Fußball-WM:Portugal ist die Katze des Weltfußballs

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Portugals Ricardo Quaresma und Cristiano Ronaldo. (Foto: REUTERS)
  • Portugal kommt mit einem 1:1 gegen Iran ins Achtelfinale der Fußball-WM.
  • Carlos Queiroz, Portugiese und Irans Trainer sagt: "Wenn es Gerechtigkeit im Fußball gäbe, wäre Iran heute der Gewinner gewesen."
  • Das Phänomen tritt öfter auf, überzeugend spielen die Portugiesen selten - aber eine Niederlage leisten sie sich meistens trotzdem nicht.
  • Die diplomatische Art des Trainers ist ein Faktor, der das Phänomen erklärt.

Von Martin Schneider

In der 94. Minute im dritten Gruppenspiel gegen Iran stand Portugal vor dem Aus - mal wieder. Der Ball flog diagonal zu Mehdi Taremi, er lag auf seinem linken Fuß, nur noch wenige Meter vor dem portugiesischen Tor. Torwart Rui Patrício kam heraus, verkürzte den Winkel, wahrscheinlich war das entscheidend. Taremi schoss, Außennetz. Er begrub sein Gesicht in den Händen, als sei ihm sofort klar geworden, welche monumentale Chance er da hat liegenlassen. Er hätte Iran in die K.-o.-Runde schießen können, zum ersten Mal überhaupt. Portugal wäre raus gewesen. Aber das Team von Trainer Fernando Santos besitzt seit der Europameisterschaft 2016 eine ganz besondere Eigenschaft: Portugal stirbt nicht.

"Das Wichtigste ist, dass wir weiter dabei sind. Das war unser Ziel", sagte Santos nach dem Spiel in Saransk. Carlos Queiroz, Portugiese und Irans Trainer meinte: "Wenn es Gerechtigkeit im Fußball gäbe, wäre Iran heute der Gewinner gewesen." Das kam einem bekannt vor, nach dem 1:0-Sieg der Portugiesen gegen Marokko sagte der für St. Pauli spielende Aziz Bouhaddouz: "Der Sieg von Portugal war eigentlich nicht verdient." Santos meinte damals: "Ich bin nicht glücklich mit unserer Leistung."

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Portugal hat sich also für das Achtelfinale qualifiziert und in zwei von drei Spielen klagte der Gegner, dass man doch eigentlich besser gewesen sei und der Trainer von Portugal widersprach nicht offensiv. Das liegt zum einen im Wesen von Santos. Er ist 63 Jahre alt und viel zu sehr Analytiker, als dass er ein schlechtes Fußballspiel schönreden würde. Es liegt aber auch daran, dass es sich Santos erlauben kann - denn am Ende ist es nun seit zehn Turnierspielen bei EM und WM so, dass sich die Gegner beschweren und er weiterkommt.

Ronaldo wird beinahe zum Anti-Helden

Kurzer Rückblick auf die EM 2016: Die Gruppenphase übersteht Portugal ohne einen Sieg. Drei Unentschieden gegen Island, Österreich und Ungarn reichen dank des kuriosen Turniermodus, im Spielbericht zum Achtelfinale gegen Kroatien liest man nach, dass der Gegner in der 116. Minute der Verlängerung den Pfosten traf, gegen Polen im Viertelfinale kam Portugal im Elfmeterschießen weiter, im Finale gegen Frankreich musste Cristiano Ronaldo verletzt runter - Portugal gewann trotzdem 1:0 nach Verlängerung. Bei dieser WM traf im ersten Gruppenspiel gegen Spanien Ronaldo in letzter Minute per Freistoß zum 3:3, im zweiten Gruppenspiel reichte Marokko eine Chancenflut nicht zum 1:1-Ausgleich und nun der Schuss von Taremi ans Außennetz. Man findet eigentlich kaum ein souveränes Spiel von Portugal - man findet aber auch einfach keine Niederlage.

Portugal ist die Katze des Weltfußballs geworden. Neun Leben - vielleicht sogar mehr. Gegen Iran war es Ricardo Quaresma mit einem traumhaften Außenrist-Schuss, der die entscheidende Aktion hatte. Der Anti-Held des Tages wäre beinahe Cristiano Ronaldo geworden. Erst verschoss er einen Elfmeter gegen Alireza Beiranvand, den Torwart der Iraner. Er ist der Sohn einer Nomadenfamilie, sein Vater verbot ihm einst, Torwart zu sein. Dann zog er alleine nach Teheran, um seinen Traum zu verwirklichen - nun hat er einen Elfmeter des fünffachen Weltfußballers gehalten.

Und dann war da noch der Ellbogen des Weltfußballers. In der 82. Minute wollte er an Gegenspieler Morteza Pouraliganji vorbeilaufen und sein Ellbogen traf den Iraner im Gesicht. Eine Tätlichkeit? Ein Versehen? Nicht eindeutig zu klären, die Videoaufnahmen lassen beide Schlüsse zu, Schiedsrichter Enrique Cáceres bekam einen Hinweis vom Videoschiedsrichter, schaute sich die Szene noch mal an und zeigte Ronaldo die gelbe Karte - er wertete die Aktion also als Foul und nicht als absichtlichen Schlag. In Ronaldos Mimik war nicht zu erkennen, ob ihm bewusst war, dass er durchaus Glück hatte. Irans Trainer Queiroz, der schon beim Elfmeter-Pfiff für Portugal resignierend für kurze Zeit den Innenraum verließ, sagte später: "Ich verstehe nicht, warum Ronaldo nicht Rot gesehen hat."

Queiroz und Ronaldo verbindet eine spezielle Geschichte: Queiroz holte den 19-jährigen Ronaldo von Sporting Lissabon zu Manchester United. Als er dann 2010 Nationaltrainer Portugals wurde, überwarfen sich die beiden. Sein jetziger Nationaltrainer Santos verteidigte Ronaldo dagegen auf der Pressekonferenz, obwohl der Weltfußballer nach dem Spiel wütend vom Platz gestampft war und schon während der Partie mit ausladenden Gesten die Gesamtsituation beklagt hatte. So seien die Besten, sagte Santos. Wenn sie nicht gewännen, seien sie eben verärgert.

Santos' diplomatische Art ist ebenfalls ein Faktor, um das Phänomen Portugal zu erklären. Er hat es geschafft, hinter den beiden Einzelkönnern Ronaldo und Quaresma eine top organisierte Mannschaft zu formen, die jedem Gegner den Spaß am Spiel nehmen kann. Im Tor bringt Rui Patrício bei Turnieren immer seine Leistung - auf Vereinsebene läuft er unter dem Radar, weil er schon sein ganzes Leben lang bei Sporting Lissabon das Tor hütet.

Allerdings: Durch das 1:1 gegen Iran und Spaniens späten Ausgleich trifft Portugal im Achtelfinale auf Uruguay, das seine Gruppe mit drei Siegen und ohne Gegentor gewonnen hat. Hinter den beiden Einzelkönnern Luis Suárez und Edinson Cavani steht eine top organisierte Mannschaft, die jedem Gegner den Spaß am Spiel nehmen kann. Portugal trifft nun also auf eine Art Ebenbild in Himmelblau.

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