SC Paderborn vor Bayern-Spiel:Nadelstiche aus der Nische

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Grüße vom Tabellengipfel: Paderborns Elias Kachunga wurde lange herumgereicht, in Paderborn wurde er zum Leistungsträger. (Foto: Oliver Krato/dpa)

Der lange belächelte SC Paderborn ist Tabellenführer der Bundesliga. Der Erfolg fußt auf Talenten wie Elias Kachunga, die erst in Ostwestfalen ihre Reife zeigen. Nun rechnen sich die Paderborner auch gegen den FC Bayern Chancen aus.

Von Ulrich Hartmann, Paderborn

Den Bus des aktuellen Bundesliga-Tabellenführers kann jeder mieten. Mit "Bordtoilette, Satelliten-TV, Espressomaschine und drei Kühlschränken" bietet der SC Paderborn sein Mannschaftsgefährt für "Ausflüge mit besonderer Note" an - freilich nach Terminabsprache.

Wenn der elegante schwarze Bus an diesem Dienstagabend in die Fröttmaninger Arena im Münchner Norden einfährt, spuckt er allerdings keine Touristen aus. "Wir kommen nicht, um nur Fotos mit den Weltmeistern zu schießen", sagt der Mann, der gewöhnlich in der vordersten Reihe sitzt. Der Trainer André Breitenreiter führt den Aufsteiger als Tabellenprimus zum Spiel beim FC Bayern. Der 40-Jährige ist vom Saisonauftakt seiner Mannschaft aber offenkundig längst nicht so überrascht wie der Rest der Republik.

Es war Anfang August, knapp drei Wochen vor dem Saisonstart, als Breitenreiter nach einem Vormittagstraining sagte: "Ich sehe manchmal Bilder vor meinem inneren Auge - und ich sehe dieses Bild, dass wir nach vier Spielen mit sieben Punkten zum Spitzenspiel nach München fahren." Er sagte das damals ohne Anflug von Ironie oder Spaß.

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:83 Meter bis zur Tabellenspitze

Moritz Stoppelkamp beschert dem SC Paderborn mit einem Rekordtor die Bundesliga-Tabellenführung. Pierre Emile Højbjerg verärgert Trainer Pep Guardiola. Und in Köln vollbringt ein Torwart Historisches. Die SZ-Elf des 4. Spieltags.

Sieben Wochen später gastiert der SC Paderborn nun beim FC Bayern, und es ergibt sich nun doch eine gewisse Unschärfe in den seherischen Fähigkeiten von Breitenreiter, denn seine Mannschaft hat nach vier Spielen nicht die prophezeiten sieben Punkte. Sondern acht. Die Paderborner kommen mit zwei Unentschieden gegen Mainz (2:2) und Köln (0:0) sowie zwei Siegen gegen Hamburg (3:0) und Hannover (2:0) als unbesiegter und seit viereinhalb Stunden gegentorloser Tabellenführer zum Meister nach München. "Wir wollen das Spiel genießen", sagt Breitenreiter, aber nicht nur das.

"Karamba - Karacho - Kachunga"

Als er im August manchmal diese verblüffenden Bilder vor seinem inneren Auge sah, da ahnte er schon, warum. Er wusste ja, dass er sich auf den Enthusiasmus und den Fleiß seiner Spieler verlassen konnte. Und wohl auch darauf, dass in Paderborn mancher Akteur sein Potenzial entfaltet, das anderswo unentdeckt blieb.

Da wäre zum Beispiel der 22-jährige Stürmer Elias Kachunga, der in den bisherigen vier Spielen schon drei Tore schoss. "Karamba - Karacho - Kachunga", hatte die Regionalzeitung Neue Westfälische bereits vor einem Jahr behauptet, als sich Kachunga im Sommer 2013 eine gute Zweitliga-Saison vornahm.

Jene Saison endete für den Abstiegskandidaten Paderborn mit dem sensationellen Aufstieg in die Bundesliga, in der Kachunga am 24. August 2014 um 16.07 Uhr das historische erste Bundesliga-Tor des SC Paderborn schoss. Weil er auch eine Woche später das erste Paderborner Tor zum 3:0-Sieg beim Hamburger SV beisteuerte und am Samstag zum ersten Bundesliga-Heimsieg gegen Hannover das 1:0, steht Kachunga im Moment symbolisch für all jene Paderborner Zweitliga-Helden, denen viele nach dem Aufstieg eine Degradierung auf die Ersatzbank prophezeit hatten.

Kachunga wurde 1992 als Sohn einer Deutschen und eines Kongolesen in Köln geboren. Der Stürmer mit dem herrlich lautmalerischen Namen spielte bei kleinen und größeren Klubs im Rheinland, bevor er 2005 ins Internat von Borussia Mönchengladbach ging. Wer dort aufgenommen wird, hat beste Chancen auf eine Profi-Karriere, aber die Gladbacher liehen Kachunga mehrfach aus: im Januar 2012 an den Drittligisten VfL Osnabrück, im Juli 2012 an den Zweitligisten Hertha BSC Berlin und im Januar 2013 an den Zweitligisten Paderborn.

Hin und hergeschoben wie ein Spielstein

Kachunga, der sämtliche Junioren-Nationalteams des Deutschen Fußball-Bunds durchlaufen hat, wurde hin- und hergeschoben wie ein Spielstein auf einem Brett. Er ist deswegen nicht böse. "Ich habe überall dazugelernt", sagt er diplomatisch, genießt den Erfolg und sieht das Ende der Paderborner Entwicklung noch nicht erreicht: "Wir stehen erst am Anfang, da kann noch einiges kommen." Für 300 000 Euro hat Paderborn ihn im Sommer aus Mönchengladbach verpflichtet.

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Kachunga ist nur einer von mehreren Akteuren, die sich zuvor bei anderen Klubs nicht hatten durchsetzen können. Auch Torwart Lukas Kruse (Dortmund und Augsburg), Jens Wemmer (Wolfsburg), Mario Vrancic (Mainz, Dortmund), Marvin Bakalorz (Dortmund und Frankfurt) Michael Heinloth (Nürnberg), Daniel Brückner (Bremen), Lukas Rupp (Gladbach) oder Stefan Kutschke (Wolfsburg) fielen anderswo durch und zeigen erst jetzt in der Nische Paderborn ihre Bundesliga-Reife.

Trainer Breitenreiter glaubt auch vor dem Gastspiel in München, dass sein Team Chancen hat. "Wenn wir hinten gut stehen, können wir vorne immer für Nadelstiche sorgen." Drei solcher Nadelstiche hatte Paderborn beim 3:0 in Hamburg gesetzt, zwei beim 2:0 gegen Hannover. Drei Mal blieb Paderborn ohne Gegentor, erzielte in vier Spielen aber schon sieben Treffer. Ein Trainer mit seherischen Fähigkeiten führt sein Team mit sieben Nadelstichen an die Spitze: Diese ostwestfälische Akupunktur macht derzeit die Magie des Paderborner Erfolgs aus.

© SZ vom 23.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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