Sané beim FC Bayern:Wie die ZDF-Romanze am Sonntagabend

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Im Fußballer-Jargon "Höchststrafe" genannt: Der zuvor eingewechselte FC-Bayern-Angreifer Leroy Sané wird wieder ausgewechselt. (Foto: Inderlied/Kirchner/imago images)

Trainer, Mitspieler und Klubbosse versuchen, Leroy Sané nach dessen Ein- und Auswechslung wieder aufzubauen. Hansi Flick sagt: "Er bekommt all unsere Unterstützung."

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Seit seiner Einwechslung in der 32. Minute war Leroy Sané noch nicht länderspielreif in Aktion getreten, aber dieser Konter kurz vor der Pause war geeignet, sein Ansehen zu heben: Die beiden Gegenspieler hatte er abgeschüttelt wie Detektiv Rockford, der die Gauner an der roten Ampel stehen lässt, er beschleunigte im fünften Gang, trieb den Ball durchs Zentrum in die gegnerische Hälfte und hatte nun gegen die Leverkusener Unterzahldeckung einen Strauß von Möglichkeiten: abspielen in drei Varianten oder selbst gehen.

Sané entschied sich für einen Pass auf Serge Gnabry, was nicht die mutigste, aber auch nicht die schlechteste Idee war. Doch dort, wohin er den Pass leitete, war nicht mal der Schatten von Gnabry zu entdecken. Der Ball rollte gemütlich ins Aus, und sein Urheber ließ enttäuscht die Schultern sinken.

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Als Karl-Heinz Rummenigge am nächsten Tag in der TV-Sendung "Doppelpass" befand, der 24 Jahre alte Angreifer sei "noch nicht in diesem Bayern-Gen angekommen", ging es weder um dieses verirrte Ende eines aussichtsreichen Konters oder die anderen verfehlten Aktionen an diesem Abend, die einen insgesamt unguten Auftritt ergaben. Sondern ums große Ganze: um den Anspruch und die Befähigung des Nationalspielers, ein Bayern-Spieler zu sein.

"Wenn wir wechseln, müssen wir das sinnvoll machen"

Den Anlass zur Grundsatzdebatte hatte Hansi Flick geliefert, indem er den in der 32. Minute eingewechselten Sané in der 68. Minute wieder vom Feld nahm. Für diesen radikalen Trainerbeschluss gibt es im Fußball den Begriff "Höchststrafe", der ebenso automatisch verwendet wird wie das Wort "lupenrein", wenn ein Spieler binnen einer Halbzeit drei Tore hintereinander erzielt. Im Falle Sané durfte man sogar von einer lupenreinen Höchststrafe sprechen. Dass sich ausgerechnet der für menschliche Nähe geschätzte Flick dazu entschieden hatte, sorgte für Aufsehen. Für solche skrupellosen Taten waren im deutschen Fußball bisher Männer wie Felix Magath oder Rolf Schafstall zuständig.

Bevor er in die Kabine ging, verabschiedete sich Sané noch mit einem Handschlag bei seinem Trainer. Bald kam er aber wieder hervor, nahm auf der Tribüne Platz und schaute sich den Rest der Partie an. Nach dem Abpfiff vergaß Sané auch nicht, den Umweg zur Leverkusener Bank zu machen und dort faire Grüße zu entrichten. Wenn es um Stilfragen ginge an diesem für Sané gänzlich ungewohnten Abend ("das kannte ich so noch nicht"), gäbe es nur eines zu bemängeln: Dass er auf der Tribüne die Füße auf der Lehne des Vordersitzes platzierte, und dass er obendrein Adiletten trug.

Hansi Flick zufolge war der Vorgang nicht mehr als ein strategischer Zug zum Zweck des Gewinnens. "Warum Höchststrafe? Wenn wir wechseln, müssen wir das sinnvoll machen", sagte er. Thomas Müller stand als Kandidat für die erwünschte Einwechslung von Jamal Musiala nicht zur Debatte ("unverzichtbar"), Robert Lewandowski sowieso nicht, und Serge Gnabry spielte in der zweiten Halbzeit deutlich besser als in der ersten ("enorme Steigerung"). "Daher", so Flick, sei dann bloß "die Option Leroy" geblieben.

Unentbehrlich hatte sich Sané in der Tat nicht gemacht. Dem Verdacht, Flicks Wechselpolitik sei in Wahrheit als pädagogische Maßnahme zu verstehen, trat aber auch Rummenigge entgegen: "Ich glaube nicht, dass der Trainer den Spieler erziehen wollte - er wollte das Spiel gewinnen." Der Vorstandschef nutzte gleichwohl gern die Gelegenheit, den im Sommer für beträchtliche 50 Millionen Euro (plus X) erworbenen Angreifer an das Prinzip von Nehmen und Geben zu erinnern: "Wir müssen ihn fördern, aber er muss sich fordern, um dahin zu kommen, wo er hinkommen kann."

Ob es für Sané eher leicht oder eher schwer ist, Zugang in eine nahezu perfekt funktionierende Triple-Sieger-Elf zu finden, dazu liefert der Höchststrafen-Fall von Leverkusen keine Antwort, allenfalls ein Indiz. Die Ober-Bayern versprachen, Zeit und Geduld zu gewähren. "Er wird das verkraften, er bekommt all unsere Unterstützung", sagte der Trainer Flick. "Der Junge ist top, ich glaube total an ihn", schwor der Sportchef Hasan Salihamidzic (der den Kauf zu verantworten hat). Und als Thomas Müller nach Spielschluss den bedrückten Sané fürsorglich in den Arm nahm, sah das aus wie ein Bild aus der ZDF-Romanze am Sonntagabend. Vielleicht hat sich Müller aber auch nur bedankt. Die Vorlage für seine Flanke zum 1:1 stammte von - Leroy Sané.

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