Rugby-WM:Die Qual der Männer in Grün geht weiter

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Unaufhaltsam: Neuseelands Ardie Savea trägt den Ball im Flug in die Endzone, die irische Abwehr kann die Landung hinter der Linie nicht verhindern. (Foto: Christophe Ena/AP)

Wieder hat Irland ein WM-Viertelfinale verloren, diesmal rannte die Offensive vergeblich gegen Neuseelands Abwehr an. Die All Blacks zeigen: In brenzligen Situationen ziehen sie genug Urvertrauen aus ihrer Historie.

Von Barbara Klimke

Ein Rugbyspiel endet nicht, wenn die Uhr abläuft. Es endet erst, wenn die letzte Angriffswelle bricht. Der Zeiger sprang um, die Zeit stand still im Stade de France. Aber die irische Attacke rollte weiter. Meter um Meter kämpfte sich die erschöpften Iren durch die schwarzen Abwehrreihen der Ball flog von links nach rechts und zurück, 37 Angriffsphasen lang. Dann war es der Neuseeländer Sam Whitelock, 35 Jahre alt, der im Getümmel die Hände an den Ball brachte und dem Spuk ein Ende machte. Es war vorbei, Irland geschlagen, wieder einmal. Die Qual der Männer in Grün wird weitergehen.

Zum achten Mal hat Irland bei einer Rugby-WM im Viertelfinale gestanden. Zum achten Mal ist Irland gescheitert - nun sogar als Nummer eins der Weltrangliste, 24:28 verlor die Mannschaft am Samstagabend in Paris gegen Neuseelands All Blacks. Mit leerem Blick und feuchten Augen starrte Johnny Sexton, Irlands Kapitän, danach in die Ferne. Er beendet im Alter von 38 Jahren unvollendet seine Karriere. "Wir haben alles gegeben, es war nicht genug", sagte er, um Fassung bemüht.

Die irische Auswahl, die Sexton befehligte und die dank seiner Inspiration und Passion für diesen kräftezehrenden, körperbetonten Kollisionssport zuletzt die besten Monate und Jahre ihrer Geschichte erlebte, konnte Neuseeland nicht in die Knie zwingen; einen Gegner also, der sich zur selben Zeit in einer alarmierenden kreativen Krise befunden hatte. "Man kriegt nicht immer das, was man verdient", sagte Sexton bitter. Die pausenlosen Attacken, die Überzahl, als Gegenspieler auf der Strafbank saßen, das Anrennen weit über die 80 Minuten Spieldauer hinaus, das alles hat nicht gereicht.

Applaus nach einer großen Karriere: Die All Blacks stehen nach dem Sieg über Irland für den geschlagenen irischen Kapitän Johnny Sexton Spalier, der sein letztes Spiel bestritt. (Foto: Emmanuel Dunand/AFP)

Es waren ein paar Fehler zu viel auf Seiten des Kleeblatt-Teams, das zuvor 17 Länderspiele in Serie gewonnen hatte, dem sich das Glück bei Weltmeisterschaften jedoch störrisch zu verweigern scheint: ein paar Ungenauigkeiten beim Line-out, wenn der Ball vom Seitenaus in die Gasse befördert wird; ein Kick an den Stangen vorbei; ein paar Pässe, die auf dem Boden landeten. Eine Sekunde der Unaufmerksamkeit etwa nutzte der Neuseeländer Richie Mo'unga, um in eine Lücke zu sprinten, mit dem Ball unterm Arm übers halbe Feld zu flitzen und dann den mitgelaufenen Kollegen Will Jordan anzuspielen: Es war der dritte Try der All Blacks in der 58. Minute - in einer Phase, in der sich Irland nach einem frühen Rückstand (0:13) schon bis auf einen Punkt (17:18) an den großen Rivalen herangerobbt hatte.

In seinem 151. Länderspiel entscheidet Sam Whitelock die Partie

Doch letztlich war die Defensive der All Blacks die Mauer, an der die irische Sturmflut ein ums andere Mal brach. Neuseelands Kapitän Sam Cane konnte es nach Abpfiff kaum fassen, dass die körperliche Wucht der Kollegen sogar die finalen 37 Angriffsphasen abgewettert hatte, "das ist das Längste, was ich je gehört, geschweige denn gesehen habe".

Dass ausgerechnet der spät eingewechselte Sam Whitelock, 35 Jahre alt, zweimal Weltmeister mit den All Blacks (2011, 2015), im 151. Länderspiel seiner fabelhaften Karriere mit der letzten Aktion das Spiel entschied, spricht nicht nur für seine individuelle Klasse. Es ist auch ein Hinweis darauf, dass in Neuseelands Reihen die alte Siegesgewissheit der Great All Blacks selbst in den kritischen Lagen die Selbstzweifel übersteigt. Dieses Urvertrauen in die eigenen Fähigkeiten ist in Neuseeland über Jahrzehnte gewachsen, in denen sie den Sport dominierten. Und es war stärker als Irlands Optimismus, der seine Hoffnung aus dem phänomenalen Höhenflug der vergangenen beiden Jahre zog. Mo'unga fasste das All-Blacks-Mantra so zusammen: "Wir wussten, wir müssen nicht die Besten der Welt sein - nur die Besten an diesem Tag."

Dass ein Duell, das eines WM-Finals würdig gewesen wäre, schon in der Runde der letzten Acht stattfand, gehört zu den Merkwürdigkeiten dieses Rugby-Turniers und ist der verfrühten Auslosung geschuldet. Sie basierte auf der Weltrangliste von 2020. Neuseeland wird nun kommendes Wochenende gegen Argentinien, das Wales 29:17 bezwang, um den Finaleinzug spielen. Auch England und Titelverteidiger Südafrika erreichten das Halbfinale. England schlug Fidschi (30:24); den Südafrikaner gelang es mit einem knappen Sieg, Gastgeber Frankreich 29:28 aus dem Turnier zu drängen. Irland, zum achten Mal geschlagen, dagegen wird vier Jahre warten müssen. "Sport kann manchmal grausam sein", befand Trainer Andy Farrell schicksalsergeben: "Aber das ist es, was wir daran lieben."

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