EM-Silber im Springreiten:Zineday macht dem Bundestrainer Hoffnung

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Springreiter Philipp Weishaupt und Zineday reiten in Mailand auf Platz zwei. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Zum Abschluss der EM in Mailand gewinnt Springreiter Philipp Weishaupt mit Zineday die Silbermedaille. Ein Jahr vor Olympia ist das charakterstarke Pferd ein Geschenk des Himmels für Bundestrainer Becker - wenn es sich nicht für einen Drachen hält.

Von Gabriele Pochhammer

Es gibt gute Pferde, es gibt sehr gute Pferde und es gibt vierbeinige Genies. Bei Springpferden sind letztere diejenigen, die mitdenken im Parcours und nie eine Stange abwerfen, oder fast nie. Dem erst neunjährigen Zineday passierte das bei der Europameisterschaft am vergangenen Wochenende nur ein Mal in fünf schweren Kursen. Sein Reiter, Philipp Weishaupt, wurde damit EM-Zweiter hinter dem Schweizer Steve Guerdat, dessen Stute Dynamix als einzige Zineday noch übertrumpfte: Sie ließ das ganze Wochenende alles liegen, wo es hingehört.

Die Silbermedaille für Weishaupt, 38, war ein versöhnlicher Abschluss eines Championats, bei dem es für Bundestrainer Otto Becker alles andere als rund gelaufen war. Erst blieb Ben, das Pferd von Gerrit Nieberg, weit unter Form, kassierte insgesamt acht Abwürfe. Dann musste Marcus Ehning vor der zweiten Nationenpreisrunde seinen Stargold zurückziehen, weil der Hengst sich morgens in der Box den Rücken verrenkt hatte. Aus der hauchdünnen Führung wurde am Ende nur Platz vier im Mannschaftswettbewerb. Aber viel wichtiger war die Erkenntnis, dass in Zineday ein Pferd zum deutschen Team gehörte, das eine Olympiamedaille gewinnen kann. Das vierbeinige Phänomen im Stall von Ludger Beerbaum, Weishaupts Chef, ist, wie es aussieht, nicht zu verkaufen. Und allein das sollte im vorolympischen Jahr, wenn viele gut betuchte Reiter noch ein Pferd für Paris suchen, den Bundestrainer etwas ruhiger schlafen lassen.

Zineday kommt aus dem Stall von Ludger Beerbaum - und hat berühmte Eltern

Wenn der Braune in die Arena trabt, gehorsam und brav im Takt, dann sieht man ihm nicht an, dass er in seiner Jugend alles andere als ein Musterknabe war, sondern eigensinnig und frech. Er ist ein Kind berühmter Eltern: Seine Mutter Paola wie auch sein Vater Zinedine wurden von Beerbaum selbst im Sport geritten. Zineday wurde in Riesenbeck geboren und wuchs dort zu einem selbstbewussten jungen Hengst heran, der es seinen Reitern nicht leicht machte.

Zunächst kam er in den Beritt von Richard Vogel, Weishaupts Assistenzreiter, dann zu Christian Kukuk, der als Einzelreiter mit Mumbai in Mailand Platz 14 erreichte, Weltklassereiter alle beide. "Es war Zinedays Glück, dass er immer sehr gute Reiter hatte", sagt Weishaupt. Sonst wäre aus ihm womöglich nichts geworden. Er scheute häufig, wehrte sich und war alles andere als "rittig" - so sagt man, wenn ein Pferd leicht und willig auf die Anweisungen des Reiters eingeht. Bei Menschen würde man von einem "Borderline-Syndrom" sprechen. "Er konnte von einer Sekunde zur anderen vom Pony zum Drachen werden", sagt Christian Kukuk. Weniger gute Reiter wären an dem starken Charakter des Pferdes gescheitert, seine Klasse aber stand nie in Frage.

Als Philipp Weishaupts US-amerikanische Sponsorin ihm vor zwei Jahren ein Nachwuchspferd mit Perspektive kaufen wollte, fiel die Wahl auf den Zineday. Sich von einem Pferd zu trennen, wenn ein zahlungskräftiger Kunde kommt, ist das tägliche Brot eines Profis. Da fließen keine Abschiedstränen. Er sei froh gewesen, dass das Pferd in Riesenbeck geblieben sei, erklärte Kukuk sachlich. Weishaupt ließ Zineday kastrieren, aus dem Hengst wurde ein handlicher Wallach, dessen Erfolgskurve steil nach oben zeigte. Der dritte Platz im Großen Preis von Aachen im Juli dieses Jahres zeigte: Zineday ist in den oberen Etagen des Springsports angekommen. Wo ihm die Erfahrung fehlt, hilft ihm die Routine seines Reiters. Noch immer stellt er Weishaupt vor disziplinarische Aufgaben. "Man darf ihm nichts durchgehen lassen", sagt er. "Gibst du ihm den kleinen Finger, nimmt er die ganze Hand."

Der Stall Beerbaum bleibt ein Machtzentrum des Reitsports - auch im Olympiajahr

Ein Jahr vor Olympia ist für den Bundestrainer ein Pferd wie Zineday ein Geschenk des Himmels - wenn der Wallach gesund bleibt. Die ganz große Auswahl hat Otto Becker nämlich nicht für Paris. Einige Reiter setzen inzwischen andere Prioritäten, fahren lieber zu Turnieren der lukrativen Global Champions Tour oder zu den Grand Slam Turnieren wie in Calgary, das diese Woche beginnt. Becker muss viele Kompromisse für seine Reiter eingehen. Er kann ihnen keine verpflichtenden Starts vorschreiben, wie es früher üblich war, und muss auf die Terminwünsche seiner Kandidaten eingehen.

In Mailand waren drei Reiter aus dem Stall Beerbaum im Einzelfinale dabei, Weishaupt, Kukuk und der Ire Eoin McMahon mit Mila, jener Stute, mit der Beerbaum im Juli in Aachen den letzten Parcours seiner Karriere geritten hatte. Er stand auf dem Abreiteplatz, um McMahon bei der Vorbereitung zu helfen, baute ihm die Probesprünge auf, legte Stangen höher oder niedriger - am Ende stand ein respektabler neunter Platz und insgesamt ein überzeugender Auftritt des Stalles Beerbaum. Das springsportliche Machtzentrum in Riesenbeck wird auch im Olympiajahr ein Wörtchen mitzureden haben, darauf kann sich der Bundestrainer schon mal einstellen.

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