SC Freiburg:Breisgau-Berserker

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"Warum sollten wir nicht dahin schauen?" Bei nur drei Punkten Abstand zu den Europapokal-Plätzen darf man schon mal einen Blick riskieren, findet SC-Kapitän Christian Günter (am Ball). Gegen Augsburg war der Verteidiger einer von sieben Freiburgern, die eine gelbe Karte sahen. (Foto: Herbert Rudel/Imago)

Wille schlägt Talent: Die einst als verzärtelt geltenden Freiburger erarbeiten sich mit robustem Einsatz die Option auf Spiele im Europapokal. Gegen Augsburg geht Kapitän Christian Günter als Vorbereiter voran. Nur der Trainer bremst.

Von Christoph Ruf, Freiburg

Für den Geschmack von Christian Streich haben sich seine Spieler nach dem 2:0-Sieg gegen Augsburg etwas zu euphorisch zur näheren Zukunft geäußert. Keeper Florian Müller etwa, der sich gegen eine künftige Europapokal-Teilnahme doch tatsächlich "nicht wehren" wollte. Oder Christian Günter, der den geringen Abstand auf die schwächelnden Leverkusener auf Rang sechs nachgerechnet hatte: "Warum sollten wir nicht dahin schauen? Es sind drei Punkte." Streich hingegen wollte es bei der Freude über einen Klassenerhalt belassen, den nun auch er bei 37 Punkten für einigermaßen wahrscheinlich hält. Und mahnte den Blick in den Rückspiegel an: "Jetzt kicken wir einfach mal weiter. Ich glaube auch nicht, dass wir die letzten Wochen so gespielt haben, dass wir da Ambitionen anmelden könnten."

Das stimmt allerdings. Gegen Leipzig (0:3) war der Sportclub chancenlos und beim 0:1 gegen Union nicht gut. Und selbst ein 2:1-Sieg in Leverkusen hilft nicht, wenn man wie beim 0:1 gegen Mainz auch noch körperlich unterlegen ist. Denn das ist etwas, das Streich seinen Spielern nicht durchgehen lässt. Dass die im Schnitt nicht sonderlich großen Spieler mal ein Kopfballduell verlieren, ist eingepreist, muss aber durch entsprechende Biestigkeit am Boden wettgemacht werden. Gegen den FCA klappte das wieder, Streich konnte "den Willen zu arbeiten und zu fighten" loben.

Die Realität passt also eigentlich weder auf noch neben dem Platz gut zum seit den Zeiten von Volker Finke (1991-2007) unausrottbaren Klischee von den "Breisgau-Brasilianern", einer lustigen Studentengruppe, die zwischen Hegel und Poststrukturalismus-Diskussion ein wenig den Ball kreisen lässt. Heute kommen zwar noch der Trainer und der Sportvorstand mit dem Fahrrad zum Stadion. Doch das dürfte in der vereinsinternen Ökobilanz allein schon durch das 600-PS-Auto von Stürmer Ermedin Demirovic konterkariert werden.

Freiburg bezwingt seine Gegner mit enormer Laufarbeit und taktischer Disziplin - und unter Christian Streich auch mit einer Portion Härte

Auch was das Fußballerische betrifft, tut Entmystifizierung not. Streich hat jüngst sehr energisch betont, dass seine Mannschaft immer zu denen zählen werde, die den Ball haben wollen. "Schnelles Umschalten", oft ja nur Trainerseminar-Lyrik fürs gute alte Sich-hinten-reinstellen, wäre ihm dann doch zu unbrasilianisch. Und dennoch gehört auch der SC zu den Mannschaften, die in den meisten Spielen unter 50 Prozent Ballbesitz haben und die Gegner gar nicht mal so selten mit enormer Laufarbeit und taktischer Disziplin bezwingen. Auch deshalb hat Streich noch in jeder Saison ein, zwei Spieler in seiner Startformation gehabt, die wie die Berserker ackern, bei den meisten anderen Erstligatrainern aufgrund ihrer technischen Defizite aber nicht spielen würden.

Der Sieg gegen den FCA kam dann auch nicht zuletzt deshalb zustande, weil sich beide Mannschaften in ihrer Entschlossenheit, jeden gegnerischen Angriff mit einem Foul zu unterbinden, in nichts nachstanden. Sieben gelbe Karten hatte am Schluss allein der SC gesehen, der noch vor ein paar Jahren mit dem Ruch leben musste, Zweikämpfe ein wenig verzärtelt zu führen. In einem Land, in dem "Schönspielerei" als ernstzunehmender Vorwurf gilt, wird man eben nicht ungestraft "Breisgau-Brasilianer" genannt.

Mann des Tages war am Sonntag dann auch ein Akteur, der wie kein Zweiter für den SC unter Streich steht. Zöge sich Christian Günter ein Trikot der Seleçao an, er müsste im Mannschaftskreis ganz gewiss mit Spott rechnen. Günter kam vor 15 Jahren als 13-Jähriger zum SC, er hat auf dem Weg vom heimischen Tennenbronn nach Freiburg Tausende Stunden verbracht und im Regionalexpress seine Hausaufgaben gemacht. Trotz seines Fleißes hätte es anderswo wohl nicht zur Profikarriere gereicht. Doch sein A-Jugendtrainer, der heute sein Profitrainer ist, fand, dass ihm zu einer steilen Bundesligakarriere vielleicht das Talent fehle, ganz gewiss aber nicht der Wille, dieses Manko durch viel Einsatz auszugleichen. Günter selbst zitiert den Spruch "Wille schlägt Talent", wenn man ihn auf seine Geschichte anspricht.

Dass der einst schmächtige Günter, längst Kapitän seiner Mannschaft, in den vergangenen Jahren viel gearbeitet hat, sieht man ihm am Brustumfang an. Am Sonntag hat Günter beide Freiburger Tore vorbereitet. Eines davon, nachdem er von der linken Außenbahn geradezu wütend nach innen geprescht war und dabei vier, fünf Augsburger stehen ließ, die dabei so ehrfürchtig wirkten, als würden sie Günter nach dem Spiel um ein Autogramm bitten wollen. Dass er mit seiner Schnelligkeit und Dynamik zu den besten deutschen Linksverteidigern gehört, hat sich herumgesprochen. Dem Vernehmen nach auch bis zu Vereinen, für die eine Europapokal-Teilnahme kein Grund wäre, den besten Champagner aus dem Keller zu holen. Seinen Vertrag in Freiburg hat Günter vergangene Woche dennoch mit einer schlichten Erklärung verlängert: "Hier passt es."

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