Polo:Der Traum von den Gauchos

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"Das ist eine family affair" (v.l.): Anton, Michl, Paul und Emil Grabosch. (Foto: oh)

Die vier Brüder Grabosch bilden die deutsche Polo-Nationalmannschaft bei der EM in Düsseldorf - die kuriose Geschichte der Familie begann mit dem Wunsch eines Sechsjährigen und einem Umzug nach Argentinien.

Von Thomas Becker

Montagfrüh. Ob Kim Grabosch da wohl Zeit hat zum Telefonieren? "Passt schon. Wir verladen nur gerade alles für die EM in Düsseldorf." Ja klar, irgendwie müssen Pferd und Reiter da ja hin, sonst wird das nichts mit dem Spektakel, das seit seinen Anfängen vor 2700 Jahren als Spiel der Könige gilt. Was Grabosch, der Zahnarzt mit vier Praxen in München, nicht sagt: Die 24 Pferde und ihre vier Reiter sind nicht daheim in Holzkirchen, von wo aus es nur geschmeidige 650 Kilometer sind bis in die schöne Stadt am Rhein. Sondern in der Nähe von Barcelona.

Von da aus geht es mit drei 18 Meter langen Transportern erst mal tausend Kilometer weit bis Chantilly bei Paris, sozusagen das Wimbledon der europäischen Polo-Szene, wo auch die Graboschs seit Jahren ihr Hauptquartier samt Wohnwagen und zehn Hektar großer Koppel für insgesamt 40 Pferde haben. Dort bekommen die Tiere erst mal zwei Tage Pause vom Reisestress, bevor der Trupp die restlichen 500 Kilometer bis Düsseldorf absolviert. Und damit willkommen in der total poloverrückten Welt der Familie Grabosch aus Thann bei Holzkirchen.

Die ganze Familie ist in Düsseldorf dabei, vom Enkel bis zum Opa

Wenn sich am Wochenende 32 Spieler, mehr als 200 Pferde und Pferdepfleger aus acht Nationen bei der 14. Polo-Europameisterschaft im Polo Club Düsseldorf treffen, geht das Team aus Italien als Titelverteidiger ins Rennen und muss sich gegen die Mannschaften aus England, Spanien, Österreich, den Niederlanden, der Schweiz, Azerbaidjan und eben Deutschland behaupten. Und die EM-Gastgeber treten mit einem reinen Familienteam als Nationalmannschaft an: den vier Brüdern Paul, 21, Anton, 20, Emil, 18, und Michl, 16, Grabosch. "Das gab es weltweit noch nie", sagt der Papa. Die ganze Familie ist in Düsseldorf dabei, vom Enkel bis zum Opa. Die Mutter ist für die Physiotherapie zuständig, die kleine Schwester für die gute Stimmung, und der Vater ist Trainer, Teamarzt, Fahrer und Pressesprecher. Er sagt: "Das ist eine family affair."

Die Arbeit mit den Pferden ist dagegen Sache der Söhne: junge Pferde einreiten, von Rennpferd auf Polo umschulen, Futter, Hufbeschlag - es gibt reichlich zu tun. Und diese Arbeit mit den Tieren teilen sich die vier Brüder, mit einem gehörigen logistischen Aufwand. Paul und Anton, die beiden Ältesten, absolvieren gerade das Doppel-Studium Medizin und Zahnmedizin in Wien, Emil baut sein Abitur an der Waldorf-Schule in München, Michl geht auch noch zur Schule. Der Plan sieht so aus: Emil geht nach dem Abi für zwei Jahre an die Pferdepflege, die derzeit die beiden Großen während des Studiums übernehmen, indem sie zwischen Wien, dem Winterlager in Barcelona und der Sommer-Base in Chantilly hin und her pendeln. Gerade haben sie dort, im größten Polo Club Europas, auch noch ein internationales Kinder- und Jugend-Camp veranstaltet, 18 Kinder aus Deutschland nach Paris gebracht. Die Idee: europäische Strukturen aufbauen, Sprach-Austausch, nächstes Jahr sollen die Kinder in französischen Familien untergebracht werden; der französische Verband unterstützt die Initiative aus dem Nachbarland.

Die Graboschs als poloverrückt zu bezeichnen, ist eine eher lächerliche Untertreibung. Bei der vergangenen EM 2021 im Ayala Polo Club im andalusischen Sotogrande, der ersten EM-Teilnahme der Graboschs, hatte Paul drei Wochen vor Wettkampfbeginn einen offenen Scheinbeinbruch erlitten, nach einem Pferdetritt - gespielt hat er dennoch, mit Gipsbein und einem vom Papa gezimmerten Zusatzgips um den Reitstiefel herum. Kaum vom Pferd herunter, musste er an Krücken gehen. "Das war schwierig", erinnert sich Vater Grabosch, "die Italiener haben sich dann geweigert, gegen uns weiterzuspielen, weil sie sagten: 'Der Paul ist verletzt! Da können wir nicht voll spielen.' Da musste dann der damals erst 13-jährige Michl ran. Letztlich sind wir Fünfter geworden." Mit dabei war damals noch Christopher Kirsch, ein Mittfünfziger, nun aber ist die deutsche Polo-Nationalmannschaft ein reiner Familienbetrieb.

Mit rund 300 aktiven Spielern ist die deutsche Poloszene recht überschaubar

Schuld an all dem ist eigentlich Graboschs zweitältester Sohn Anton. Der hatte als Sechsjähriger einen Film über argentinische Gauchos gesehen, wollte auch einer werden und steckte seine Brüder mit der Begeisterung an. Wenig später zog die Familie tatsächlich für neun Monate nach Argentinien auf eine Gauchofarm um, lernte den Umgang mit Pferden - und gründete danach das Polo-Team Los Indianos. Auf dem europäischen Festland spielen sie in der höchsten von insgesamt drei Ligen. Mit rund 300 aktiven Spielern ist die deutsche Poloszene recht überschaubar. Polo-Europameisterschaften werden seit 30 Jahren ausgetragen. Mit sechs Siegen, einem zweiten und einem dritten Platz ist England bisher die erfolgreichste Nation, vor Italien mit drei Titeln und Frankreich mit zwei. Ein Wechsel auf die britische Insel, wo Polo nochmal einen anderen Stellenwert hat (König Charles war als Prinz mit Handicap +2 zu seiner besten Zeit ein richtig Guter), kommt für die Graboschs allerdings nicht in Frage: Sie wollen zusammen spielen, als Brüder auf dem Platz, nicht in einem anderen Team. Wenig überraschend, dass die Freundinnen der jungen Männer ebenfalls begeisterte Reiterinnen sind.

Schon vor der Europameisterschaft war der Grabosch-Vierer international unterwegs, trat im Nations Cup für Bayern in Paris an, praktisch als Generalprobe für nächstes Jahr, wenn Polo Teil des Showprogramms bei den Olympischen Sommerspielen sein wird. Wohlgemerkt kein Demonstrations-Wettbewerb, aber natürlich hätte niemand in der Polo-Szene etwas dagegen, wenn der älteste Mannschaftssport der Welt wieder ins olympische Programm aufgenommen würde, wo er von 1900 bis 1936 fünf Mal schon war, ehe er aufgrund der hohen finanziellen und logistischen Anforderungen wieder rausflog. Sollte irgendwer beim IOC Nachfragen zum Thema Logistik haben: Es gäbe da jemanden, der sich auskennt.

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