Premier League:Nach Kanes Abschied steigt der Unterhaltungswert

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Starker Einstand bei Tottenham: Der neue Trainer Ange Postecoglou mit Stürmer Heung-min Son. (Foto: Nick Potts/PA Images / imago)

Tottenham ohne Harry Kane? Das war für viele Fans unvorstellbar. Doch die Spurs gewinnen, schießen viele Tore und spielen unter Ange Postecoglou sogar ansehnlich Fußball. Zu Ehren des neuen Trainers wird bereits ein Robbie-Williams-Song umgetextet.

Von Sven Haist, London

Beim Tottenham Hotspur Football Club ging es schon vor dem Amtsantritt des neuen Trainers Ange Postecoglou kurzweilig zu. Seine Vorgänger Antonio Conte und José Mourinho waren bekannt dafür, mit kuriosen Medienauftritten Aufmerksamkeit zu erregen. Mourinho lieferte vor seiner Entlassung im April 2021 das Bonmot, nicht auf die Kritik an seinen Methoden einzugehen, weil ja auch niemand "mit den Leuten von der Nasa über Raketenwissenschaft diskutieren" würde. Auf ähnliche Weise verteidigte sich Conte zwei Jahre später, er holte sogar zu einem memorablen Rundumschlag aus - gegen seine Mannschaft ("egoistische Spieler, die nicht unter Druck spielen wollen") und die Vereinsführung ("seit 20 Jahren nichts gewonnen"). Eine Woche später wurde auch der Italiener rausgeschmissen.

Die Tradition der flotten Aussagen setzt jetzt der schlagfertige Postecoglou, 58, fort. Einem Tontechniker, der ihm voreilig das Mikrofon ansteckte, empfahl er, sich erst mal bei ihm vorzustellen. Und ein Taktik-Lob eines Experten wehrte der Australier mit griechischen Wurzeln kürzlich mit der ironischen Bemerkung ab, er kopiere doch bloß den Kollegen Pep Guardiola. Zuvor hatte ihm der Inselfußball-Kritiker Gary Neville unterstellt, er würde zu denjenigen gehören, die sich am Repertoire des Katalanen bedienen.

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Auf dem Platz jedoch sieht gerade vieles anders aus als unter den beiden Kompaktheitspredigern Conte und Mourinho, bei denen die Ästhetik des Tottenham-Fußballs höchstens sporadisch mit der eigenen Wortgewandtheit mithalten konnte. Die Postecoglou-Spurs hingegen sind bisher so unterhaltsam wie der Trainer selbst. Nach vier Premier-League-Spieltagen liegen sie mit zehn Punkten auf Platz zwei, nur hinter Serienmeister Manchester City.

Tottenham hat bereits elf Ligatore erzielt, zuletzt fünf beim Sieg in Burnley - was doppelt bemerkenswert ist, weil der verlässliche Torjäger Harry Kane für 100 Millionen Euro zum FC Bayern wechselte. Sein Abschied bedeutete bei den Spurs den Beginn einer neuen Zeitrechnung. Diese richtet sich nun mehr nach Kane aus als nach dem Geburtsjahr des Klubs, der soeben 141 Jahre alt geworden ist. Die neue Zählweise lautet 1 n. Kane, Jahr eins nach Kane. Bis zum ersten Saisontor der Londoner schien sich mancher nachtrauernde Spurs-Fan nicht mal sicher zu sein, ob der Ball an der White Hart Lane ohne Kane überhaupt noch weiterrollt.

Entsprechend überschäumend ist die Euphorie nach dem vielversprechenden Start ins Post-Kane-Zeitalter. Schon nach dem ersten Saisonsieg - 2:0 gegen Manchester United - dichtete der Vorsänger der Spurs-Anhänger, James Black, für den neuen Trainer aus Dankbarkeit einen Song-Refrain um. Die Wahl eines passenden Liedes für Angelos "Ange" Postecoglou fiel nicht schwer: "Angels" von Robbie Williams. Aber auf den umgeschriebenen Text, der nur wirkt, wenn er im englischen Original gelesen wird, muss man erst mal kommen:

"And through it all / we'll play the way we want to / with big Ange Postecoglou / whether I'm right or wrong. It's big Ange ball / so you can keep your Pochettino, Conte and Mourinho / and even Christian Gross. Cause everywhere we go / I'm loving big Ange instead."

Zu den Zugängen, die sich bestens einfügen, gehört der aus Wolfsburg gekommene Micky van de Ven

Eingebaut in den Text sind feine Spitzen gegen den jüngst zum Rivalen FC Chelsea gewechselten früheren Spurs-Erfolgscoach Mauricio Pochettino sowie gegen Conte und Mourinho. Und erinnert wird sogar an den 1997/98 bei Tottenham gescheiterten Schweizer Trainer Christian Gross, der bei seiner Vorstellungsrunde weltberühmt wurde, weil er sein Londoner Metroticket hochhielt und als "Eintrittskarte zu den Träumen" pries.

Von dem im Internet viral gehenden Clip bekam auch Robbie Williams schnell Wind. Er sang den neuen Refrain nach, postete ihn auf Instagram und machte ihn so über England hinaus tragfähig. Kurz darauf wurde Postecoglou etwas ungeschickt darauf angesprochen. Ein Reporter wollte wissen, ob er, Postecoglou, eigentlich den Musiker Williams kenne und was er dazu sage, dass ihm mit diesem Lied eine Ehre zuteilwurde, die noch keinem der vielen renommierten Spurs-Trainer zuvor erwiesen wurde.

Die Aussage war Wasser auf die Mühlen des immerzu unterschätzten Postecoglou, der in den beiden Vorjahren jeweils Celtic Glasgow zur schottischen Meisterschaft führte. Er griff sich mehrmals mit der Hand an den Kopf und konterte, dies sei eines der "hinterhältigsten Komplimente", die er je erhalten habe. "Viele unglaublich fantastische Trainer, große Namen, erfolgreich - und dann du, Ange", murmelte der 58-Jährige vor sich hin. Und ob er wisse, wer Robbie Williams sei? "Wo habe ich gelebt, Kumpel?", fragte Postecoglou ebenso scherzhaft wie entsetzt zurück. Aber ja, der Song sei großartig. Ironisch fügte Postecoglou noch an, er werde jetzt gleich aus dem Raum herausschweben und sich einfach gut fühlen.

In etwa so dürfte es gerade den Spurs-Fans gehen, sie erkennen ihr Tottenham nicht wieder. Innerhalb weniger Wochen hat Postecoglou mit seinem forschen, kraftvollen Angriffsfußball den Verein aus seiner Lethargie befreit. Die Mannschaft spielt wieder unbelastet drauflos wie zu besten Pochettino-Zeiten. Allerdings kommt mit Ausnahme des Angreifers Heung-min Son kein Spieler aus dem damaligen Kader mehr regelmäßig zum Einsatz. Die Startelf ist eine Mischung aus starken Zugängen wie Torwart Guglielmo Vicario, Innenverteidiger Micky van de Ven (aus Wolfsburg) und Spielmacher James Maddison - sowie einigen früher verpflichteten Profis, für die Postecoglous Vorgänger kaum Verwendung fanden. Dazu zählen der erfrischende Linksverteidiger Destiny Udogie und im Mittelfeld Yves Bissouma und Pape Sarr.

In dieser Konstellation sind die Spurs gerade dabei, sich in die Herzen der Fans in England zu spielen - obwohl die sonst eher wenig übrighaben für das als unbeliebt geltende Tottenham. Selbst Robbie Williams, bekennender Sympathisant seines Heimatklubs Port Vale nahe Stoke-on-Trent, gab am Ende des Kurzvideos ein wenig zögerlich zu, dass er vermute, jetzt ein Tottenham-Fan zu sein.

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