Schach:Ein Elfjähriger in der Nationalmannschaft

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Ein ganz normaler Elfjähriger - mit einem außergewöhnlichen Talent: Hussain Besou debütiert für die deutsche Schach-Nationalmannschaft. (Foto: Thilo Schmuelgen/Reuters)

Im Schach können Kinder schon früh herausragende Leistungen bringen. Aber so früh? Das syrische Flüchtlingskind Hussain Besou gibt sein Debüt im deutschen Nationalteam - dank einer besonderen Ausbildung.

Von Mona Marko

Als der Dortmunder Youssoufa Moukoko im Herbst erstmals für die Fußball-Nationalmannschaft antrat, war die Aufregung groß. Gerade 17 Jahre war der BVB-Angreifer alt, nur drei weitere Spieler waren bei ihrem Debüt für die DFB-Elf um wenige Wochen und Monate jünger.

In dieser Woche nun gibt Hussain Besou sein Debüt für die deutsche Nationalmannschaft. Im Schach - und mit gerade mal elf Jahren. Damit ist er der jüngste Nationalspieler in der Geschichte des Deutschen Schachbundes (DSB). Bisher lag dieser Rekord bei Vincent Keymer, dem heutigen deutschen Topspieler, der als knapp 13-Jähriger erstmals für den DSB spielte.

Zwar hat die Nationalmannschaft im Schach nicht denselben Stellenwert wie in anderen Sportarten. Viele Großmeister würden ein lukratives Einzelturnier einem solchen Teamevent vorziehen. Aber ein Debüt mit elf - das ist schon erstaunlich.

"Es gibt im Schach fast schon so etwas wie ein imaginäres Rennen. Es geht immer um das Jünger- und Noch-Jünger-Sein", sagt Bundesnachwuchstrainer Bernd Vökler, der sich mit Besou eingehend beschäftigt und ihn nun in den Nationalkader berufen hat. Auch im Ausland werden Kinder früh in Schach-Kader aufgenommen. Randa Sedar aus Palästina und Vahap Şanal aus der Türkei etwa waren beide acht Jahre alt, als sie debütierten. Der jüngste Großmeister der Schachgeschichte, der Amerikaner Abhimanyu Mishra, war zwölf Jahre und vier Monate alt, als er die Auszeichnung erhielt.

Besou kommt aus Syrien. Weil sein Vater das Regime kritisierte, musste die Familie fliehen

Besou ist in Riad geboren. Als er fünf Jahre alt war, musste er mit seinen Eltern und seinen vier Geschwistern nach Deutschland fliehen, weil der Vater die Regierung in Damaskus kritisierte und seitdem vom Assad-Regime verfolgt wurde.

Schon in jungen Jahren sah Besou seinem Vater und Großvater beim Schach zu, mit vier lernte er das Spiel. Bald darauf wurde er Jugendvereinsmeister im LSV/Turm Lippstadt, als Neunjähriger gewann er die deutsche U12-Meisterschaft. Im März 2023 lag er schon auf Platz zwei der Weltrangliste der U12.

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"Ich möchte Großmeister werden", sagt Besou im Videotelefonat. Kurze braune Haare, Brille, grüner Kapuzenpullover, einsilbige Antworten, verschmitztes Lächeln und die in dem Alter klassischen Hobbys: "Fußball spielen und Lego bauen." Ein ganz normaler Elfjähriger eben. Ein Kind.

Als ein solches hat auch Vökler ihn 2018 bei der Jugend-EM in Riga kennengelernt. Besou war damals sieben Jahre. "Es war katastrophal, er war alles andere als bereit", sagt der Trainer: "Nach jeder Partie, die er verloren hat, hat er mit Figuren um sich geworfen." Wenn Besou zwei Stunden Bedenkzeit gehabt habe, erzählt Vökler, habe er den Zug trotzdem schon innerhalb von fünf Minuten gespielt und dadurch einige Partien verloren, die er hätte gewinnen müssen. "Trotzdem hat man gleich gesehen, dass er ein Riesentalent ist", sagt Vökler.

Mit seiner Familie spielt Besou nicht mehr. "Das ist langweilig, da gewinne ich eh immer"

Seit damals hat Besou laut Vökler einen rasanten Entwicklungsschub gemacht. Den Grund sieht er vor allem im Grundlagentraining, das Besou während der Corona-Pandemie in der Schachakademie von Artur Jussupow absolviert hat. Jussupow ist Großmeister und vertritt die russische Schachschule, in der großen Wert auf das Positionsverständnis gelegt werde, wie Vökler erklärt. Es gehe da mehr um das Gesamtbild. In Deutschland werde das für gewöhnlich anders gehandhabt und stünden konkrete Fragen im Vordergrund: Welcher Zug ist der richtige? Wie berechne ich die Varianten? Was genau muss ich machen?

Wenn Kinder so früh so stark auftreten, dann erwachsen besondere Pflichten für Trainer und Umfeld, angemessen damit umzugehen. Besou trainiert jeden Tag. Unter der Woche eine Stunde. Am Wochenende und in den Ferien drei bis vier Stunden. Meistens übt er mit Büchern und löst Aufgaben. "Ich würde nicht sagen, dass ich mich aufs Üben freue, mir machen die Turniere und das richtige Schachspielen mehr Spaß", sagt Besou. Mit seiner Familie könne er aber nicht mehr spielen: "Das ist langweilig, da gewinne ich eh immer", sagt er und lacht.

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Analysiert von Großmeister Stefan Kindermann

Wie ist es möglich, dass Kinder heutzutage auf so hohem Niveau Schach spielen können? Stefan Kindermann, österreichischer Großmeister und Schachexperte, der für die SZ unter anderem die aktuellen WM-Partien analysiert, nennt mehrere Gründe für diese Entwicklung. Zum einen würden heutzutage schon fünf- und sechsjährige Talente intensiv gefördert und von hochkarätigen Trainern betreut. "Und außerdem haben wir durch die Computertechnik heute Zugriff auf das gesamte menschliche Wissen, das es im Schach gibt", sagt Kindermann. Viele kommentierte Schachpartien sind im Internet zu finden, gigantische Datenbanken voll mit menschlichem Schachwissen, mit Varianten und Zügen.

"Für Schachwunderkinder ist Schachspielen wie Zähneputzen."

"Früher war das alles Geheimwissen. Man musste sich das durch jahrelanges Spielen erarbeiten", sagt Kindermann. Durch die Mischung aus technischen Voraussetzungen und der kindlichen Intuition können Kinder heute mit sehr erfahrenen Schachspielern mithalten. "Für Schachwunderkinder ist Schachspielen wie Zähneputzen."

Der Mitropa-Cup, der vom 11. bis 20. April in Kroatien stattfindet und bei dem Besou fürs deutsche Nationalteam antritt, wird dennoch eine Herausforderung. Besou wird am vierten Brett spielen. "Es werden einige Gegner stärker sein, Hussain wird teilweise auch gegen Großmeister spielen", sagt Vökler. Immerhin schicken manche der zehn teilnehmenden Nationen ihre besten Spieler. Deutschland mache das nicht, um den Jüngeren eine Chance zu geben. "Dass der Jüngste dieses Mal ein Elfjähriger ist, ist Zufall", sagt Vökler. Er tut so, als wäre es das Normalste der Welt.

Ein Zufall, der Besou plötzlich auch über die Schachwelt hinaus bekannt gemacht hat. Derzeit gibt er fast jeden Tag Interviews, das Fernsehen war schon bei ihm. "Mir macht das so Spaß. Ich liebe es, über mich zu lesen", sagt Besou und lacht. Wenn er weiterhin so Schach spielt, wird er noch viel zu lesen haben.

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