Robert Harting:"Als Typ wird er in der Leichtathletik fehlen"

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Tritt an diesem Sonntag zum letzten Mal bei einem Istaf-Wettkampf an: Diskuswerfer Robert Harting. (Foto: dpa)

Robert Harting war Olympiasieger, Weltmeister, Europameister und noch viel mehr. Heute beendet der Diskuswerfer seine Karriere. Wegbegleiter blicken zurück - auf Erfolge, zerrissene Trikots und auch ein paar Diskussionen.

Gesammelt von Saskia Aleythe und Johannes Knuth

Der Zehnkämpfer

"Wenn man sich in der Weltspitze umschaut, stellt man fest, dass Robert in vielen Bereichen nicht der Allerbeste war. Er war nicht der Stärkste im Bankdrücken, nicht der Schnellste im Sprinten, nicht der, der am weitesten gesprungen ist. Aber das ist wie bei einem Zehnkampf: Wenn ich in jeder Einzeldisziplin Zweiter oder Dritter werde, habe ich am Ende meistens den Wettkampf gewonnen. Das war Roberts größte Stärke: dass er sein Paket am besten zusammengeschnürt hat. Und was er so gut beherrscht hat wie kaum ein anderer, war das Wurfgefühl. Er konnte sehr gut beschreiben, was sein Körper zu jeder Sekunde macht; er wusste ganz genau, welchen Muskel er wie ansteuern muss, um den Diskus maximal zu beschleunigen. Oft hat er sich stundenlang in ein Detail vertieft, zum Beispiel die erste Phase der Wurfrotation. Wenn das nicht ganz genau so geklappt hat, wie er das wollte, hat er daran unnachgiebig gearbeitet. Er hat dann aus Frust auch mal gegen einen Baum getreten, aber das hat wieder Adrenalin freigesetzt, und am Ende des Trainings war er fast immer zufrieden mit seiner Arbeit. Es führen halt viele Wege zum Ziel."

Torsten Lönnfors war von 2013 bis 2016 Trainer von Robert Harting.

Das Mentalmonster

"Robert hat als einer der wenigen Mentales noch sehr geschätzt. Es geht zu einem bestimmten Zeitpunkt im Diskuswurf nicht mehr um Technik, nicht mehr um Kraft. Da muss der Kopf funktionieren, dass man sich sagt: Ich habe nur die nächsten halbe Stunde im Wettkampf und muss meine Leistung bringen. Auch nach dem Motto: So, jetzt komme ich. Das mag arrogant klingen, aber diesen besonderen Biss braucht man, wenn man Olympiasieger werden will. Und diesen Biss hatte Robert. In seinem letzten Jahr konnte er leider nicht mehr so werfen wie gewohnt, weil er durch Verletzungen immer mehr limitiert war. Das war für ihn auch das Hauptproblem, dass er immer mehr wollte, aber nicht mehr alles zu 100 Prozent ging. Da haben wir auch mal Einheiten abbrechen müssen. Wenn die Maschine nicht funktioniert, nutzt auch die beste Software nichts. Ihn hat das ganz viel Quälerei gekostet, aber ich denke, er geht aus diesem letzten Jahr auch mit einer Erkenntnis raus, die ihm vielleicht weiterhilft: dass man nicht immer mit dem Kopf durch die Wand weiterkommt. Er hat alles gegeben, dafür kann ich ihm nur Respekt zollen."

Marko Badura ist seit zwei Jahren Diskus-B undestrainer und betreute bis zuletzt die Trainingsgruppe um Robert Harting.

Der Ehemann

"Was Robert macht, macht er zu 100 Prozent. Diese Eigenschaft verliert er auch nicht, wenn er das Sporttrikot ablegt. Das war zu Beginn unserer Beziehung schon herausfordernd, da haben wir fast nur gestritten ( lacht). Wir sind eben zwei starke Charaktere. Aber wir haben uns mittlerweile ganz gut eingegroovt. Er hat sich über die Jahre schon verändert, sein Studium hat dazu beigetragen, der Sport und unsere Beziehung auch. Seine große Ehrlichkeit hat er noch immer, aber er drückt sie mit mehr Bedacht aus. Das ist manchmal unangenehm, auch im Freundeskreis, aber er meint das nie persönlich oder böse. Ich schätze diese Eigenschaft sehr. Weil ich finde, dass das in unserer Gesellschaft generell etwas verloren geht: dass man Konflikte offen und ehrlich angeht, statt sie zu verdrängen. Und was er sich auch bewahrt hat, ist seine Bodenständigkeit. Als wir in unser neues Haus eingezogen sind, hat Robert sich ein Jahr lang nichts für sein persönliches Vergnügen gekauft. Nicht weil er es nicht konnte, sondern weil er seine Relation zu Geld nicht verlieren wollte. Das liegt vielleicht auch an den einfachen Verhältnissen, in denen er aufgewachsen ist. Ich kann mir jedenfalls keinen besseren Ehemann vorstellen."

Julia Harting gewann 2016 EM-Silber im Diskuswurf und ist seit zwei Jahren mit Robert Harting verheiratet.

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Der große Bruder

"Wir sind zwar Brüder und mittlerweile beide Olympiasieger, ansonsten zwei völlig verschiedene Charaktere. Robert hat ja oft gesagt, dass wir nicht mehr übereinander reden, weil wir wollen, dass unsere Eltern glücklich sind. Was ich aber auf jeden Fall sagen kann, ist, dass ich ihm mehr zu verdanken habe als jeder anderen Person im Sport. Seinetwegen habe ich überhaupt erst mit dem Leistungssport angefangen. Er hat mich von Cottbus nach Berlin in seine Trainingsgruppe geholt, er hat mich viele, kleine Dinge abschauen lassen. Er war es auch, der meine Entwicklung in die Erfolgsbahn gelenkt hat. Für all das bin ich sehr dankbar."

Christoph Harting ist sechs Jahre jünger, dafür sechs Zentimeter größer als Robert (2,07 vs. 2,01 Meter). 2016 wurde er in Rio Olympiasieger im Diskuswurf.

"Robert Harting, der Diskuswerfer, war eine Jahrhundertbegabung, die er mit einem unglaublichen Siegeswillen gepaart hat. Mich hat es immer wieder tief beeindruckt, wie er mit seinem Willen noch Wettkämpfe herumgerissen hat, die schon verloren zu sein schienen. Mit Robert Harting, dem Sportpolitiker, habe ich mir etwas schwerer getan. Da hatten wir oft unterschiedliche Positionen. Manches war sicherlich vor allem als Provokation formuliert, zum Beispiel, als er mir einmal vorgehalten hat, ich würde mein Amt aus dem VIP-Zelt heraus ausüben. Er wusste natürlich genau, mit welchen Formulierungen er medial besonders gut wahrgenommen wird. Persönlich waren wir immer im Gespräch, das lief sehr professionell und sachlich ab. Man muss ihm auch zugute halten, dass er seine Positionen mit zunehmendem Alter mit mehr Bedacht vertreten hat. Seine Forderung, nicht mit ehemaligen Dopingsündern zur Wahl des Welt-Leichtathleten aufgestellt zu werden, war sehr richtig und wichtig. Und als Athletensprecher hat er sich immer außerordentlich für die Belange seiner Kollegen eingesetzt, als Bindeglied zur Teamleitung. Robert Harting, der Teamkapitän, war bei den Athleten und im Verband sehr hoch angesehen. Als Typ wird er in der Leichtathletik fehlen."

Clemens Prokop war von 2001 bis 2017 Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands.

Das Aushängeschild

"Unser Sport ist sowohl auf Champions als auch auf Persönlichkeiten angewiesen, um zu florieren, und Robert hat beides vereint. Er war ein großartiger Diskuswerfer und ein überlebensgroßer Charakter, der sich immer für das eingesetzt hat, an das er geglaubt hat. Ich applaudiere ihm für eine brillante Karriere und hoffe, dass er aktiv in der Leichtathletik involviert bleibt."

Sebastian Coe war in den 80er-Jahren zweimaliger Olympiasieger und Weltrekordhalter auf der Mittelstrecke. Seit 2015 ist er Präsident des Welt-Leichtathletikverbandes IAAF.

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Der Unermüdliche

"Dass Robert sich über den Wettkampf hinaus viele Gedanken über den Sport im Allgemeinen und die Leichtathletik im Besonderen gemacht hat, verdient meine besondere Anerkennung. Auch, dass er die Deutsche Sportlotterie mitbegründete, damit ambitionierte Talente finanziell unterstützt werden können, finde ich beachtenswert. Was ich nicht so gut fand, ist, dass er nach wichtigen Siegen manchmal sein Nationaltrikot zerrissen hat, damit war er kein Vorbild für unsere Jugendlichen und seine Fans. Oder dass er vor der WM 2009 eine eingeschränkte Freigabe von Dopingmitteln befürwortet hatte. Aber da hat im Verlauf seiner Karriere offenbar eine Läuterung eingesetzt. Robert Harting ist für mich ein Ausnahmeathlet, der die Vormachtstellung der deutschen Diskuswerfer eindrucksvoll fortgesetzt hat - in den Fußstapfen der Olympiasieger Rolf Danneberg, Jürgen Schult und Lars Riedel."

Alwin Wagner war Anfang der 80er-Jahre fünf Mal deutscher Meister im Diskuswurf und einer der ersten Sportler, die öffentlich den Dopingmissbrauch in der westdeutschen Leichtathletik anprangerten.

Der Bildermacher

"Sportleibchen, so wie ich eines bin, sind keine Maskottchen. Maskottchen können laufen, springen, Faxen machen, sich Umarmungen erschleichen und in Fotos mogeln - als Sportleibchen der Leichtathleten ist man immer da, und doch meist unsichtbar. Robert Harting hat den Trikots dieser Welt eine neue Sichtbarkeit verliehen, und dafür bin ich, als Vorsitzender der Vereinigung deutscher Sportleibchen (VdS), ihm sehr dankbar. 2009, was war das für eine WM: Angespannt bin ich mit Robert in den Ring gestiegen, von vorne und von hinten mit Nadeln zerstochen, um die Startnummer zu halten - aber diese Schmerzen sind der Preis, den man für den WM-Titel nun mal zahlen muss. Im Moment des Triumphs war ich Robert am nächsten, nichts passte zwischen uns. Dass er mich dann vor den Kameras der Welt zerrupft hat, war wohl das Beste, was mir passieren konnte. Wir Sportleibchen sind ohnehin von großer innerer Zerrissenheit geprägt, als Stofffetzen auf die Welt gekommen, liegt uns das lose Umherflattern in der Natur. Die Fotos von uns beiden sind noch heute im Gedächtnis der Menschen. Am Ende musste dann natürlich noch dieser Berlino, das Maskottchen der WM 2009, auf den Erfolgszug aufspringen. Aber das juckt mich üüüberhaupt nicht."

Robert Hartings zerrissenes Trikot vom WM-Sieg 2009 in Berlin war bei der WM 2011 noch mal als recycelte Fahne in Daegu dabei und ist dann bei 60 Grad eingegangen. Seitdem steht es der Vereinigung deutscher Sportleibchen (VdS) vor.

Der Widersprüchliche

"Wir hatten vor der WM 2009 in Berlin ja einen recht intensiven Schlagabtausch: Da war der Protest der Doping-Opfer-Hilfe gegen das Chemieproblem in der Leichtathletik. Es ging uns da auch um solche belasteten Leute wie Robert Hartings damaligen Trainer Werner Goldmann. Harting reagierte, indem er uns wünschte, dass sein Diskus uns so erwischen solle, dass wir nichts mehr sehen. Das war echt krass. Er hat sich dann zwar nach einigem Hin und Her öffentlich entschuldigt, aber unseren Vorschlag, wir setzen uns mal zusammen und sprechen darüber, was der DDR-Sport tatsächlich war und wie es einem Dopingopfer aus dieser Zeit heute geht, den hat er ausgeschlagen, bis heute. Schade, dass er sich für die Realität offenkundig nicht interessiert, die hier jeden Tag bei uns aufschlägt, zumal es ja andere Aktive gibt, die das durchaus schaffen und einfach mal rumkommen. Ohne Frage kann niemand Robert Harting absprechen, dass er sich zum großen Zugpferd für die Leichtathletik entwickelt hat. Mich würde aber trotzdem weiter interessieren, wie seine Kehrtwende zustande gekommen ist, ich meine, von einem, der Doping einst unbedingt freigeben wollte, zur lauten Anti-Doping-Stimme. Viele frühere DDR-Trainer sind heute weiter präsent, auf der Tribüne der Leichtathletik-EM in Berlin saßen jede Menge DDR-Altstars, die Rekorde sind die alten Rekorde geblieben. Wie sieht Robert Harting das? Er kann doch Druck. Warum da nicht? Ist es nicht Zeit, dass sich der DLV von seinen Hypotheken endlich befreit? Wer, wenn nicht Robert Harting hätte den Punch dafür? Natürlich wünsche ich ihm für sein neues Leben nach der aktiven Zeit alles erdenklich Gute. Und noch das: Unser Büro liegt mitten in Berlin. Vielleicht wird es ja doch noch mit ihm und der DOH. Unser Angebot steht."

Ines Geipel ist ehemalige Leichtathletin und anerkanntes Opfer des staatlich verordneten Dopings im DDR-Sport. Seit 2013 ist sie Vorsitzende der Doping-Opfer-Hilfe.

© SZ vom 02.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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