Tennis:Das Aussterben der einhändigen Rückhand

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Ein Bild von einer Rückhand: Roger Federer, der 2022 seine Karriere beendete, spielte sie einhändig. (Foto: Clive Brunskill/Getty Images)

Erstmals seit 1973 ist in den Top Ten der ATP-Weltrangliste kein Spieler mehr mit einhändiger Rückhand vertreten. Würdigung eines Schlages, der die Evolution des Sports erklärt - und den niemand so sehr zur Kunstform erhob wie Roger Federer.

Von Gerald Kleffmann

Als der Name Roger Federer fällt, ist Patrik Kühnen in seiner Begeisterung kaum zu stoppen. "Er hat einfach den einhändigen Rückhand-Slice den Gegnern vor die Füße gespielt, nach dem Motto: Hier haste ihn!", tiriliert er. So habe das Federer in seiner ganzen Karriere gemacht. "Und der Ball ist nach dem Aufsprung so flach gewesen, dass der andere deutlich weniger Gegendruck erzeugen und auch nicht voll durchziehen konnte." Oder der Rückhand-Topspin, jene Technik, bei der der Ball mit Vorwärtsdrall statt Unterschnitt geschlagen wird. "Sie müssen sich auf Youtube ein Video von ihm anzusehen", rät Kühnen, "da gibt es wunderschöne Aufnahmen von Roger. In Super-Slo-Mo! Wie er den Schritt zum Ball macht und wie Robin Hood dasteht! Grandios!"

Kühnen schwärmt nicht nur so, weil er mit 58 Jahren Tennis immer noch wie früher, als er erfolgreicher Profi war und sogar den Davis Cup gewann, regelrecht liebt und als Turnierdirektor des ATP-Turniers in München der Branche seit Langem verbunden blieb. Kühnen praktizierte die Rückhand ebenfalls einhändig, wie Federer, deshalb hat ihn die aktuelle Nachricht in dieser Woche bewegt. Erstmals seit dem 23. August 1973, als die Weltrangliste der ATP-Tour der Männer ihre Premiere erlebte, ist kein Spieler in den Top Ten platziert, der die Rückhand mit einer Hand schlägt. Der Grieche Stefanos Tsitsipas rutschte um eine Position ab, von Rang zehn auf elf, damit war die sporthistorische Zäsur zementiert, was Kühnen bedauert. "Ich habe zu gern die Rückhand einhändig gespielt, und spiele sie heute noch. Für Tennis-Ästheten ist die einhändige Rückhand ein Traum."

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Das ist sie, aber die einhändige Rückhand steht noch für mehr. Über sie lässt sich Tennisgeschichte erzählen, die Evolution dieses Sports. Ihr schleichendes Aussterben zeigt, dass Athletik über Eleganz siegte, dass sich Kraft gegenüber Finesse durchsetzte, dass es auch kein Zurück mehr geben dürfte. In den Anfängen schubste die vornehmlich feine Gesellschaft noch sachte mit einer Hand die Bälle hin und her. Als sich in den 1920er-Jahren das Wettkampftennis, dessen Vorläuferdisziplin Jeu de Paume bis ins Mittelalter zurückreichte, durchzusetzen begann, war es nur eine logische Konsequenz, dass die Rückhand weiterhin einhändig geschwungen wurde. Alle spielten ja so.

Roger Federers Landsmann Stan Wawrinka spielt noch - er gewann auch dank seiner extrem kraftvollen einhändigen Rückhand drei Grand-Slam-Titel. (Foto: Clive Brunskill/Getty)

Diese Entwicklung spiegelte sich auch in der ersten ATP-Weltrangliste wider. In den ersten Top Ten, angeführt vom Rumänen Ilie Nastase, tauchte nur eine beidhändige Rückhand auf. Der Amerikaner Jimmy Connors vollführte diese Griffhaltung als Linkshänder, um sich mit ganzem Körpergewicht in die Bälle zu werfen, sodass seine glatt geschlagenen Rückhandschläge mit seinem legendären Metallschläger wie Baseball-Hiebe aussahen. Connors eroberte so die Nummer-eins-Position und sollte dort, mit Unterbrechungen, insgesamt 268 Wochen bleiben. Für den Durchbruch der beidhändigen Rückhand sorgten später Björn Borg und Chris Evert.

Sie hatten Mühe, die seinerzeit schweren Holzschläger mit einer Hand beim Rückhandschlag zu schwingen. Borgs linke Hand unterstützte den Schub, aber eher als Komparse, denn er ließ sie wieder früh vom Griff. Auf diese Weise konnte er, da er den Schlägerkopf tief hängend nach oben wischte, dem Ball Drall mitgeben. Der Topspin brachte Borg allein in Wimbledon fünf Titel in Serie ein. Die Amerikanerin Chris Evert gewann 18 Grand-Slam-Pokale. Der Clash-of-Backhand-Culture, der Rückhand-Kampf, wurde auch in den zwei großen Duellen jener Ära sichtbar, Borgs und Everts größte Widersacher waren John McEnroe und Martina Navratilova, sie spielten die Rückhand einhändig.

Unverwechselbar: Stefanie Graf war eine der wenigen Frauen, die die Rückhand einhändig spielte. (Foto: Timothy A. Clary/AFP)

Das Machtverhältnis zwischen einhändiger und beidhändiger Rückhand kippte nun. Bis 1990, so hat Sports Illustrated einmal ermittelt, stellten Profis mit einhändiger Rückhand noch mehr als 60 Prozent der Grand-Slam-Sieger. Diese Dominanz war anschließend vorbei. "Das waren damals wirklich spannende Jahre, weil so viele verschiedene Spielertypen aufeinandertrafen", erinnert sich Kühnen, der 1988 Connors in Wimbledon besiegte. Bei den Frauen glänzte Stefanie Graf mit ihrer einhändigen, meist als Slice umgesetzten Rückhand, sie war schon mehr die Ausnahme, als es etwa Boris Becker, Michael Stich und Pete Sampras bei den Männern waren. "Du hast Vorteile bei der beidhändigen Rückhand, was die Power betrifft. Und du kannst den Ball leichter kontrollieren", sagt Kühnen, der als Teenager kurz versucht hatte, auf beidhändig umzustellen. "Aber da war ich längst auf die einhändige konditioniert. Du hast als Beidhänder auch etwas weniger Reichweite. Für mich war das nichts."

Dass die Umstellung in seltenen Fällen gelingen kann, bewies Sampras, der als 14-Jähriger auf einhändig umschulte. Novak Djokovic wäre auch fast diesen Weg gegangen, 2013 schilderte er: "Meine ehemalige Trainerin, Jelena Gencic, wollte eigentlich, dass ich mit einer Hand spiele. Ich fühlte mich sehr schwach, weil die meisten Kinder hohe Bälle auf meine Rückhand spielten, also begann ich, die rechte Hand mit der linken zu stützen. So habe ich angefangen, mit zwei Händen zu spielen."

Andre Agassi, mit Stefanie Graf verheiratet, veränderte das Tennis durch seine Art, wie er die Rückhand beidhändig spielte - die linke Hand führte stark den Schlag. (Foto: John G. Mabanglo/picture-alliance /dpa)

Andre Agassi war es dann, der die beidhändige Rückhand abermals veränderte, seine linke Hand war stark beim Schlagen involviert. Kühnen erklärt diese Technik so: "Bei vielen, die eine beidhändige Rückhand spielen, macht die linke Hand mehr oder weniger den Schlag. Sie übernimmt sozusagen das Zuschlagen." Vor allem Rafael Nadal habe dies perfektioniert. "Ich will nicht sagen, dass Nadal, der ja Linkshänder ist, seine Rückhand mit der rechten Hand fast wie eine Vorhand spielt - aber seine rechte Hand peitscht bei seiner beidhändigen Rückhand richtig in den Schlag rein." Bei Serena Williams war es ähnlich. Die beidhändige Rückhand hat sich dementsprechend durchgesetzt, in Etappen. 2013 war erstmals in Wimbledon keine einhändige Rückhand im Viertelfinale zu sehen, weder bei den Männern noch bei den Frauen. Aktuell spielen in den Top 100 nur elf Männer und drei Frauen mit einhändiger Rückhand.

Die beidhändige Rückhand ist sogar wissenschaftlich bewiesen der effektivere Schlag. Schon vor mehr als 40 Jahren untersuchte der Amerikaner Jack Groppel die Biomechanik beider Schläge, das Ergebnis: Die einhändige Rückhand ist schwieriger, sie erfordert mehr Synchronität zwischen Hüfte, Beinen, Rumpf, Oberarm, Unterarm und Hand. Zwei Japaner wiesen nach, dass die einhändige Rückhand desto schwieriger wird, je höher der Ball ist, den man schlägt. Aus diesem Grund konnte Federer auch nie Nadal bei den French Open besiegen. "Die optimale Höhe für die einhändige Rückhand ist Hüfthöhe", sagt Kühnen.

Dass dieser Schlag bedroht ist, war auch Federer stets bewusst. Er riet schon 2019 seinen vier Kindern zur beidhändigen Rückhand, "weil sie einfacher ist. Wenn sie sie später ändern wollen, werde ich ihnen beibringen, eine einhändige Rückhand zu schlagen". An einem fähigen Lehrer sollte diese Umstellung dann wohl nicht scheitern.

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