Die Erinnerung an das Double von 1978 trägt Roger Van Gool immer bei sich. Unwiderruflich, auf der Stirn. Ein Schmiss, der, genau betrachtet, kaum mehr auffällt zwischen all den Falten, die das Leben in seine Haut gegraben hat. Van Gool, so erzählt er es einmal bei einem Treffen mit der SZ, hat in den Tagen nach seiner Stirn-Verletzung zum ersten und vielleicht einzigen Mal das verspürt, was ihm vom ersten Arbeitstag an beim 1. FC Köln vorhergesagt worden war: Druck.
Druck? Es wäre nur allzu verständlich gewesen. Van Gool, geboren vor 70 Jahren am 1. Juni 1950 in einem flämischen Ort namens Nieuwmoer, direkt an der belgisch-niederländischen Grenze, hatte 1976 mit seinem Transfer nach Köln eine Grenze gerissen. "Das Millionending" stand auf den Titelseiten der Zeitungen. In so großen Buchstaben, dass Van Gool es nie vergessen hat.
"Das Millionending", der erste Wechsel, den sich ein Bundesligist mehr als eine Million D-Mark kosten ließ, hatte vor allem mit Hennes Weiseweiler zu tun. Nach einem ziemlich desaströsen Ausflug zum FC Barcelona war der vormalige Gladbacher Meistertrainer in die Bundesliga zurückgekehrt - und hatte zum Amtsantritt in Köln einen "Klassestürmer" gefordert. Weisweiler wollte eigentlich einen anderen haben, René van de Kerkhof, der als Weltstar galt, Mitglied der legendären niederländischen Nationalelf, die bei der WM 1974 mit Johan Cruyff der deutschen Auswahl erst im Finale unterlegen war. Kölns Konditionstrainer Rolf Herings fuhr nach Rotterdam, um van de Kerkhof bei einem EM-Qualifikationsspiel zu beobachten, das die Niederländer gegen Belgien 5:0 gewannen. Doch als er wieder in Köln war, redete er nur noch von Van Gool. Weisweiler schickte Herings ein weiteres Mal über die Grenze, diesmal nach Belgien, zu einem Pokalspiel des FC Brügge. Und obwohl Van Gools Mannschaft erneut verlor, kehrte Herings mit derselben Kaufempfehlung nach Köln zurück. Weisweiler willigte ein - wäre am Ende aber fast mit leeren Händen dagestanden.
Der Grund: Karl-Heinz Thielen, Kölns Manager, kam auf den letzten Drücker nach Brügge, am letzten Tag der Transferperiode. In Brügge tagte das Präsidium, aber eine Entscheidung über eine Freigabe für Van Gool wollte es nicht treffen, ohne zuvor den starken Mann des Klubs zu konsultieren, Michel Van Maele. Der war Bürgermeister der Stadt - und hatte gerade einen Minister zu Besuch. "Da sind Thielen und ich also zum Rathaus, und dort steckten wir dem Einsatzleiter der Polizei einen Zettel zu", erzählt Van Gool. Nach einer Viertelstunde sei der Bürgermeister herausgekommen ("Was ist denn los, Roger?") - und habe den Deal abgesegnet: "Er hatte mir ja auch versprochen: Wenn du eine Million bringst, kannst du gehen."
Thielen sei ins Auto gesprungen und zurück nach Köln zur Bahnhofspost gerast. Um fünf vor zwölf habe dort der Schalterbeamte den Brief an den Deutschen Fußball-Bund abgestempelt - was zu einer Zeit, da die Bundespost noch keinen Fax-Service eingeführt hatte, maßgeblich war.
Zum ersten Training, so Van Gool, seien fast 10 000 Fans ans Geißbockheim gekommen. Neugierig seien die Kölner auf ihn gewesen, aber er hatte nicht den Eindruck, dass da jemand vorrechnete, wie viel Geld er den FC gekostet habe. "Das mit der Million hat mich nicht belastet", sagt er. Auch die Debatten, ob ein einzelner Fußballer so viel wert sein könne, ignorierte er. Als Sohn eines Viehhändlers, der das Gewicht von Kühen auf zehn Kilogramm genau schätzen konnte, hatte er ein eher entspanntes Verhältnis zu den Relationen bei der Investition in Fleisch und Beine. Zudem hatte er den Status des Rekordablösespielers bereits in Belgien genossen, bei seinem Wechsel von Antwerpen nach Brügge, damals eine europäische Spitzenmannschaft, war auch schon eine hohe Summe geflossen - umgerechnet sogar mehr als eine Million D-Mark. Und überhaupt: "Ich hab das Geld ja nicht bekommen, und rückblickend muss man sagen, dass ich rentabel war. Als ich 1980 nach Coventry ging, holte Köln die Million wieder rein."