Trainer-Rücktritt bei Gladbach:Favre schockt sie alle

  • Der überraschende Rücktritt von Gladbachs Trainer Lucien Favre schockt auch die Vereinsführung.
  • Die Verantwortlichen um Sportchef Max Eberl konnten den Schweizer nicht zum Bleiben überreden.
  • Wer die Gladbacher Mannschaft künftig führt, ist offen.

Von Claudio Catuogno und Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Borussia Mönchengladbach steht unter Schock. Aber mit den fünf Niederlagen in den ersten fünf Bundesligaspielen und dem gegenwärtigen letzten Tabellenplatz hat das überhaupt nichts zu tun. Am Sonntagabend gegen 19.30 Uhr hat Trainer Lucien Favre gegen den ausdrücklichen Willen des Vorstands und des Präsidiums sein Amt zur Verfügung gestellt, er ist völlig überraschend und vollkommen eigenmächtig zurückgetreten. In einer von ihm verfassten Mitteilung an die Medien formulierte der 57-jährige Schweizer: "Es ist jetzt an der Zeit und die beste Entscheidung für den Verein, eine Veränderung herbeizuführen." Der Verein hatte sich den ganzen Tag lang gegen diese Veränderung gewehrt und Favre zum Bleiben überreden wollen. Vergeblich.

Gladbach mag es nicht glauben

Am Sonntagmorgen war Favre nicht mit der Mannschaft zum Training auf dem Platz gewesen. Da hieß es noch, er sei krank. Allerdings rang der Trainer da bereits mit dem Gladbacher Vorstand um seine Freigabe. Sportchef Max Eberl und Vize-Präsident Rainer Bonhof hatten ein Rücktrittsangebot von Favre zunächst entschieden abgelehnt. Am Abend schaffte der Schweizer selbst Fakten, er ging mit seiner Mitteilung an die Öffentlichkeit.

"Sein Rücktritt trifft uns ins Mark", sagte Präsident Rolf Königs: "Wir haben mit Lucien Favre viereinhalb überaus erfolgreiche sportliche Jahre hinter uns und sind sehr traurig, dass dieser gemeinsame Weg nun offenbar zu Ende ist." Das Wort "offenbar" deutete darauf hin, dass die Gladbacher zunächst nicht glauben wollten, was Favre da für sich entschieden hatte.

Am Samstag hatte Gladbach 0:1 beim 1. FC Köln verloren. Es war die fünfte Niederlage im fünften Bundesligaspiel und die sechste Niederlage im sechsten Pflichtspiel gewesen, aber unmittelbar nach der Partie hatte nichts darauf hingedeutet, dass Favre amtsmüde sein könnte. Sportchef Eberl sagte in Köln zum wiederholten Mal, der Trainer bleibe sicher an Bord, er habe unmittelbar nach dem Schlusspfiff in der Kabine bereits sachlich mit der Mannschaft die Fehler analysiert. Auch in der Pressekonferenz wirkte Favre weder panisch noch zermürbt oder fatalistisch. Nichts - weder für die Öffentlichkeit noch für die Verantwortlichen bei der Borussia - hatte da auf seine offenbar weit gediehenen Rücktrittsgedanken hingedeutet.

Den gesamten Sonntag über hat Eberl noch versucht, den Trainer zum Bleiben zu überreden. Er kennt ihn ja auch schon ganz gut: Favre, den Zauderer, den ewigen Pessimisten. Es gehört zur Persönlichkeitsstruktur des eigenwilligen Fußballlehrers aus dem Bauerndorf Saint-Barthélemy in der Westschweiz, dass er eigentlich permanent im Zustand eines möglichen Rücktritts lebt. Das war schon in der zweiten Schweizer Liga so gewesen, bei Yverdon-Sport, wo ihn der Präsident Paul-André Cornu regelmäßig in seine Keksfabrik bat, Marzipan-Pralinen servierte - und Favre reden ließ. Oft gab es gar nichts Konkretes zu besprechen, "aber Lucien Favre muss einfach viel reden", hat Cornu einmal der SZ erzählt. Eberl hatte mit seinem Pragmatismus eine gewisse Routine entwickelt, Favre die ständigen Zweifel auszureden.

Die Situation erinnert an Berlin

In Berlin, als Favre die Hertha im Frühjahr 2009 zwischenzeitlich auf einen Uefa-Cup-Platz geführt hatte und dann nach sechs Niederlagen in Serie zu Beginn der darauffolgenden Saison im Herbst entlassen wurde, war die Geschichte ein bisschen anders gelaufen. Aber auch seltsam.

Damals gab Favre nach seiner Entlassung, ebenfalls eigenmächtig, eine Pressekonferenz im noblen Adlon-Hotel und erklärte der Öffentlichkeit seine Sicht der Dinge. "Ich habe große Fehler gemacht und muss aus meinen Fehlern lernen", hatte er damals gesagt und erklärt, man könne nicht eine Mannschaft aufbauen mit den Ideen von anderen. Damals war er mit den personellen Veränderungen in der Sommerpause unzufrieden gewesen. "Ich habe von Anfang an zu viele Kompromisse gemacht", sagte er seinerzeit in Berlin, "und Kompromisse sind Fehler."

Man muss davon ausgehen, dass der zugleich dickköpfige und äußerst sensible sowie latent skeptische Favre sich damals geschworen hat, so schnell keine Kompromisse mehr einzugehen. Obwohl ihm in Gladbach keine Entlassung gedroht hatte und er sich bei der Borussia seines Jobs wirklich sicher sein konnte, wollte er nicht bleiben. Fraglich ist nun etwa, ob Favre wie damals in Berlin womöglich unzufrieden war mit den personellen Veränderungen in der Sommerpause. Gladbach hatte den Hannoveraner Lars Stindl für Christoph Kramer geholt und den Leverkusener Stürmer Josip Drmic für Max Kruse. Beide Neuzugänge hatten sich bis zuletzt nicht als spielerische Verstärkung gezeigt - aber der Sportchef Eberl bat latent um Geduld, und Favre deutete auch nie an, mit den Veränderungen im Kader unzufrieden zu sein.

Der Rücktritt wirft Fragen auf

Bereits am Mittwochabend empfangen die Gladbacher den FC Augsburg zum sechsten Saisonspiel. Ob die Mannschaft dann vom Co-Trainer Frank Geideck, vom U23-Trainer André Schubert oder gar vom Vize-Präsidenten Hans Meyer trainiert wird, war am Sonntag noch nicht geklärt. Die Borussia wird sich an diesem Montag zur weiteren Vorgehensweise äußern.

Dass Favre, wie er selbst behauptet, mit seinem Rücktritt zum Wohle der Mannschaft und des Vereins entschieden habe, kann drei Tage vor dem nächsten Spiel und zu Beginn einer Phase mit vier Partien binnen zwei Wochen (auch beim Tabellennachbarn VfB Stuttgart) aber ausgeschlossen werden. Der Schweizer hat den Verein düpiert und schwer getroffen. Die Mannschaft wird das in den nächsten Spielen kaum verbergen können.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: