Rücktritt von Favre:Abschied des Empfindsamen

Lesezeit: 3 min

Lucien Favre. (Foto: Getty Images)
  • Lucien Favre tritt als Trainer von Borussia Mönchengladbach zurück und stürzt seinen Klub in ein Dilemma.
  • Darf ein Trainer das, so einfach aufhören? Ganz überraschend kommt Favres Schritt nicht.
  • Hier geht es zu den Reaktionen auf Favres Rücktritt.

Von Thomas Hummel

Max Kruse hat ein gutes Gefühl, wann es Zeit ist zu gehen. Mit dem SC Freiburg spielte sich der Stürmer 2013 in die Europa League, dann ging er und sein alter Verein konnte in der Folgesaison von den ersten zehn Spielen in der Bundesliga keines gewinnen. Bis zu diesem Sommer war Kruse Teil des Hochgeschwindigkeits-Fußballs in Mönchengladbach. Kruse verabschiedete sich nach Wolfsburg - und nur sechs Spieltage später liegt sein alter Klub in Trümmern.

Bei allem Respekt vor der Stärke von Max Kruse: Allein mit seinem Weggang lässt sich die Misere von Borussia Mönchengladbach nicht erklären. In dieser erstaunlichen Geschichte ist er nur ein Mosaiksteinchen.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich ein Klub fast rauschhaft nach oben katapultiert. Die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit ausreizt und Erfolge feiert, die bis dahin schwer möglich erschienen. Borussia Mönchengladbach war so ein Fall in der vergangenen Saison. Eigentlich schon seit viereinhalb Jahren. Ab dem Zeitpunkt, als Lucien Favre die Mannschaft übernahm.

Champions League als Höhepunkt der Party

Favre führte einen Verein, der lange von der Nostalgie lebte, auf Platz drei der Bundesliga. Zum ersten Mal in die Champions League. Alles wirkte so rasant, so stabil, so durchdacht. Der Favre-Fußball begeisterte, in der Rückrunde gewann die Borussia gegen Dortmund, gegen Wolfsburg, gegen Leverkusen, sogar beim FC Bayern. Die Spieler und ihr Trainer schufen sich ein Kunstwerk, bei dem alles ineinanderfloss und sich gegenseitig inspirierte. Die Qualifikation für die Champions League war der Höhepunkt der Fußballparty.

Das Dumme an Partys ist allerdings, dass irgendwann der nächste Tag anbricht. Dann ist es sehr schwer, wieder die Energie und den Mut und die Gemeinschaft zu entwickeln. Gerade dann, wenn zwei Vortänzer (Kruse und Weltmeister Kramer) das Haus verlassen und man neue Charaktere integrieren muss. Einige Spieler zahlten für ihren Einsatz mit Verletzungen, andere rutschten in Formtiefs. Man erinnert sich noch an gestern, an die Party, und denkt sich: Es muss doch gehen! Aber es geht nichts mehr. Es scheint dann, als würden sich alle gegenseitig runterziehen. Wer die Borussia etwa zum Champions-League-Auftakt in Sevilla gesehen hat, der konnte sich über die schwerfällige Truppe nur wundern. War das die Party-Gesellschaft vom vergangenen Frühling?

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:Favre schockt sie alle

Völlig überraschend und eigenmächtig verkündet Mönchengladbachs Trainer Lucien Favre seinen Rücktritt. Dieser Alleingang erinnert an frühere Zeiten.

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Lucien Favre ist ein hervorragender Fußballlehrer. Er kann sich und die Welt um sich herum begeistern mit seinen Methoden und seinem Wissen. Auch wenn er ein Kauz sein kann und stur, in seiner Kritik bisweilen hart - in Mönchengladbach haben sie ihm ihre Herzen vor die Füße geworfen. Der 57-Jährige war unantastbar, unkritisierbar. Ja, "unrauswerfbar", wie Sportdirektor Max Eberl einmal sagte. Das tat auch niemand, nicht einmal nach sechs Niederlagen in den ersten sieben Pflichtspielen. Die Borussia glaubte an den Mann, der sie so weit nach vorne gebracht hatte. Der Klub wollte und will vermutlich noch immer mit Lucien Favre weitermachen.

Doch das Problem ist: Der Schweizer hat eine empfindsame, verletzliche Seele. Wenn irgendetwas schiefläuft, kann er seine Verzweiflung, seinen aufkommenden Schwermut kaum verbergen. Weder vor sich, noch vor anderen. Er glaubt dann selbst nicht mehr an den Erfolg. Was sich schnurstracks auf die Mannschaft überträgt. Die spielte zuletzt mehrfach so, als fehle ihr der Glaube, den Gegner bezwingen zu können. Und ohne diesen Glauben geht im Sport gar nichts.

Insofern ist Lucien Favres Rücktritt folgerichtig. Er ist das Ergebnis der Persönlichkeit dieses Trainers, der eben kein "Rausreißer" ist. Zumindest nicht von Situationen, die er selbst verantwortet. In Berlin hatte er das schon einmal erlebt. Zuerst spielte er mit Hertha BSC 2009 lange völlig überraschend um die Meisterschaft mit, in der Folgesaison stürzte die Mannschaft ab, der Klub entließ Favre. Das verletzte ihn damals sehr.

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Favre schuf die Fakten

Vielleicht wollte Favre dieser Verletzung zuvorkommen und diesmal selbst die Trennung herbeiführen. Vielleicht gelang es ihm nicht, sich selbst nach der Party neu zu motivieren. Vielleicht ahnte er schlichtweg, dass er mit der Borussia das Maximum bereits erreicht hat. Es ist allerdings auch der Weggang eines sensiblen Künstlers, der sich nicht um seine Hinterlassenschaft schert. Der Klub wirkt geschockt. "Sein Rücktritt trifft uns ins Mark", sagte Präsident Rolf Königs. Er und seine Kollegen lehnten noch am Sonntag das Rücktrittsgesuch Favres schlichtweg ab. Bevor der Schweizer mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit ging und damit Fakten schuf. Mönchengladbach spielt nun im Drei-Tage-Rhythmus gegen Augsburg, Stuttgart, Manchester City, Wolfsburg - und muss plötzlich den Mann ersetzen, um den herum alles aufgebaut wurde. Da darf man sich durchaus mal im Stich gelassen fühlen.

Selbst die größten Favre-Fans müssen zugeben, dass sich ihr Trainerheld einmal im Leben etwas von Felix Magath hätte abschauen sollen. Der ist mit seinen Medizinball-Methoden eigentlich der Anti-Favre unter den Fußballtrainern. Allerdings hörte er damals in Wolfsburg am Höhepunkt der Party, als Meister, auf. Und nicht am Folgetag, wenn alles schwer und schwierig ist.

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