Frühjahrsklassiker:Eine Rivalität, die den Radsport elektrisiert

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Zwei Ausnahmefiguren mit ineinander verhakten Biografien: Mathieu van der Poel (links) und Wout Van Aert. (Foto: Peter De Voecht/Panoramic International/Imago)

Wout Van Aert gilt gerade als der beste Radsportler der Welt, Mathieu van der Poel als derjenige mit einer Prise mehr Talent. Nun spitzt sich ihr ungewöhnliches Duell zu.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Zumindest einmal hat es richtig gekracht zwischen den beiden Radprofis. Im Herbst war das, nach dem Rennen Gent - Wevelgem. Auf den Plätzen acht und neun waren der Belgier Wout Van Aert und der Niederländer Mathieu van der Poel ins Ziel gekommen, und hinterher gab es sogar einen Disput vor den Kameras. Van der Poel sei es gar nicht darum gegangen, selbst zu gewinnen, sondern nur darum, seinen Sieg zu verhindern, ätzte Van Aert - was für ein Unfug, gab van der Poel zurück, er fahre immer, um zu gewinnen.

Es war ein eher seltener Ausbruch. Aber es war auch einer, in dem sich offenbarte: Van Aert, 26, versus van der Poel, 26, das ist eine besondere Konstellation.

Die Rad-Szene fiebert sich gerade von einem Frühjahrsklassiker zum nächsten. Diese Rennen sind grundsätzlich spektakulär, aber in diesem Jahr sind die Umstände noch mal besonders. Im Vorjahr fanden die Klassiker wegen Corona entweder ein paar Monate später oder gar nicht statt. Nun soll wieder der traditionelle Monumente-Dreiklang ertönen: Ostern die Flandern-Rundfahrt, eine Woche später Paris - Roubaix (auch wenn es wegen der in Frankreich steigenden Infektionszahlen Bedenken gibt), danach Lüttich - Bastogne - Lüttich. Und dann ist da noch eine weitere, knisternde Komponente: die Zuspitzung des Duells zwischen Van Aert (Team Jumbo-Visma) und van der Poel (Alpecin-Fenix).

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Seit 2015 teilen sie die WM-Titel im Cross unter sich auf, seit 2017 mischen sie das Straßenmetier auf

Die Branche liebt solche Duelle und ihre detailreichen Verläufe, und am besten ist es für den Radsport, wenn die Konkurrenten sehr verschieden und auf Konfrontationskurs zueinander sind, so wie einst Gino Bartali und Fausto Coppi. Van Aert und van der Poel sind zwar tendenziell harmonisch unterwegs, "wir machen uns gegenseitig stärker", flötete van der Poel erst kürzlich. Aber ihre Konstellation verspricht schon einiges.

Ihre Biografien waren meist ineinander verhakt: Nur 40 Kilometer voneinander entfernt kamen beide zur Welt, sie sind im Grunde seit Kindheitstagen Rivalen. Insbesondere im Radcross dominierte das Duo die Szene, einer in ihren Heimatländern extrem populären Disziplin: Seit 2015 gab es keinen anderen Weltmeister, viermal van der Poel, dreimal Van Aert. 2017/18 begannen sie dann, sich stärker aufs Straßenmetier zu konzentrieren und das Feld dort aufzumischen.

Wout Van Aert bei seinem Sieg bei Gent - Wevelgem zu Wochenbeginn. (Foto: Nico Vereecken/Imago/Panoramic)

Van Aert gewann seitdem unter anderem drei Etappen bei der Tour de France und im Vorjahr WM-Silber sowie den Klassiker Mailand - Sanremo; van der Poel unter anderem das Amstel Gold Race 2019 und die Flandern-Rundfahrt 2020. Van Aert gilt im Moment als der beste Radsportler der Welt. Van der Poel als derjenige, der noch eine Prise mehr Talent hat als der beste Radsportler der Welt.

Beide sind also große Allrounder, aber zugleich gibt es einige Unterschiede. Floris De Tier, ein klassischer Domestike, kann das gut beurteilen: Er ist der einzige aktuelle Profi, der schon mit beiden in einer Mannschaft fuhr. Bis 2019 war er Van Aerts Teamgefährte, seitdem fährt er an van der Poels Seite. "Ich habe im Training oder im Rennen noch keinen anderen Fahrer auf diesem Level gesehen", sagt De Tier am Telefon. Aber es gelte: "Wout ist etwas ernster, strenger und auf das Training ausgerichtet. Matthieu spielt ein bisschen mehr, alles ist einfach für ihn und das zeigt er auch im Training."

Im Rennen kann dieser spielerische Ansatz dazu führen, dass van der Poel - ein Enkel des früheren französischen Spitzenfahrers Raymound Poulidor - auch zu waghalsig erscheinenden Aktionen schreitet. Dann reißt er auch mal Dutzende Kilometer vor dem Ziel aus, weil ihm kalt ist, wie er hinterher scherzt. Das Selbstbewusstsein für eine lange Flucht führt bisweilen zu nichts, wie vor wenigen Wochen beim Rennen Kuurne - Brüssel - Kuurne; oder zu beeindruckenden Siegen, wie bei der Strade Bianche kurz danach. Unterhaltsam ist es immer. Der belgische Rad-Heros Eddy Merckx merkte kürzlich an, in Sachen Intuition erinnere ihn van der Poel an sein eigenes Tun.

Mathieu van der Poel während des E3 Saxo Bank-Rennens am vergangenen Wochenende. (Foto: Dirk Waem/AFP)

Solche Aktionen sind Van Aerts Sache tendenziell nicht. Aber er ist auf vielen Feldern stark, bei den kräftezehrenden Eintagesrennen ebenso wie in den Einzelzeitfahren. Bei der Tour de France schaffte er es, an einem Tag die Klassementfahrer seiner Jumbo-Equipe durchs Hochgebirge zu eskortieren und am nächsten Tag bei einer Massenankunft den Sprint für sich zu entscheiden. Es gibt nichts, was man ihm nicht zutraut, ein Sieg bei der Tour inklusive. Dass Van Aert aber nur ernsthaft-verbissen sei, will sein früherer Teamkollege De Tier nicht stehen lassen: "Beide haben Humor, aber es ist nicht dasselbe. Matthieu scherzt viel, Wout macht auch Witze, aber nicht über die gleichen Dinge."

Zwar gibt es für die Klassiker diverse aussichtsreiche Kandidaten, vom letztjährigen Tour-de-France-Sieger Tadej Pogacar bis zum Quickstep-Team um den Franzosen Julian Alaphilippe. Aber das belgisch-niederländische Crosser-Duo scheint in guter Form zu sein, um die Duell-Erwartungen zu bestätigen. Zuletzt gewann Van Aert Gent - Wevelgem, vorher lieferte er sich mit van der Poel und Pogacar bei der Fernfahrt Tirreno - Adriatico diverse Wattrekord-Wettkämpfe, die bei manchen Trainingswissenschaftlern zu kritischen Anmerkungen führten. Das ist freilich nicht unüblich bei derartigen Erscheinungen, aber nicht immer trafen die Pedaleure bei der Verteidigung den angemessenen Ton. Als sich Van Aert bei der Tour 2020 zu den Zweifeln mancher Beobachter über seine Darbietung und die ausdauernde Performance der bärenstarken Jumbo-Equipe äußerte, sagte er: "Es ist ein Mangel an Respekt."

Nur bei einem Höhepunkt des Jahres wird das Duell Van Aert versus van der Poel wohl ausfallen: bei den Sommerspielen in Tokio. Die liegen ohnehin schwer im Kalender, weil erst kurz zuvor die Tour de France endet und kurz darauf schon die WM stattfindet - die vorgesehenen Quarantäne-Regeln erschweren es zusätzlich, an allem mitzuwirken. Unabhängig davon würden die beiden in Tokio wohl unterschiedliche Ziele verfolgen: Van Aert kündigte mal an, sich aufs Einzelzeitfahren zu konzentrieren, van der Poel beschrieb einmal Doppel-Gold im Straßenrennen und im Mountainbiken als Ziel für den Sommer. Auch eine alles andere als gewöhnliche Konstellation.

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