Per Mertesacker im DFB-Team:Häuptling Leuchtturm

Lesezeit: 3 min

Deutscher Leuchtturm: Per Mertesacker (in der Mitte) gegen Österreich. (Foto: AFP)

Seine Karriere schwankt stets zwischen Häme und Verehrung, doch Per Mertesacker behauptet seinen Platz im Abwehrzentrum der deutschen Nationalmannschaft. Ganz nebenbei führt er als Fraktionschef den neuen Block des FC Arsenal.

Von Boris Herrmann, Torshavn

Sicherlich, was Toni Kroos gemacht hat, war auch nicht übel. Sein Schuss zum 2:0 gegen Österreich dürfte all jene bestätigt haben, die ihn für einen der torgefährlichsten Mittelfeldspieler Münchens halten. Mit dem rechten Außenrist aus 25 Metern geradeaus ins Netz - das sieht man selbst in dieser Stadt nicht alle Tage. Auch der Bundestrainer hat in dem Moment kräftig in die Hände geklatscht. Wie sich später herausstellte, galt der Applaus aber gar nicht dem Spieler Kroos. Sondern dem Spieler Mertesacker.

Die Vorlage für Kroos kam von Marco Reus. Der hatte den Ball von Mesut Özil erhalten, nachdem zwischenzeitlich auch noch der Österreicher György Garics seinen Schädel hingehalten hatte. Man muss schon ein bisschen zurückspulen vor diesem Tor, um den Beitrag von Per Mertesacker zu entdecken. Joachim Löw ist der Meinung, dass sich das Spulen allemal lohnt. Dabei sieht man nämlich, was er unter "offensivem Verteidigen" mit "högschder In-ten-sität" versteht.

Man sieht, wie sich ein langer deutscher Innenverteidiger tief in der österreichischen Hälfte einen Ball ergrätscht, weil er im entscheidenden Moment nicht zurückweicht, sondern nach vorne rückt. Der Ball landet dann bei Özil, bei Garics, bei Reus und schließlich auf dem Außenrist von Kroos. "Ich habe gemerkt, dass der Trainer nach dem Tor auf mich gezeigt hat, weil er so begeistert war von der Szene", berichtete Mertesacker vor dem nächsten deutschen WM-Qualifikationsspiel auf den Färöern an diesem Dienstag. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Per Mertesacker ist kein Mann, der mit solcherlei Lob hausieren gehen würde, er hat das auf Nachfrage erzählt. Er hätte es im Moment gar nicht nötig, auf seinen Marktwert im Nationalteam hinzuweisen.

Färöer in der WM-Qualifikation
:Die Größten unter den Zwergen

Die Färöer zählen mittlerweile zu den Besten der kleinen Fußballnationen - weit stärker als Andorra oder Liechtenstein. Um in der WM-Qualifikation gegen die deutsche Nationalmannschaft zu bestehen, setzt das Team auf Kunstrasen und schlechtes Wetter.

Von Boris Herrmann, Torshavn

Das hat schon Löw für ihn übernommen. Der Bundestrainer hat seine erfahrenste Defensivkraft am Freitagabend ohne Worte zum Abwehrchef ernannt. Seine kleine Aufstellungs-Überraschung - Mertesacker und Jérôme Boateng auf dem Feld, Mats Hummels auf der Bank - kommentierte Löw so: "Das hat sich Jérôme nach seinen guten Leistungen im Verein verdient." Was er damit eben auch sagte: Mertesacker ist ohnehin unumstritten.

Wer über die schwankenden Leistungen der deutschen Abwehr spricht, der muss unweigerlich bei diesem Leuchtturm landen, dessen Licht mal hell erstrahlt, mal schwach flackert. Neulich, beim 3:3 gegen Paraguay, gab Mertesacker ein bemitleidenswertes Bild ab, er wurde zur Pause ausgewechselt. Auf dem Weg zum gegentorlosen Sieg gegen Österreich hat er sich dann aber als einer der lernfähigsten Löw-Schüler erwiesen. Mal wieder.

Was hierzulande oft ein bisschen untergeht: Nicht nur Boateng, auch Mertesacker hat sich beim Bundestrainer mit guten Leistungen im Verein empfohlen. Arsène Wenger, sein Trainer beim FC Arsenal in London, lobt ihn gerade in höchsten Tönen. Seit dieser Saison führt Mertesacker die Gunners sogar als Kapitän aufs Feld. Das hat nicht nur damit zu tun, dass die eigentlichen Häuptlinge Thomas Vermaelen und Mikel Arteta verletzt sind. Wenger sagt über Mertesacker: "Er hat phantastische Führungsqualitäten." Und das scheint inzwischen nicht nur Löw, sondern auch die britische Fußball-Öffentlichkeit mitbekommen zu haben.

Als Mertesacker vor zwei Jahren kurz vor Transferschluss nach London gewechselt war, wurde er auf der Insel eher mit Argwohn empfangen. So mancher Beobachter wunderte sich über seine grobmotorisch wirkende Abwehrkunst. In der Tat scheint es bei ihm ja immer ein bisschen zu dauern, bis die Befehle aus der Großhirnrinde den Weg in die 1,98 Meter entfernten Fußspitzen gefunden haben. Immer häufiger sind diese Befehle aber richtig. Statistiker haben errechnet, dass Mertesacker in der zurückliegenden Premier-League-Saison kein Fehler unterlief, der zu einem Tor führte. Längst haben ihm die Fans den liebevoll gemeinten Spitznamen "BFG" verpasst, "the Big Fucking German".

Es ist ein Leitmotiv von Mertesackers Karriere, dass seine Kritiken zwischen Häme und Verehrung hin und her pendeln. Vor der EM 2008 wurden er und sein damaliger Innenverteidiger-Kollege Christoph Metzelder von der Bild als die "Brüder Schnarch und Schleich" bezeichnet. Metzelder ("Ich denke, dass ich Schleich war") wurde schon lange nicht mehr in der Nationalelf gesichtet, ebenso wie viele von Mertesackers einstigen Abwehrkollegen von Robert Huth bis Christian Wörns.

DFB und Löw vor Vertragsverlängerung
:Reise in die vollendete Zukunft

Die Vertragsverlängerung mit Bundestrainer Joachim Löw bis 2016 ist offenbar beschlossene Sache. Sollte sich die DFB-Elf auf den Färöern für die WM qualifizieren, könnte es schnell gehen. Denn eine diplomatische Hängepartie wie bei den Verhandlungen vor drei Jahren soll unbedingt vermieden werden.

Von Boris Herrmann

Bruder Schnarch ist immer noch da. Inzwischen hat er 92 Länderspiele angesammelt. Wenn Bastian Schweinsteiger (98) weiterhin so regelmäßig seine Termine beim Deutschen Fußball-Bund absagt, dann ist Mertesacker womöglich der nächste, der die Hunderter-Marke knackt.

Mertesacker, 28, hat sich im Übrigen aufrichtig gefreut, dass der FC Arsenal seine deutsche Spielersammlung gerade um Mesut Özil erweitert hat (Lukas Podolski ist ja auch noch da). Das hebt die Qualität des Teams, aber auch die Aufmerksamkeit für den englischen Ligabetrieb in Deutschland. Die hiesige Öffentlichkeit stellt gerade fest, dass es im Nationalteam neben dem Bayern- und dem Dortmund-Block inzwischen auch einen Arsenal-Block gibt.

Die Münchner werden von Philipp Lahm angeführt, die Dortmunder von Mats Hummels. Es kann jetzt aber nicht mehr lange dauern, bis die Öffentlichkeit merkt, dass der Fraktionschef der Londoner Per Mertesacker heißt.

© SZ vom 10.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: