Divock Origi:Ein Füßchen für magische Momente

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Liverpools Divock Origi bei seinem Treffer zum 4:0 gegen den FC Barcelona. (Foto: Phil Noble/Reuters)
  • Divock Origi trifft beim 4:0 des FC Liverpool gegen den FC Barcelona doppelt - unter anderem nach der listigen Ecke von Trent Alexander-Arnold.
  • In Liverpool hat der 24 Jahre alte Belgier normalerweise kaum eine Einsatzchance gegen die berühmten Sadio Mané, Roberto Firmino und Mo Salah.
  • Der Ex-Wolfsburger trifft nicht so oft - aber oft entscheidend.

Von Christof Kneer

Von Mittelstürmern im Fußball heißt es, dass sie auf besondere Art präsent sein müssen. Auf die Mitspieler sollte ein Mittelstürmer beruhigend wirken, die Mitspieler sollten wissen, dass man dem da vorn immer den Ball hinspielen kann, im Zweifel schießt er ihn eh ins Tor. Und die Gegner sollten den Mittelstürmer sehen, wahrnehmen und ein bisschen fürchten.

Manchmal gibt es aber auch Momente, in denen sich ein Mittelstürmer unsichtbar machen muss. Mit professioneller Unauffälligkeit lungerte Liverpools Mittelstürmer Divock Origi am Dienstagabend also zwischen den Verteidigern des FC Barcelona herum, und beim Lungern kam ihm womöglich zugute, dass Barcelonas Spieler ein so auffälliges Kreischgelb trugen, dass man dahinter wunderbar untertauchen konnte. Die Spieler des FC Barcelona erwarteten also einen Eckball, aber sie diskutierten und gestikulierten noch, als Liverpools Trent Alexander-Arnold den Ball nach innen brachte. Origi materialisierte sich aus dem Nichts und schoss den Ball ins Netz - es war das 4:0 und damit jenes Tor, das der FC Liverpool im Rückspiel des Champions-League-Halbfinales brauchte, um das Fußballwunder wahr werden zu lassen. 0:3 hatte die Elf des Trainers Jürgen Klopp das Hinspiel verloren - nun steht sie dank Origis konspirativem Tor unverhofft im Finale.

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Der Fußball überflutet einen mit Bildern, immer wird irgendwo irgendwas gezeigt. Umso bemerkenswerter, wenn sich ein Bild emanzipiert und auf seiner Einzigartigkeit besteht. Dieses Tarnen-und-Täuschen-Tor zum 4:0 war so originell, dass es bleiben wird: wie der Eckballschütze in einem hinreißenden Ablenkungsmanöver erst so tut, als wolle er gar nicht schießen und wie er den Ball dann doch überfallartig zu Divock Origi spielt, der nur für ihn sichtbar und für alle anderen unsichtbar war. Ein Bild für die Ewigkeit, mit dem 24-jährigen Origi im Mittelpunkt.

In Wolfsburg hatte Origi einen Privatlehrer fürs Klavier spielen

Auf den ersten Blick wirkt es kurios, dass nun ausgerechnet Divock Origi in allen Jahresrückblicken auftauchen wird. Origi, Belgier mit kenianischen Wurzeln, ist nur Klopps fünftbester Stürmer, vorige Saison haben sie ihn sogar mal für ein Jahr an den VfL Wolfsburg verliehen, einen Klub, der ebenfalls recht unsichtbar ist. Origis Karriere hat das nicht vorangebracht, in Liverpool hat er weiter kaum Einsatzchancen gegen die berühmten Teamkollegen Mané, Firmino und Salah, die als beste Sturmreihe der Welt verehrt werden. Als vor dem Barcelona-Spiel die Nachricht von den Verletzungen Firminos und Salahs kam, war sich die Welt entsprechend einig: Das kann nichts werden für Klopp und sein Liverpool. Aber dann kam Origi und schoss das 1:0 und das 4:0.

Es gibt diese One-Hit-Wonder immer wieder, Männer für eine Nacht, mit denen sich Erinnerungen an magische Momente verbinden. Die Momente bleiben dann, während der dazugehörige Mann meist wieder verschwindet. Im Falle Origis lässt sich immerhin sagen, dass der Jahresrückblick nicht den falschen Helden feiern wird. Origi hat ein Füßchen für magische Momente, er trifft nicht so oft, aber oft entscheidend - wie im Dezember im brisanten Stadtderby gegen Everton oder voriges Wochenende, als er in Newcastle jenes 3:2 erzielte, mit dem Klopps Elf die Chance auf die englische Meisterschaft erhielt.

Vielleicht ist es so, dass die magischen Momente zu dem kommen, der sie zu schätzen weiß. "Im Leben musst du immer dankbar sein", sagte Origi nach seinem großen Auftritt, "ich bin einfach nur froh, dass ich auf so hohem Level Fußball spielen darf." Origi ist gläubiger Christ und ein kultivierter junger Mann, der Bücher liest, Museen besucht und in Wolfsburg einen Privatlehrer engagierte - fürs Klavierspielen, nicht fürs Toreschießen.

Einen magischen Moment hat der Mann für eine Nacht aber auch in Wolfsburg hinterlassen. Als der VfL am Ende der vorigen Saison zwei Entscheidungsspiele gegen den Abstieg absolvieren musste, da traf selbstverständlich auch Divock Origi ins Tor.

© SZ vom 09.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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