Aufstieg von Rot-Weiss Essen:Das Fußballglück kehrt zurück an die Hafenstraße

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Spieler und Fans von Rot-Weiss Essen feiern ausgelassen ihren Sieg gegen Ahlen mit 2:0. (Foto: Revierfoto/dpa)

14 lange Jahre wartete der Traditionsverein Rot-Weiss Essen auf eine Rückkehr in die die dritte Liga - nun ist der Aufstieg perfekt. Klubchef Marcus Uhlig sagt: "Der schlafende Riese ist erwacht."

Von Ulrich Hartmann, Essen

Das Fußballglück kennt eigentlich keine Klassenzugehörigkeit, es kann sich in der vierten Liga genauso entfalten wie in der Champions League. Im ausverkauften Stadion an der Hafenstraße zum Beispiel sangen am Samstag 16500 Menschen inbrünstig den alten Siw-Malmkwist-Schlager "Adiolé", den die Schwedin 1999 eigens in einer Version für Rot-Weiss Essen eingesungen hatte. Fantribüne und Gegentribüne deckten sich anschließend komplett mit Planen zu, auf denen in riesigen Buchstaben "Nur der RWE" stand und: "Egal was kommt, wir stehen zu dir." Und vor dem Stadion glitzerte in der Sonne die Bronzefigur von Helmut "Boss" Rahn und erinnerte an die großen Zeiten in den Fünfzigerjahren. Rot-Weiss Essen lebte oft in seiner eigenen Glückseligkeit - zuletzt elf Jahre lang in der Regionalliga West. Doch damit ist jetzt Schluss.

"Nie mehr vierte Liga", sangen die Essener Fans nach dem 2:0-Sieg gegen Rot-Weiß Ahlen, dem wichtigsten Spiel der jüngeren Vereinsgeschichte, am letzten Spieltag der Regionalliga West. Denn auch die eigene Glückseligkeit kann beim Fußball ein wenig leiden, wenn die direkten Nachbarn in Bochum und Gelsenkirchen in anderen Sphären spielen und sogar Duisburg eine Etage höher kickt. Doch Essen hat einem Minderwertigkeitskomplex nun gerade noch rechtzeitig vorgebeugt und ist am Samstag nach 14 Jahren Absenz in die dritte Liga zurückgekehrt.

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Was das dem Verein bedeutet, war überall zu sehen - es war ein Wimmelbild der puren Freude. Nach dem Schlusspfiff lagen sich auf der Haupttribüne die beiden Live-Reporter von "Radio Hafenstraße" schluchzend in den Armen. Drunten stürmten Tausende den Rasen, obwohl der Stadionsprecher noch flehend darum gebeten hatten, das Spielfeld für die Bundesligafrauen der SG Essen-Schönebeck zu schonen. Wat willsse machen, sagt man im Ruhrgebiet. Man kann das Glück nicht aufhalten.

In der dritten Liga eröffnen sich für Essen andere Möglichkeiten

Rot-Weiss Essen war am Samstag der strahlende Sieger in einem spannenden Fernduell. Im 70 Kilometer entfernten Münster genügte den punktgleichen Duellanten vom SC Preußen auch ein 2:1-Sieg gegen den 1. FC Köln II nicht. "Es war ein epischer Fight", kondolierte Essens Geschäftsführer Marcus Uhlig den Münsteranern und zollte ihnen "großen Respekt". Aber es darf halt nur einer der beiden nordrhein-westfälischen Traditionsklubs aufsteigen, der Übergang von der vierten zur dritten Liga ist weiterhin das schmalste Nadelöhr des deutschen Profifußballs. Essen durchdrang es erst im elften Anlauf. "Wir hatten es so langsam mal verdient", fand RW-Torschützenkönig Simon Engelmann, "ich persönlich habe zwölf Jahre auf die dritte Liga warten müssen, der Verein sogar 14."

"Wir hatten es so langsam mal verdient": Torschützenkönig Simon Engelmann (links). (Foto: Eibner-Pressefoto/Imago)

Manch Skeptiker in Essen hatte schon befürchtet, das Schicksal habe RWE auf alle Zeiten ins Nirwana verbannt. Vor zwei Jahren kam Corona dazwischen, vor einem Jahr fehlte nur ein Hauch zu Platz eins. "Der schlafende Riese ist erwacht", verkündete Klubchef Uhlig nun in den wummernden Katakomben. Er will "diese Emotionen mitnehmen" in die dritte Liga.

Auf Dauer sieht man sich unter den "Top 25" in Deutschland

Aber was ist eigentlich an der dritten Liga besser als an der vierten - mit ihren vielen Traditionsklubs wie Münster, Wuppertaler SV, Rot-Weiß Oberhausen, Fortuna Köln und Alemannia Aachen? "In der dritten Liga", antwortete Uhlig, "öffnen sich für uns andere Töpfe" - beispielsweise Mehreinnahmen im Sponsoring durch Liveübertragungen in den dritten Programmen: "Wir wissen, wer alles auf uns guckt." Übermütig werden sie in Essen jetzt nicht, auf Dauer aber sehen sie sich in der zehntgrößten deutschen Stadt durchaus unter den "Top 25" des deutschen Fußballs. Das hieße: mindestens zweite Liga.

Ein großer Unterschied zur vierten ist in der dritten Liga allein der Umstand, dass es dort wenigstens zweieinhalb Aufstiegsplätze gibt statt nur einen. Seit dem letztmaligen Abstieg aus der zweithöchsten Klasse im Jahr 2007 hat Essen ein Jahr in der dritten, ein Jahr in der fünften und 13 Jahre in der vierten Liga gespielt. Der Absturz des Klubs konnte aufgehalten werden, aber die Bodenbildung hat schmerzhafte eineinhalb Jahrzehnte gedauert.

Im einst auf viel breiterer Basis ruhm-und erfolgreichen Ruhrgebietsfußball hatte Essen seine Rolle vorübergehend eingebüßt, 2010 erlitt der Klub sogar eine Insolvenz. Doch ihre Selbstachtung haben die Fans nie verloren. "Wo sind wir zuhause?", steht in großen Buchstaben auf der Haupttribüne, zwischen dem Unter- und Oberrang. Die Antwort darauf ist für die Essener komplett unabhängig von der Ligazugehörigkeit: "An der Hafenstraße!"

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