit. Bislang hat er zwei Partien auf höchstem Niveau an seinem Ehrentag bestritten, sagte Carlsen - eine hat er mit Weiß gewonnen, eine mit Schwarz trotz schwieriger Stellung noch ins Remis gerettet. "Meine Erfahrungen damit sind bislang gut."