FC Everton:Der unaufgeregte Weltmann neben Klopp

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Das derzeitige Erfolgsduo des FC Everton hat Bundesliga-Erfahrung: Trainer Carlo Ancelotti (rechts) und James Rodríguez waren beim FC Bayern irgendwann nicht mehr wohlgelitten. (Foto: NICK POTTS/REUTERS)

Der FC Everton spielt in der Premier League überraschend oben mit - auch wegen zwei früheren Angestellten des FC Bayern.

Von Sven Haist, London

Auf der Suche nach einem passenden Trainer war der FC Everton lange nicht zu beneiden gewesen. Das lag weniger an Everton als am FC Liverpool, mit dem sich der Klub den Standort am River Mersey im Nordwesten der Insel teilt. Wer möchte schon in einer Stadt tätig sein, in der Jürgen Klopp der Rivale ist?

Das Charisma des Deutschen und seine Erfolge können einen Kollegen eigentlich nur schlecht aussehen lassen. Seit Klopp im Oktober 2015 in Liverpool aufschlug, verschliss Nachbar Everton sieben Vollzeit- und Interimstrainer. Der Tiefpunkt war erreicht, als der Portugiese Marco Silva nach einem 2:5 gegen Liverpool im Merseyside-Derby in der Vorsaison vom Hof gejagt wurde.

Daraufhin kam im Dezember 2019: Carlo Ancelotti. Und im Gegensatz zu den zuvor angeheuerten Trainern hat Everton in dem Italiener einen Chef gefunden, dem es sogar entgegenzukommen scheint, dass Klopp, der Mann von nebenan, alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Typ unaufgeregter Weltmann aus der Landidylle

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Ancelotti, Typ unaufgeregter Weltmann aus der Landidylle der Emilia-Romagna, versucht gar nicht erst, seinen Klub aus dem Schatten des anderen Klubs zu führen. Mit der Milde eines 61-Jährigen, der alles schon erlebt zu haben scheint, zumal er als Trainer bereits drei Mal die Champions League gewinnen konnte (zwei Mal mit dem AC Mailand, einmal mit Real Madrid), zudem vier Meisterschaften in vier Ländern, akzeptiert Ancelotti die Rangordnung in der Stadt. Und dass sich an dieser in absehbarer Zeit nichts ändern wird. Im Schatten der Roten versuchen die Blauen jetzt, aus ihrem Potenzial mal wieder eine Elf mit Ambition zu entwickeln. Sachlich, ohne Spezialeffekte - und so spielt Everton auch Fußball in dieser Saison.

Drei Siege - erstmals seit 27 Jahren hat der Klub mal wieder einen makellosen Start hingelegt. Dem wegweisenden 1:0 bei Tottenham Hotspur folgte ein 5:2 über Aufsteiger West Bromwich und am Samstag das 2:1 bei Crystal Palace, begünstigt durch den frühen, aber umstrittenen Siegtreffer des Brasilianers Richarlison (40./Handelfmeter). "Ich bin sehr zufrieden mit den Resultaten, das habe ich so nicht erwartet", sagte Ancelotti sachlich - und nach nur drei Minuten waren seine Ausführungen schon wieder beendet.

Im Moment werden auf der Insel die Almanachs gewälzt: Erstmals in der Historie der Premier League erschien möglich, dass Everton nach einem kompletten Spieltag auf Platz eins erscheint. Ähnliches gelang in der Saison 1989/90, da hieß der Wettbewerb aber noch First Division. Da die Spieltage von Samstag bis Montag gestreckt werden, war Everton zunächst mal Tabellenführer über Nacht: von Samstag auf Sonntag. Auch dies eine Wegmarke, denn so eine Mitternachts-Tabellenführung gab es seit August 2007 nicht mehr. Damals war David Moyes der Trainer, in dessen Team sieben Engländer zu den Stammkräften zählten. Nun steht eine internationale Auswahl für den Aufbruch, die vornehmlich Spanisch oder Portugiesisch spricht.

Im Vorjahr befand sich Everton in Abstiegsgefahr, am Ende kam Platz zwölf heraus. Den Sommer nutzte Ancelotti zu Transfers zweier Profis, an denen er auf vorherigen Etappen Gefallen gefunden hatte. Für 25 Millionen Euro kam der Brasilianer Allan aus Neapel, dessen Qualität vor der Abwehr besonders in der Balleroberung liegt. Und mit dem von Real ablösefrei verpflichteten Kolumbianer James Rodríguez erhöhte sich merklich der Spielwitz in der Offensive. Gemeinsam mit James hatte es Ancelotti auch schon in seiner Zeit beim FC Bayern 2016/17 versucht - allerdings nur mit überschaubarem Erfolg. Hinzu kommt der 22 Millionen Euro teure Zugang Abdoulaye Doucouré vom englischen Absteiger FC Watford, der Dynamik ins Mittelfeld bringen soll.

Die Abwehrreihe vor Englands Nationaltorwart Jordan Pickford hält der bei der WM 2018 einem breiteren Publikum bekannt gewordene Kolumbianer Yarry Mina mit Kraft und Energie zusammen. Und vorne im Sturm besitzt Everton in Dominic Calvert-Lewin einen verheißungsvollen Torjäger. Bereits fünf Ligatreffer hat Calvert-Lewin in dieser Saison erzielt, darunter den Siegtreffer gegen Tottenham sowie das Führungstor am Samstag gegen Crystal Palace - nach wunderbarem Spielzug über James und Seamus Coleman. Mit 1,87 Metern Körperlänge verfügt der Engländer, bislang noch ohne A-Länderspiel, über ein erstaunliches Kopfballspiel und die für einen Angreifer wichtigen flinken Drehungen. Unter Ancelotti hat er den größten Sprung nach vorne gemacht. "Das sind aufregende Zeiten für uns, aber davon lassen wir uns nicht mitreißen", sagte Calvert-Lewin zum erfolgreichen Saisonstart.

Für den Pragmatiker Ancelotti schließt sich ein kleiner Schicksalskreis

Der Stimmungswechsel im blauen Teil von Liverpool resultiert auch aus der neuen Ruhe auf der Trainerposition. Der iranische Klubeigentürmer Farhad Moshiri, der den Verein 2016 übernahm, lässt ihm weitgehend freie Hand. Das rentiert sich offenbar, nachdem der FC Everton über Jahre mit eher mäßigem Erfolg viel Geld in Spieler gesteckt hat, die bei Topvereinen ausgemustert worden waren.

Für den Pragmatiker Ancelotti schließt sich jetzt ein kleiner Schicksalskreis. Im Mai 2011 war der Italiener beim FC Chelsea entlassen worden. Nach einer Niederlage in Everton, noch im Kabinentrakt des ehrwürdigen Goodison Park.

© SZ vom 28.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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