Rekordnationalspieler Thuram:"Der Fußball kann gesellschaftliche Verhältnisse hinterfragen"

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Lilian Thuram: Mann mit Meinung (Foto: AFP)

Lilian Thuram gewann einst den WM-Titel im eigenen Land, nun kämpft der Franzose gegen Rassismus. Im SZ-Interview spricht er über die Kraft des Fußballs und die Stärken des Gastgebers.

Von Javier Cáceres

Der argentinische Fußballweise Jorge Valdano sagt, dass zu den bemerkenswerten Entwicklungen der Gegenwart gehöre, dass der Fußball zu einem der letzten Orte geworden ist, wo man mit großer Freiheit über ideologische Fragen reden kann. Kann sein, dass das überspitzt ist. Aber dass der Fußball tatsächlich ein Ort ist, wo mitunter Gedanken geäußert werden, die anderswo nicht (mehr) zu hören sind, hat einen Grund, den der französische Rekordnationalspieler Lilian Thuram im SZ-Interview (Donnerstagsausgabe) erklärt: "Der Fußball kann gesellschaftliche Verhältnisse hinterfragen. Weil er ein Ort ist, wo Menschen das Wort gegeben wird, die es sonst nie bekommen; viele Fußballer kommen aus benachteiligten Gesellschaftsschichten."

Thuram, 44, kommt selbst aus so einer Schicht. Er wurde in Guadeloupe geboren, auf den Französischen Antillen, und kam mit neun Jahren nach Paris, wo seine Mutter bereits ein Jahr lang als Putzfrau arbeitete, in einer "Banlieue" lebte, einem dieser Vororte, die als konfliktreich gelten. "Die meisten Menschen leben nicht in Banlieues, sie kennen sie nicht einmal. Was sie kennen, ist ein Diskurs über die Banlieue. Wir reden nicht von Menschen, die in finanziellen Schwierigkeiten leben, denen man Chancengleichheit einräumen sollte. Wir sagen: Die Armen sind gefährlich!", sagt Thuram.

Thuram über den Fall Benzema

Auch Real Madrids Stürmer Karim Benzema kommt aus einer Banlieue; er wurde von Nationaltrainer Didier Deschamps für die EM nicht berücksichtigt. Der Grund: Benzemas undurchsichtige Rolle in der sogenannten "Sextape"-Affäre um den Stürmer Mathieu Valbuena, der auch nicht berufen wurde. Benzema stellte in einem Interview in den Raum, Deschamps habe sich dem Druck des rassistischen Teils der französischen Gesellschaft gebeugt.

"Benzema sollte vorsichtiger sein, und wir sollten nicht den Fehler begehen, Benzemas Spiel mitzuspielen. Rassismus ist eine sehr ernste Angelegenheit. Wenn Benzema sagt, er sei grundlos verbannt worden, diskreditiert er jene, die den Rassismus bekämpfen - und jene, die ihn tatsächlich erleiden", sagte Thuram, der sich selbst dem Kampf gegen den Rassismus verschrieben hat, eine Stiftung unterhält, die seinen Namen trägt.

Er betreibt diesen Kampf mit großem Ernst, er ist sich zu schade, ein Feigenblatt zu mimen. Vor ein paar Jahren lehnte er es daher auch ab, der Regierung des ehemaligen Staatschefs Nicolas Sarkozy als Integrations-Beauftragter zu dienen. Sarkozy hatte zuvor als Innenminister gesagt, dass man die Banlieues "mit dem Hochdruckreiniger" säubern sollte. Thuram warf ihm Rassismus vor.

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