Pep Guardiola beim FC Bayern:Zauberer sucht Zylinder und Kaninchen

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So hatte er sich seine Rückkehr nach Barcelona nicht vorgestellt: Pep Guardiola leidet im Camp Nou. (Foto: imago)
  • Zweifel an Pep Guardiola? Bisher nicht. Aber es droht ein Autoritätsverlust.
  • Die Bayern und der Trainer müssen ihre Zusammenarbeit nun neu definieren.
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Von Klaus Hoeltzenbein, Barcelona

Wie muss sich ein Trainer fühlen, dessen größtes Streben darin liegt, ein Fußballspiel zu kontrollieren, wie es keinem Trainer vor ihm gelungen ist? Der einem Spiel seinen Willen aufzuzwingen versucht, jedoch nicht, indem er es abwürgt, reduziert, minimiert wie einst der Catenaccio-Trapattoni, der auch einmal dem FC Bayern eine Idee zu vermitteln versuchte. Es war eine, die in totalem Kontrast stand zu dem, was Pep Guardiola heute anstrebt. Nur: Trapattoni hatte oft ein 0:0 ermauert - ein 0:3 beim FC Barcelona zu erklären hatte er niemals.

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"Ich kann den Fußball nur auf diese Weise auffassen", begann Pep Guardiola seinen Erklärungsversuch. Das Problem war, dass der FC Barcelona seinen Fußball nahezu deckungsgleich auffasst, kein Wunder, hatte doch Guardiola selbst die Katalanen von 2008 bis 2012 dazu erzogen. Zu dieser simplen, doch so kompliziert umzusetzenden Idee, dass der Gegner niemals gut sein kann, wenn er den Ball nicht besitzt. Als sich dann am Mittwoch aus diesem Gleichlauf der Systeme fast schon ein Patt zu entwickeln schien, wurde die Pep-Idee entzaubert. Von einem, mit dem zusammen er sie einst bis fast zur Perfektion entwickelt hatte, von Lionel Messi. Der Eleve stürzt den Lehrmeister, der Ziehsohn den Ziehvater - dieser Abend hatte viele Elemente einer klassischen Tragödie.

Eine in die Jahre gekommene Mannschaft

Die Abschieds-PK geriet noch einmal zur Zusammenfassung einer Idee: "Es lag nicht nur an Leo", setzte Guardiola an, "Barça hat insgesamt ein sehr ausgeglichenes Team. Alle sind gut. Die einzige Möglichkeit, sie zu stoppen, ist, sie nicht an den Ball zu lassen. Sie so wenig wie möglich am Spiel teilhaben zu lassen." In diesem sport-fachlichen Kurzreferat lag dann auch der gravierende Unterschied zum Vorjahr, zum Halbfinal-K.-o. nach einem deprimierenden 0:4 gegen Real Madrid in München. Damals nahm Guardiola eine Büßerhaltung ein ("Meine Schuld, meine Schuld . . ."), er geißelte sich als denjenigen, der den völlig falschen Spielplan entworfen hatte. Von einer solchen Mea-culpa-Haltung war nun, im Presseraum des Camp Nou, nichts zu erkennen.

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Guardiola wusste, sein Spielplan hatte gestimmt, abgestimmt auf seine verletzungsgeplagte und in die Jahre gekommene Mannschaft. Nur: Gegen Ende dieses intensiven Kampfspiels, unter all dem Energieverlust, ging der schöne Plan, ging die Überlebensstrategie verloren. "Wir wollten den Ball haben", sagte Guardiola, "denn wenn du den nicht hast, sind die nicht zu stoppen." So aber geschah es: vorhersehbar, doch selbst für Guardiola, den Kontroll-Freak, nicht zu verhindern. Obwohl er Messis Spiel am besten kennt.

Die Bayern und Guardiola, daran bestehen kaum Restzweifel, ziehen demnächst weiter in das vertraglich vereinbarte dritte Jahr ihrer Zusammenarbeit. Die strategische Vorbereitung darauf beginnt schon jetzt, spätestens am Dienstag mit Abpfiff des Rückspiels, denn nach allen Erfahrungen der letzten tausend Jahre wird da nichts mehr zu drehen sein. Der FC Messi ist nicht Porto und nicht Donezk, gegen die den Münchnern zu Hause Kantersiege gelangen. Spätestens das dritte Tor durch Neymar zerstörte jede Fantasie von einer weiteren magischen Nacht. Daran wird selbst Guardiola wohl nichts mehr drehen, dazu fehlen ihm in Alaba, Ribéry oder Robben die Offensiv-Optionen. Für alle drei ist die Saison bereits beendet.

Und deshalb verdichteten sich Guardiolas Sätze fast schon zu einem Fazit: "Wir hatten das ganze Jahr schwierige Phasen. Wir hatten seit einigen Monaten Verletzungsprobleme - und sind trotzdem so weit gekommen." Auch ein Zauberer ist nichts ohne sein Werkzeug, ohne Zylinder und Kaninchen.

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Natürlich wäre diese unheimliche Verletzungsserie, begleitet vom Ärztestreit mit Doc Müller-Wohlfahrt, ein Grund für mildernde Umstände im Trainer-Zeugnis. Nur ahnen die Strategen von der Säbener Straße, dass es nicht mehr nur um solche Aspekte geht, sondern dass die Münchner Großwetterlage sich zu drehen droht. Dass sie ihren Trainer, der laut vom Triple sprach, nun werden verteidigen müssen gegen einen heraufziehenden Autoritätsverlust. Der Stab um Chef Karl-Heinz Rummenigge, auch die große Mehrheit in der Mannschaft um Kapitän Philipp Lahm, ist weiterhin überzeugt von diesem grübelnden, akribischen Tüftler. Klub und Team treffen ihr Urteil aufgrund der täglichen Arbeitsanalyse. Schon jetzt aber zeichnet sich ab, dass die Münchner - auch vor ihrer in der Sehnsucht nach ewigem Erfolg erzogenen Bayern-Gemeinde - eine Neu-Definition der Zusammenarbeit vornehmen müssen, ehe sie aus diesem verflixten zweiten ins dritte Jahr einsteigen.

Münchner Maximalansprüche - gesetzt durch das Heynckes-Triple

Guardiola, so heißt es, verstehe und akzeptiere es nicht, dass nur er die Folgen dieser rätselhaften Verletzungsserie zu ertragen habe. Was könne er dafür? Zu vielfältig seien Ursachen und Diagnosen. Vielleicht aber werden die Münchner, wollen sie ihre Beziehung wieder stabilisieren, von ihren Maximalansprüchen abrücken müssen. Die wurden gesetzt durch das Heynckes-Triple von 2013. Und sie wurden verstärkt durch den Hype um einen Trainer, der zunächst an der Grenze zur Unfehlbarkeit angesiedelt zu sein schien. Da wird die Fallhöhe groß, da wird ihm mancher womöglich sogar dieses Spiel in Barcelona in Rechnung stellen. Auch wenn es eines jener Duelle war, das sich vom Programmierer am Spielfeldrand emanzipiert.

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"Ich bin stolz auf meine Mannschaft, auf das, was sie in diesem Jahr geleistet hat", sagte Guardiola, kurz bevor er jenen Ort verließ, an dem er bis 2012 zu Hause war. Da sprach aus ihm wieder der Fatalismus der Fußballer; sonst könnte man ja auch fast irre werden, wenn einem so ein Halbfinale, das man fast schon unter die Kontrolle der eigenen Gedanken gebracht zu haben schien, plötzlich nicht mehr gehorcht. Wenn in einer knappen Viertelstunde die Arbeit einer Saison entgleitet. Wenn er, dieser so stolze Katalane, nun ausgerechnet zu Hause, in seiner Heimat, eine so bittere Auswärtsniederlage zu ertragen hat.

© SZ vom 08.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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