Rugby:Der Mann der guten Hoffnung

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Kapitän der Springboks: Siya Kolisi. (Foto: Hannah Peters/Getty Images)
  • Am Samstag spielt Südafrika im Finale der Rugby-WM in Yokohama gegen England. Kaptän der Springboks ist Siya Kolisi - als erster Schwarzer in 126 Jahren.
  • Das Land am Kap ist 30 Jahre nach Nelson Mandelas Freilassung vielleicht so zerrüttet wie noch nie seit dem Ende der Apartheid.
  • Doch Kolisi ist ein Symbol des alten Traums von der Regenbogennation - und er nimmt diese Rolle an.

Von Martin Schneider

Siya Kolisi wiegt 102 Kilogramm - viel für jemanden, der als Kind nicht wusste, ob er an jedem Tag essen kann. Kolisi ist in Zwide aufgewachsen, einem Township der südafrikanischen Metropole Port Elizabeth. In Townships stehen Blechhütten, in Townships herrscht Armut - und in Townships, da wohnen in Südafrika die Schwarzen und nicht die Weißen. Auch fast 30 Jahre nach Ende der Apartheid, der Rassengesetze, die Menschen nach Hautfarbe trennten, ist das so. 98,6 Prozent Schwarze ergab die letzte offizielle Erhebung in Kolisis Township im Jahr 2011.

Südafrika kämpft aktuell vielleicht mehr denn je um seinen Traum, eine Regenbogennation zu sein. Die Ungleichheit zwischen den Townships und den Villen-Vierteln ist absurd, es herrscht eine horrende Arbeitslosigkeit, und der Strom fällt auch manchmal aus. In letzter Zeit eskalieren immer wieder Proteste gegen afrikanische Migranten. Der Vorwurf: Sie nehmen uns die wenige Arbeit weg. Das Vertrauen in die Politiker von Nelson Mandelas alter Partei ANC ist am Tiefpunkt, Jacob Zuma, mittlerweile Ex-Präsident, musste wegen massiver Korruptionsvorwürfe gehen.

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Das ist die Situation am Kap und wenn man das im Hinterkopf hat, kann man vielleicht ermessen, was es für einige Menschen bedeutet, wenn Siya Kolisi am Samstag Südafrika als Kapitän ins WM-Finale von Yokohama führt. Ein Schwarzer aus einem Township. Das gab es in 126 Jahren südafrikanischer Rugby-Geschichte noch nie. Kolisi ist, wenn man so will, Südafrikas Mann der guten Hoffnung.

Man muss dazu wissen, dass Rugby in Südafrika der koloniale Sport der weißen Unterdrücker war. Wenn die Springboks, so heißt das Team, verloren, jubelten die Townships. Aber als Nelson Mandela Präsident wurde, zog er sich 1995 ein Rugby-Trikot des damaligen weißen Kapitän Francois Pienaar an und überreichte ihm den WM-Pokal - eine unglaubliche Geste der Versöhnung, der Film "Invictus" erzählt die Geschichte. Pienaar trug übrigens die Nummer sechs - wie Kolisi.

Nelson Mandela überreicht François Pienaar 1995 den Webb Ellis Cup. (Foto: Imago)

Cyril Ramaphosa, der neugewählte Präsident, der mit all den Problemen seines Landes zurechtkommen muss, reist nach Japan, um das Team und die "Einheit der Nation" zu unterstützen, wie er sagt. Ramaphosa kann ein positives Signal gerade gut gebrauchen. Er hofft auf einen Mandela-Moment.

Die Probleme seines Landes lösen - das ist die natürlich unmögliche Aufgabe, die auf Kolisi lastet. Aber er kennt seine Bedeutung. Und er nimmt sie an. "Wir repräsentieren etwas, dass viel größer ist, als wir uns vorstellen können", sagte er bereits nach seiner Ernennung zum Kapitän vor einem Jahr in einem Interview mit dem Journalisten Craig Ray. Er weiß, dass seine Hautfarbe eine Bedeutung hat. Aber er will nicht, dass es so ist. Es gehe nicht darum, ein guter weißer oder guter schwarzer Spieler zu sein, es gehe darum, für Südafrika zu spielen, sagt er.

Das Besondere an Kolisi ist, dass kaum einer so glaubhaft für alle Teile der südafrikanischen Gesellschaft steht, wie er. Schon sein Geburtstag ist symbolisch, er wurde genau einen Tag vor der Abschaffung der Apartheits-Gesetze geboren. Seine Mutter war 16 bei seiner Geburt, mit 31 starb sie, seine Großmutter versuchte, ihn durchzubringen. Mit zwölf Jahren fiel Kolisi Scouts auf, er bekam ein Rugby-Stipendium für eine High School des weißen Establishments und hatte als Xhosa-Muttersprachler Schwierigkeiten, Englisch zu lernen. "Ich bin mir bewusst, dass meine Geschichte in gewisser Weise eine südafrikanische Geschichte ist", sagt er.

Obwohl es wegen der Verletzungsgefahr verboten war, spielte er weiter für das Rugby-Team seines alten Townships, die African Bombers, teilweise gegen zehn Jahre ältere Männer. Als er sich den Knöchel verletzte, log er in der Schule, er habe Fußball gespielt. Später holte er sich das Sorgerecht für seine Halbgeschwister - die Formalitäten dauerten 18 Monate. Auch für Rugbyspieler. Kolisi heiratete Rachel, eine Weiße aus den wohlhabenderen Stadtviertelen Kapstadts. Sie haben zwei Kinder. Eben Etzebeth, sein Vorgänger als Kapitän der Springboks, ist ein guter Freund von ihm. Kolisi spricht mit allen und deswegen kann er auch für alle sprechen.

"Ich sehe Rugby nicht als Job - ich sehe Rugby als eine Plattform, um Menschen zu inspirieren", sagte er. "Aber ich will nicht nur schwarze Kinder erreichen. Wenn ich auf dem Feld bin und ins Publikum schaue, sehe ich alle Farben und alle sozialen Klassen. Wir Spieler repräsentieren das ganze Land, niemals nur eine Gruppe." Wer in Hautfarben denke, der beschränke sich auf dem Feld und den eigenen Horizont, sagt er. "Ich will ein positives Beispiel sein."

John Smit war der bisher letzte Kapitän, der den Webb Ellis Cup für Südafrika gewann. Er sagt: "Wenn Siya die Trophäe in den Himmel hebt - das wäre ein größerer Moment als 1995." Smit sagt, Kolisi habe viel mehr Verantwortung als er, weil er mehr Leute repräsentiere. 90 Prozent der Bevölkerung sind in Südafrika schwarz, aber als Smit 2007 die Trophäe entgegennahm, spielten in der Mannschaft ganze zwei schwarze Spieler. Nun sind es immerhin 13 von 31.

Kolisi schaute damals in einer Township-Bar zu. Sie hatten zu Hause keinen Fernseher. In eben jener Bar in Zwide laufen nun die Vorbereitungen auf das Finale. Der BBC hat Freddie Makoki ein Interview gegeben, er ist Präsident des Zwide United Rugby Clubs, seine eigene Karriere scheiterte an der Apartheid. "Wir hatten in unserer Geschichte so viele Spieler, die Kapitän hätten sein können, es aber wegen ihrer Hautfarbe nicht sein durften", sagt er. Und über Siya Kolisi: "Es macht mich so stolz, ihn im Springbok-Trikot zu sehen. Und man sieht in den Gesichtern der Menschen, was es für das Land bedeutet, dass Siya der Kapitän ist." Die Bar wird am Samstag voll sein. Alle werden die Mannschaft unterstützen.

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