Radprofi Mathieu van der Poel:Der Weltmeister, der aus dem Matsch kam

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Mathieu van der Poel bejubelt seinen WM-Titel. (Foto: Robin van Lonkhuijsen/Imago)

Erst der WM-Titel im Cross, dann der auf der Straße: Mathieu van der Poel gelingt ein ungewöhnliches Double. Es ist kein Zufall, dass Fahrer mit Querfeldein-Hintergrund so erfolgreich sind - doch zugleich erstaunt ihre Unermüdlichkeit.

Von Johannes Aumüller

Falls der neue Straßen-Weltmeister ein wenig Inspiration für künftige radsportliche Projekte wünscht, kann er gerade kaum einen geeigneteren Ort finden als den seines eigenen Triumphes. In Glasgow richtet der Rad-Weltverband (UCI) momentan zum ersten Mal eine WM aus, in der alle Sparten seines Sports gleichzeitig ihre Titelträger ermitteln. Und so kann der Niederländer Mathieu van der Poel nach vollbrachtem Werk nun problemlos schauen, was die Bahnrad-Kollegen so anstellen. Oder die BMX-Freestyler. Oder die Vertreter der Radball-Zunft, die tatsächlich auch andere Weltmeister hervorbringen kann als Jan und Jindrich Pospisil. Vielleicht wäre das ja mal was für ihn.

Vor ein paar Jahren ist van der Poel gefragt worden, ob es irgendetwas gebe, was er nicht könne. "Ich bin ein schlechter Sänger, und tanzen kann ich auch nicht. Ich habe einfach kein Taktgefühl", sagte er dem Bike -Magazin. Aber aus der Welt des Radsports fiel dem Niederländer da nichts ein.

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Und es ist ja in der Tat so: Van der Poel, 28, ist ein ungewöhnlicher Alleskönner. Er hat schon diverse Klassikerrennen gewonnen, bei der Tour de France trug er mal sechs Tage das Gelbe Trikot, und bei der diesjährigen Auflage der Rundfahrt führte er als Anfahrer seinen Alpecin-Kollegen Jasper Philipsen zu vier Etappensiegen im Sprint. Doch zugleich ist van der Poel noch in verschiedenen anderen Disziplinen abseits der Straße erfolgreich - insbesondere im Radcross, also den Rennen durch Matsch, Feld- und Waldwege, wo er schon fünf WM-Titel holte, zuletzt im Februar. Im Cross Country mit dem Mountainbike wiederum hat er in den vergangenen Jahren mehrmals Dauer-Dominator Nino Schurter herausfordern können, und bei der Gravel-WM voriges Jahr belegte er Platz drei.

Die Rennen werden heute aggressiv gefahren, da helfen die Erfahrungen aus dem Crosssport

Van der Poel ist seit seinen Juniorentagen so abwechslungsreich unterwegs und nicht der einzige Fahrer, der aktuell disziplinenübergreifend reüssiert. Allen voran sind da noch der Brite Tom Pidcock oder van der Poels ewiger Gegenspieler Wout van Aert aus Belgien, mit dem er sich schon seit gemeinsamen Tagen in der U12 Duelle liefert und der in Glasgow Silber gewann. Aber seit Sonntag hat ihnen van der Poel etwas voraus: Er ist nun der erste Sportler, der sich gleichzeitig Weltmeister im Cross und auf der Straße nennen darf. Und am Wochenende kann er auch noch Gold im Mountainbike folgen lassen.

Wie auch die Rivalen verfügt er fraglos über eine ungewöhnliche physische Konstitution; aber es ist auch kein Zufall, dass die Fahrer mit Querfeldein-Hintergrund auf der Straße so erfolgreich sind. "Die Rennen heutzutage werden so aggressiv gefahren, und es ist zentral, dass die Fahrer in der Lage sind, die Beschleunigungen und Tempoverschärfungen mitzugehen", sagt Dan Lorang, Performance-Chef beim deutschen Team Bora-Hansgrohe. Dabei helfen nicht zuletzt die Erfahrungen und Eigenschaften aus dem Cross-Segment, wo die Rennen vergleichsweise kurz und nach rund einer Stunde meist schon vorbei sind - aber die Fahrer immer wieder kurz über das Limit gehen müssen.

Der verwinkelte Rundkurs in Glasgow war wie maßgeschneidert für sie: viele Kurven, viele kurze Antritte. Da ließ sich van der Poel nicht einmal davon aufhalten, dass er bei seinem entscheidenden Fluchtversuch 17 Kilometer vor dem Ziel stürzte und schließlich mit zerfetztem Hemd und blutendem Knie das Ziel erreichte. Es bringt wenig, einem ausgewachsenen Radprofi noch Cross-Einheiten zu verordnen, aber jungen Sportlern würde er schon empfehlen, sich "vielfältig aufzustellen und viele verschiedene Reize zu setzen", sagt Lorang.

Zwei Weltmeisterschaften und ein Olympia-Rennen missglückten van der Poel

Doch gleichzeitig erzeugt es immer wieder Erstaunen, mit welcher Unermüdlichkeit Fahrer wie van der Poel oder van Aert ihre Rennprogramme bestreiten und quasi zwei Saisons in einer fahren. Denn es sind ja nicht nur verschiedene Disziplinen mit verschiedenen technischen Anforderungen. Der klassische Aufbau des (Straßen-)Jahres lässt sich nur schwer mit der Cross-Zeit vereinbaren; im Winter, wenn viele Pedaleure die Grundlagen für den Sommer legen, stehen im Matsch die Höhepunkte an. Der Körper hat viel weniger Pausen. "Das ist eine große Herausforderung, das so hinzuplanen", sagt Lorang: "Das ist auch eine Belastung, für den Körper und mental."

Bei van der Poel fiel jedenfalls auf, dass es in seiner Karriere nicht immer stringent nach oben ging. Und dass ihm einige Male der auserkorene Saisonhöhepunkt missriet. Im Vorjahr stieg er beim WM-Rennen in Australien nach 30 Kilometern aus, nachdem er am Abend zuvor Ärger mit zwei Teenagern gehabt hatte, die sich einen Klopfstreich an seiner Hotelzimmertür erlaubt hatten. 2019 verließen ihn in Yorkshire kurz vor dem Ziel plötzlich die Kräfte. Und zwischendurch verpasste er bei den Sommerspielen in Tokio nach einem schweren Sturz im Rennen die erhoffte Goldmedaille im Mountainbike.

Immer wieder litt van der Poel seitdem an Rückenproblemen. Doch zugleich legte er nun das stärkste Jahr seiner Karriere hin: mit dem Doppel aus Straßen- und Cross-WM sowie den Erfolgen bei gleich zwei Monumenten, wie die berühmtesten Rennen des Radsports heißen - bei Mailand-Sanremo und bei Paris-Roubaix. "Das bedeutet mir alles. Das war eines der größten Ziele, die ich noch hatte. Heute zu gewinnen, komplettiert meine Karriere meiner Meinung nach schon fast", sagte van der Poel nach dem WM-Sieg in Glasgow. Er muss halt jetzt mal schauen, was noch so geht, auf der Straße - und daneben.

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