WM-Qualifikation:Deutschlands Rugby-Auswahl spielt um die Zukunft

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Sean Armstrong (l.) jubelt fürs deutsche Team beim Sieg gegen Hongkong. (Foto: imago/Kessler-Sportfotografie)
  • An diesem Samstag könnte der deutschen Rugby-Nationalmannschaft gegen Kanada ein großer Schritt zur WM-Qualifikation gelingen.
  • Das Spiel entscheidet nach Verwerfungen im Verband auch darüber, ob der Sport in Deutschland eine Zukunft hat.
  • Viele deutsche Rugby-Cracks wissen noch nicht, wie es ab November für sie weitergeht.

Von Tobias Schächter, Marseille

"Viele Fans aus Deutschland werden erwartet", sagt der Rugbyspieler Sean Armstrong. Er trifft in Marseille an diesem Samstag (16 Uhr/ProSieben Maxx) mit der deutschen Nationalmannschaft auf Kanada. Dass ihm dabei viele Fans zuschauen, ist nicht selbstverständlich, denn beim Rugby schauen hierzulande üblicherweise nicht viele Menschen zu. Diesmal ist es allerdings das wichtigste Spiel in der Geschichte des Sports in Deutschland.

In Südfrankreich ermitteln derzeit vier Teams den letzten Teilnehmer der nächsten Weltmeisterschaft im Herbst 2019 in Japan. Jeder spielt gegen jeden, nur der Tabellenerste ist qualifiziert. Deutschland besiegte zum Auftakt Hongkong (26:9), Kanada schlug Kenia (65:19). Die Nordamerikaner sind Favorit, sie nahmen bisher an allen Weltmeisterschaften teil. Die Deutschen gelten als ihr gefährlichster Herausforderer. Bei einem Sieg ist die erste Teilnahme Deutschlands an einer WM zum Greifen nah. Doch die historische Chance ist nur ein Teil der Geschichte. "Dass wir nach diesem Jahr noch die Chance auf die WM haben, ist kurios", sagt Armstrong.

Der gebürtige Australier, 31, Position Gedrängehalb, gehört zu den erfahrensten Spielern im Kader. Seit 2007 lebt er in Heidelberg, er hat die Entwicklung des Sports in seiner Wahlheimat mitgeprägt. Er sagt: "So eine Chance kommt vielleicht so schnell nicht wieder." Er weiß: Es geht nach turbulenten Monaten um die Zukunft von Rugby in Deutschland.

Die stärksten deutschen Spieler streikten im vergangenen Herbst

Das Rugby-Entwicklungsland Deutschland hat im vergangenen Herbst weltweit negative Schlagzeilen produziert. Die besten Spieler, unter anderem der damalige Kapitän Armstrong, bestreikten die Länderspiele, weil sie der damaligen Verbandsführung mangelnde Professionalität vorwarfen. Armstrong gibt zu, nicht zu wissen, ob er das noch einmal tun würde. Noch seien nicht alle Wunden verheilt. Hintergrund war das Zerwürfnis zwischen Großsponsor Hans-Peter Wild und der Führung des deutschen Verbandes DRV.

Wild ist ein Milliardär aus Heidelberg, dessen Familie mit der Entwicklung des Softdrinks "Capri-Sun" reich geworden ist; er investierte in den vergangenen zehn Jahren rund 20 Millionen Euro in die Förderung von Rugby. An seiner Wild-Rugby-Academy sind die meisten Nationalspieler wie Armstrong noch bis Ende November angestellt, dann schließt die Akademie. Als Einzelkämpfer will sich Wild, 77, nicht länger engagieren. Er ist frustriert, weil der DRV mit der von ihm forcierten Professionalisierung nicht Schritt hält.

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Dass der WM-Traum des Nationalteams lebt, ist zunächst nur glücklichen Umständen geschuldet. Der Weltverband stufte Belgien, Rumänien und Spanien zurück, weil deren Verbände in der Qualifikation angeblich Spieler eingesetzt haben, die nicht gemeldet waren. Deutschland durfte K.-o.-Spiele gegen Samoa bestreiten - verlor aber Hin- und Rückspiel. Nun gibt es noch den Hoffnungslauf in Marseille - und Wild ist wieder dabei.

Nach dem Rücktritt des alten Präsidiums und der unverhofften WM-Chance unterstützt der Unternehmer die Nationalmannschaft wieder. Die Hälfte der 600 000 Euro, die für die zehnwöchige Vorbereitung und das Turnier in Marseille nötig waren, übernimmt Wild. Eigens für die Kampagne wurde der Trainer Mike Ford engagiert, ein Engländer und großer Name im kleinen deutschen Rugby. Ford war in der Vergangenheit unter anderem Defensiv-Coach der irischen und der englischen Nationalmannschaft.

Viele deutsche Rugby-Cracks wissen nicht, wie es ab November weitergeht

Setzt sich Deutschland durch, trifft das Team bei der WM in den Gruppenspielen unter anderem auf Weltmeister Neuseeland, auf die legendären All Blacks. Gelingt die WM-Teilnahme, hat das Spiel mit dem Ei, das gerade weltweit expandiert, vielleicht doch eine Zukunft in Deutschland. Wild hat angekündigt, dem Verband bis 2024 zwei Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung stellen zu wollen, sollte dieser drei weitere Sponsoren finden, die dieselbe Summe investieren. Eine WM-Teilnahme würde die Sponsorensuche erleichtern.

Ein anderer Plan von Wild ist allerdings endgültig gescheitert. Mit dem deutschen Serienmeister Heidelberger RK wollte er als "Wild-Titans" ein international konkurrenzfähiges Vereinsteam aufbauen. Ihm gehört bereits der Pariser Großklub Stade Français. In Frankreich genießt Rugby einen ungleich höheren Stellenwert. Während in der Bundesliga fast nur Amateure spielen, versammeln sich dort die besten Spieler der Welt, die Stadien sind voll, Stade Français stemmt ein Budget von 34 Millionen Euro. Doch zwei Klubs zu unterstützen, gehe nicht, erklärte der europäische Verband - und Wild musste sein Projekt desillusioniert abbrechen. "Schade", findet das auch Sean Armstrong, der wie viele seiner Kollegen nicht weiß, wie es ab Dezember weitergeht. Er gibt zu: "Diese Situation ist natürlich eine Belastung." Doch jetzt zähle nur das Spiel gegen Kanada.

Der Traum von der WM hält das deutsche Rugby noch zusammen. An das, was danach kommt, will Armstrong nicht denken. Er sagt: "Ich hoffe, unser Traum erfüllt sich."

© SZ vom 17.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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