Rugby-WM in England:Schlacht der Gentlemen

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"Rugby ist ein Spiel für Hooligans, das von Gentlemen gespielt wird": Irlands Tommy Bowe punktet gegen Rumänien. (Foto: Getty Images)
  • Rugby hat bis heute die Aura als Elitensport nie ganz abgestreift.
  • Vor allem gilt das im WM-Gastgeberland England.
  • Die Brutalität, aber auch die strikte Disziplin in dem Sport sind kein Selbstzweck.

Von Alexander Menden

Mancher, der am vergangenen Samstag sah, wie beim Gruppenspiel des Rugby-WM-Gastgebers England gegen Wales ein walisischer Spieler nach dem anderen verletzt vom Feld gefahren wurde, mag sich gefragt haben: Ist das noch Sport, wenn einem der Arm aus der Gelenkpfanne gerissen wird? Wer so fragt, hat den ursprünglichen Sinn von Rugby und verwandten Sportarten nicht durchdrungen.

Rugby ist zwar der populärste, aber nicht der einzige englische Mannschaftssport, der an einem Eliteinternat erfunden wurde und der eher wie eine Schlacht als wie ein Spiel anmutet. In der Privatschule Eton zum Beispiel hat das "Wall Game" Tradition. Die Regeln sind recht kompliziert, wer mit dem Spielball eine Gartentür oder einen bestimmten Baum trifft, erzielt neun Punkte. Vor allem aber haben die Teilnehmer Gelegenheit, sich ein paar ordentliche Blessuren zuzuziehen. Die Mannschaften schieben einander in einem Riesenhaufen an einer Backsteinmauer entlang, wobei sich zahlreiche Spieler die Haut von den Gelenken schaben. Es ist auch erlaubt, dem Gegner die Faust ins Gesicht zu setzen, um ihn zurückzutreiben.

Sport der Mittel- und Oberschicht

Wie so vieles in England ist auch der Sport eine Frage der Klassenzugehörigkeit. "Rugby ist ein Spiel für Hooligans, das von Gentlemen gespielt wird. Fußball ist ein Sport für Gentlemen, der von Hooligans gespielt wird", lautet ein viel zitiertes Sprichwort. Die reglementierte Rauferei wird vor allem an Privatschulen und in reichen Market Towns gepflegt. Rugby ist der Sport der Mittel- und Oberschicht; dem Fußball haftet trotz aller Milliardendeals noch immer unterschwellig der Ruch des Arbeiter- und Unterschichtensports an. Rugbyspieler heißen Geoffrey oder James, Fußballer Wayne oder Gary.

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Die Brutalität, aber auch die strikte Disziplin, mit der beim Rugby zu Werke gegangen wird - über eine Schiedsrichterentscheidung zu meckern, ist verpönt -, sind kein Selbstzweck. Zu Zeiten des Britischen Empires waren sie ein wichtiger Bestandteil der Elitenformung. Privilegierten Zöglingen sollte jene quasi-militärische Härte gegen sich selbst und andere beigebracht werden, die später bei der Beherrschung des Weltreiches nötig sein würde. Unbeugsamkeit und Fairness - Charakteristika, die man sich in England routinemäßig zuschreibt - finden im Rugby ihren, wenn nicht edelsten, so doch zumindest am meisten mit Testosteron aufgeladenen Ausdruck.

England droht das frühe WM-Aus

Die Aura als Elitensport hat Rugby vor allem in England nie ganz abgestreift. Aber auch im Commonwealth blieb es weitgehend ein Spiel der Weißen, erfolgreich vor allem in Siedlerkolonien wie Australien, Neuseeland und Südafrika, während Cricket und Fußball auch bei den kolonisierten Völkern populär wurden.

Besonders bitter wäre es, wenn England als WM-Ausrichter nach der überraschenden und unnötigen Niederlage gegen Wales an diesem Samstag gegen den Dauerrivalen Australien schon in der Gruppenphase ausscheiden würde. Elitebewusstsein hin oder her: Härte und Disziplin sind eben nur notwendige, aber nicht hinreichende Eigenschaften, um ein Turnier für sich zu entscheiden. Es muss auch Cleverness und taktisches Vermögen hinzukommen, wie Wales es in der vorigen Woche bewies. Da gibt es für die englische Rugby-Nationalmannschaft anscheinend noch etwas aufzuholen, und zumindest das verbindet Fußball und Rugby: Ihr Mutterland ist in beiden Disziplinen überflügelt worden.

© SZ vom 02.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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