Sabine Lisicki in Wimbledon:Spielen, lachen, spielen, siegen

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Jetzt also Halbfinale: Sabine Lisicki in London.  (Foto: REUTERS)

Sabine Lisicki gelingt, woran andere in Wimbledon gescheitert sind: Nach dem Sieg über Favoritin Serena Williams feiert sie einen weiteren erstaunlichen Erfolg. Mit dem 6:3, 6:3 gegen die Estin Kanepi hat sie nun sogar das Halbfinale erreicht - sie ist jetzt endgültig Titelkandidatin.

Von Michael Neudecker, London

Das Gesicht war ihr entglitten, als es vorbei war, am Dienstag war das Bild in allen britischen Zeitungen zu sehen, in vielen auf der Titelseite: Sabine Lisicki, weinend, jubelnd, entrückt. So war das nach ihrem Sieg gegen Serena Williams, die für unschlagbar gehaltene Weltranglistenerste - in einer Woche der Sensationen die sensationellste Sensation überhaupt, sagten und schrieben die vielen Experten und Ex-Profis, die hier immer alles kommentieren.

Aber es ging ja gleich weiter, keine 24 Stunden später stand Sabine Lisicki schon wieder auf dem Platz, Court 1 diesmal, der zweitgrößte in Wimbledon. Auf Serena Williams folgte: Kaia Kanepi aus Estland.

Als es diesmal vorbei war, ballte Sabine Lisicki die Fäuste, strahlte, bedankte sich beim Publikum, schrieb Autogramme, sagte, dass sie "sehr happy" sei. Es war die ganze Siegerroutine, denn Kaia Kanepi war keine Gegnerin, die sie forderte.

Kaia Kanepi ist eine Berühmtheit in Estland, sie wurde da auch schon mal mit dem Hubschrauber zu einer Schiffstaufe eingeflogen. Im estnischen Fernsehen wird Wimbledon nicht übertragen, in der Hinsicht ist Estland ein bisschen wie Deutschland, aber die vielen Kanepi-Fans haben ihre Matches via Internet verfolgt.

In der zweiten Runde haben sie gesehen, wie Kaia Kanepi die Weltranglistensiebte Angelique Kerber aus Kiel niederrang, aber - Lisicki? 6:3, 6:3 in 65 Minuten, es ging so schnell, dass es nicht einmal der angekündigte Regen rechtzeitig auf Court 1 schaffte. Sie fliege jetzt erst einmal nach Hause, sagte Kaia Kanepi danach, dann sehe sie weiter.

Sabine Lisicki in Wimbledon
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Sie mag Wimbledon wie kein zweites Event - natürlich auch, weil sie hier ihre größten Erfolge feiert. Sabine Lisicki steht nach einem Zweisatz-Sieg gegen Kaia Kanepi in London im Halbfinale. Gegen die Estin zeigt die Deutsche erneut großartiges Tennis.

Die Bilder zum Match

Sabine Lisicki bleibt noch ein bisschen, sie spielt am Donnerstag jetzt erst einmal im Halbfinale - und zwar gegen die Polin Agnieszka Radwańska. Die setzte sich am Abend gegen die Chinesin Li Na mit 7:6 (7:5), 4:6, 6:2 durch (Außerdem spielte Flipkens gegen Kvitova 7:6 (7:5), 4:6, 6:2 und Bartoli gegen Stephens 6:4, 7:5). Leichter wird es für Lisicki damit sicher nicht.

Das nächste Match nach einem großen Sieg ist immer das schwerste, das klingt nach einem Satz aus der Floskelwelt des Sports, aber es ist so: Alle, die in den vergangenen eineinhalb Wochen einen großen Namen besiegt hatten, verloren ihre nächste Partie, es ist ein typischer Vorgang.

Die Emotionen nach so einem Sieg sind aufwühlend, es ist schwer, sie zu kontrollieren, und wenn das nächste Match gegen Irgendjemanden beginnt, können sie einen blockieren. Zum Beispiel Sergej Stachowski hat das anschaulich erklärt, als er nach seinem Sieg über Roger Federer dem Österreicher Jürgen Melzer unterlegen war.

Stachowski ist ein reflektierender Mensch, einer, der sich viele Gedanken zu machen scheint. Lisicki redet nicht viel nach ihren Matches, sie sagt oft, dass sie von Spiel zu Spiel denke, sie lächelt dauernd, sogar während der Matches; ihr Hund, ein Yorkshire Terrier, heißt tatsächlich "Happy". Spielen, lachen, spielen - mental kann so eine Einstellung eine Stärke sein.

Das Match am Dienstag gegen Kanepi, die Nummer 46 der Welt, hatte gerade erst begonnen, da lag Sabine Lisicki schon ein Break vorne. Der Aufschlag gewohnt wuchtig, die Vorhand gewohnt gnadenlos, dazu einige feine Stoppbälle und eine sichere Rückhand, so spielt Sabine Lisicki nun schon seit einer Woche, jedenfalls meistens.

Kaia Kanepi war nicht schlecht, sie hatte nur keine Chance. Nach weniger als einer halben Stunde schlug Lisicki ein Ass mit dem zweiten Aufschlag zum 5:3, ein paar Minuten später dirigierte sie den Ball per Rückhand-Stopp kurz hinter die Netzkante, sie hatte zwei Satzbälle. Nach 33 Minuten war der erste Durchgang beendet.

Matches können kippen, wenn der zweite Satz beginnt, gegen Serena Williams war das auch so: Im zweiten Satz war Williams zurückgekommen. Kaia Kanepi gelang dann ein Break zum 2:1 - aber das genügte nicht.

Sabine Lisicki schaffte sofort das Re-Break, nahezu mühelos sogar, bald darauf erhöhte sie per Break auf 4:2. Im letzten Spiel wechselte sie noch einmal ihren Schläger, ein kurzer Ballwechsel, eine Volley-Vorhand, der Ball flog in die Spielfeldecke, dann war das Match zu Ende.

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Favoriten haben es traditionell schwer in Wimbledon. Doch die aktuelle Niederlagenserie ist bemerkenswert: Federer, Nadal, Tsonga, Scharapowa und Asarenka - für all diese Titelhoffnungen ist Wimbledon bereits vorbei. Für manche trägt der Rasen die Schuld.

Es ist jetzt das dritte Mal in Serie, dass eine Deutsche in Wimbledon im Halbfinale steht, vergangenes Jahr war das Angelique Kerber gelungen, vor zwei Jahren Lisicki selbst, beide Male waren sie Außenseiter, Kerber unterlag der Polin Agnieszka Radwanska, Lisicki der Russin Maria Scharapowa.

Die Experten und Ex-Profis in Wimbledon halten Sabine Lisicki nun aber für die Titelfavoritin, auch die Buchmacher. Die Erwartungshaltung steigt mit jedem Sieg, zumal in Deutschland, wo man auf die erste Wimbledon-Finalistin seit Steffi Graf 1999 wartet, das kann gefährlich sein: Erwartungen erzeugen Druck. Sabine Lisicki sagt, das sei ihr egal, und wahrscheinlich ist es das wirklich.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hatten wir berichtet, dass Kaia Kanepi im Achtelfinale gegen Angelique Kerber gewonnen habe. Allerdings hatte die Estin Kerber bereits in Runde zwei besiegt.

© SZ vom 3. Juli 2013/jbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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