Tennis:Die Rückhand des Turnierdirektors

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Sein Paradeschlag funktioniert noch wie früher: Die einhändige Rückhand des Tennis-Pensionisten Tommy Haas bewährt sich auch in Berlin. (Foto: Bernd König/imago)

Wie Tommy Haas mit 42 Jahren bei seinem Kurz-Comeback die Berliner Einladungsturniere belebt.

Von Barbara Klimke, Berlin

Ein Stuhl stand bereit, Kissen lagen aus, und auch auf weiche Daunen hätte man ihn jederzeit betten können; der Turniersponsor war ein Matratzenhersteller. Tommy Haas zog es trotzdem vor, seine Ansprachen nach den Matches im Stehen zu halten. Aus so einem Sitz muss man schließlich auch wieder hochkommen können. Außerdem, so erklärte er, wollte er keinen Krampf riskieren. Haas ist 42, er hatte zwangsläufig ein paar Spiele in seiner Karriere mehr in den Knochen als seine Tenniskonkurrenten, die in Berlin auf der anderen Netzseite standen. Und wie sagte einst der weise Charly Chaplin? Von einem gewissen Alter an tut auch die Freude weh.

Er hätte sich das natürlich nicht mehr antun müssen: drei Jahre nach seinem offiziellen Rücktritt den Gegnern noch einmal mit Karacho die Bälle um die Ohren zu feuern. "Ich kann mittlerweile ganz gut ohne das leben", gab Haas freimütig zu. Seinen Wohnsitz hat der frühere Weltranglistenzweite schon vor Jahren in die USA verlegt und dort auch eine neue Aufgabe als Turnierdirektor in Indian Wells gefunden. Aber tief in seinem Herzen ist er ein Wettkämpfer geblieben. Und so sagte er zu, als sich die Chance ergab, mitten in der Pandemie zwei Mini-Einladungsturniere zu spielen, die sein Manager Edwin Weindorfer unter Infektionsschutzbestimmungen in Berlin organisierte: eines davon beim LTTC Rot-Weiß auf Rasen, das zweite auf Hard Court in einem Hangar des stillgelegten Flughafens Tempelhof. Zudem war da, wie bei vielen zurückgetretenen Sportlern, noch eine kleine Rechnung offen.

An Fitness mangelt es ihm nicht, an Gewicht hat er dem Anschein nach kein Gramm zugenommen, und das Racket schwingt er auch noch regelmäßig in Los Angeles. Einige seiner Freunde seien frühere Collegespieler, erzählte er, andere besitzen ein Häuschen mit Tenniscourt: "Es kann also passieren, dass ich vier- bis fünfmal pro Woche auf dem Platz stehe."

Das reichte, um zum Auftakt am Montag im Grunewald trotz einer Niederlage den erst 18-jährigen Südtiroler Jannik Sinner, eines der größten internationalen Talente, über die Grasnarbe zu scheuchen. Und es reichte, um im zweiten Match am Freitag im Hangar den unermüdlichen Davis-Cup-Spieler Jan-Lennard Struff, Nummer 34 der Weltrangliste, 7:6, 7:6 zu besiegen: jenen Jan-Lennard Struff, gegen den er, Haas, 2017 beim Turnier in Kitzbühel sein letztes Profimatch gespielt hatte; jenen Struff, von dem er damals in zwei Sätzen abgefertigt und in den Ruhestand geschickt wurde. Falls jemand das vergessen haben sollte, so hat Haas bei seiner Ankunft in Berlin freundlich daran erinnert.

Das Hygienekonzept? Vorbildlich, so Tommy Haas

Showmatches, so ließe sich einwerfen, werden womöglich nicht mit letzter Hingabe gespielt. Aber Haas brannte vor Ehrgeiz wie eh und je, und Struff gab im klitschnassen Hemd, Schläger werfend, in diesem Prestigeduell ebenfalls keinen Ball verloren. Wettkämpfe auf höchstem Niveau sind rar dieser Tage, und keiner der 14 geladenen Profis hat die Zeit auf den Courts mit den sonst in diesem Rahmen gern aufgeführten Publikumsspäßen vertrödelt. "Es ist wichtig", sagte Struff, "dass wir überhaupt Matches spielen können."

Verloren hat Haas dann am Samstag im Halbfinale, als er in Tempelhof dem Weltranglistendritten Dominic Thiem gegenüberstand. Als Turnierdirektor hatte er dem Österreicher voriges Jahr den Pokal beim Masters-Sieg in Indian Wells ausgehändigt. Nun streute er ihm unerreichbare Stoppbälle vor die Füße, ehe er sich dem 16 Jahre Jüngeren 6:7, 3:6 geschlagen gab. "Ich konnte ein bisschen mithalten", befand Haas, der Thiem nicht nur wegen dessen einhändiger Rückhand schätzt, die stark an seinen eigenen Paradeschlag erinnert. Doch er spürte ein Zwicken im Oberschenkel, das sich bis ins Knie und die Wade fortsetzte: "Ein Schritt in dem Alter", sagte er, "und schon kann's vorbei sein."

Auf das Spiel um Platz drei am Sonntag musste er verzichten. Er wurde ersetzt vom deutschen Kollegen Mischa Zverev, 32, der prompt gegen den Spanier Roberto Bautista Agut gewann. Andrea Petkovic, die der früheren Wimbledonsiegerin Petra Kvitova am Samstag unterlegen war, besiegte im kleinen Finale Elina Svitolina, 6:4, 7:6.

Thiem gewann gegen Sinner letztlich auch das zweite Berliner Kurzturnier. Schon bevor sich im Tempelhofer Hangar die Tore wieder schlossen, hatte Haas in seiner Doppelrolle als Teilzeit-Aktiver und als Vollzeit-Turnierdirektor ein kurzes Fazit der zwei Berliner Einladungswoche gezogen. Seine eigene Veranstaltung in Indian Wells war im März die erste, die nach Ausbruch der Pandemie hatte abgesagt werden müssen. Deshalb kennt er die Zwänge, unter denen die Organisatoren stehen, besonders in den USA, die wieder einen steilen Anstieg der Covid-19-Zahlen sehen. Das Berliner Hygienekonzept, das die Spieler im Hotel in die Isolation zwang und die Zuschauer an den Turnierorten unter anderem durch eine Desinfektionsschleuse schickte, sei mustergültig organisiert gewesen, sagte Haas: "Man schaut sich sicher das eine oder andere ab." Länder wie Deutschland und Österreich haben seiner Meinung nach generell "vorbildlich gearbeitet" in der Krise: "Bei uns drüben ist es wieder ein bisschen kritischer."

Unter welchen Bedingungen die reguläre Profi-Tour den Betrieb aufnimmt, ist unklar. Tommy Haas zumindest hat die Chance genutzt, ein paar seriöse Bälle zu schlagen. Eine dauerhafte Rückkehr ist aber ausgeschlossen, erklärte er bei einem seiner Vorträge im Stehen. Verständlich: Schließlich ist er in einem Alter, in dem man auch mal sitzen will.

© SZ vom 20.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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