Schach:Der Kronprinz stolpert

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Brauchte dringend ein paar Punkte für die Weltrangliste: Der iranisch-franzözische Großmeister Alireza Firouzja mischte sich zum Jahreswechsel unter Amateure. (Foto: Pierre-Philippe Marcou/AFP)

Alireza Firouzja gilt als neuer Wunderknabe der Schach-Welt, Magnus Carlsen will seinen WM-Titel am liebsten gegen den 19-Jährigen verteidigen. Doch es gibt ein Problem: Der Irano-Franzose ist drauf und dran, die Qualifikation zu verpassen.

Von Johannes Aumüller, Madrid/München

Nach 20 Zügen entschied sich Alireza Firouzja für ein Opfer. Er gab seinen Turm her und bekam nur einen Läufer zurück. Grundsätzlich ist das im Schach ein schlechter Tausch, aber in manchen Situationen hilft das den Großmeistern trotzdem, ihre Position auf dem Brett zu verbessern. Nun wirkte die Aktion wie der letzte Versuch des 19-Jährigen, das Turnier noch zu seinen Gunsten wenden zu können - doch sie führte zu nichts. Sein Gegenspieler Fabiano Caruana parierte den Plan, und so gab es ein paar Züge später Firouzjas nächste Niederlage beim Kandidatenturnier von Madrid, in dem dieser Tage acht Großmeister den nächsten Herausforderer von Dauerweltmeister Magnus Carlsen ermitteln.

Damit ist Firouzja nach sechs von 14 Runden mit nur zwei Pünktchen Letzter und der Turniersieg schon in diesem Stadium nahezu unmöglich geworden. Nichts ist normaler, als wenn ein 19-Jähriger bei seinem ersten Kandidatenturnier noch nicht ganz vorne mitmischt, aber rund um diesen Alireza Firouzja ist im Schachsport nur wenig normal. Schon seit geraumer Zeit gilt er als der absolute Wunderknabe seiner Generation, die ganze Szene sieht in ihm einen künftigen Weltmeister und sehnt sich nach einem WM-Kampf zwischen Firouzja und Carlsen. Und nicht zuletzt der norwegische Schachkönig höchstselbst wies ihm eine besondere Rolle zu.

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Unverhohlen gab Carlsen im Vorjahr zu verstehen, dass ihn die jüngsten WM-Kämpfe ein wenig ermüdet hätten - aber auf ein Match mit Firouzja, da freue er sich. Diese Haltung ging sogar so weit, dass er im Gespräch mit der norwegischen Zeitung VG eine bemerkenswerte Ansage machte: "Wenn jemand anderes als Firouzja das Kandidatenturnier gewinnt, ist es unwahrscheinlich, dass ich die nächste Weltmeisterschaft bestreiten werde."

Firouzja kommt aus Iran, seit 2021 startet er für Frankreich

Der Hype kommt nicht von ungefähr, Firouzja hat in seinen jungen Jahren eine wahrhaft imposante Karriere hingelegt. Gebürtig stammt er aus Babol, einer nordiranischen Stadt am Kaspischen Meer, schon mit 14 stieg er zum Großmeister auf. Weil Iraner aufgrund der staatlichen Vorgaben nicht gegen israelische Athleten antreten dürfen und er deswegen wichtige internationale Turniere verpasste, wandte sich Firouzja vom dortigen Verband ab. Seit 2021 startet er für Frankreich, und er steigerte sich zuletzt noch einmal sehr. Im Vorjahr knackte er in der im Schach maßgeblichen Elo-Wertung, mit der die Stärke von Spielern gemessen wird, als bis dahin jüngster Akteur überhaupt die 2800er-Marke, in der Weltrangliste ist er inzwischen Dritter. Die Schachszene schätzt ihn für einen aggressiven und dynamischen Stil, aber nun in Madrid wirkt es bisweilen so, als agiere er angesichts der großen Erwartungen etwas zu aggressiv und zu verbissen auf der Suche nach dem Sieg.

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Statt Carlsens Wunschgegner schlagen sich beim Qualifikationsturnier bisher just der Russe Jan Nepomnjaschtschi (4,5 Punkte) und der Amerikaner Fabiano Caruana (4) am besten - die beiden Großmeister, die Carlsen bei den beiden vergangenen Titelkämpfen herausforderten, die den Weltmeister langweilten. Nepomnjaschtschi begann im Vorjahr zwar recht ordentlich, verpasste aber in einer epischen Partie den Gewinnzug und brach danach so brutal ein, dass er das Duell mit 3,5 zu 7,5 verlor. Und Caruana agierte 2018 so defensiv, dass alle zwölf regulären Partien mit einem Remis endeten - wobei Carlsen im Schnellschach-Tiebreak keine Mühe hatte. Dass Carlsen im Rahmen eines WM-Zweikampfs eine Partie verlor, geschah zuletzt 2016 gegen den Russen Sergej Karjakin, der fürs Kandidatenturnier in Madrid qualifiziert war, aber wegen seiner demonstrativen Unterstützung für Russlands Staatspräsidenten Wladimir Putin und den Überfall auf die Ukraine für sechs Monate gesperrt wurde.

Dankt König Carlsen also bald ab? Nun, der Norweger hat schon öfter damit kokettiert, die WM-Bürde lieber los zu sein, weil ihm das Format missfällt, und trat dann doch wieder an. Er hat die Ankündigung zuletzt auch nicht mehr wiederholt, und schräg wirkt es ja ohnehin, wenn sich ein Weltmeister seinen Gegner quasi aussuchen würde. Aber einen wahren Kern dürfte seine Äußerung schon gehabt haben, und so liegt über dem laufenden Kandidatenturnier zumindest die Frage, ob sich am Ende nicht sogar der Erste und der Zweite des Achterfeldes für den nächsten WM-Kampf qualifizieren können - falls Carlsen tatsächlich zurückzieht.

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