Kunstturnen:Die Pechkette des Lukas Dauser

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Beste Haltungsnoten: 2023 in Antwerpen setzte Lukas Dauser aus Unterhaching am Barren den Weltstandard. (Foto: Geert vanden Wijngaert/AP)

Akute Influenza, Bettruhe: Lukas Dauser, der Weltmeister am Barren, verpasst krank die Europameisterschaft. Doch das muss für ein erfolgreiches Turn-Jahr nichts heißen. Im Gegenteil.

Von Volker Kreisl

Auch Sportler und ihre Betreuer sind abergläubisch. Manche stehen mit dem linken Bein täglich auf, weil eindeutig irgendwie der Erfolg damit zusammenhängt. Andere schnüren ihre Basketballschuhe mit dreifacher statt doppelter Schleife; Ruderer spucken ins Wasser, bevor sie ins Boot steigen. Warum auch nicht, es hilft ja.

Eine besondere Form von Aberglauben könnte nun beim erstklassigen Turner Lukas Dauser und seinen Helfern und Anhängern aufkommen. Nur so ein bisschen, weil derlei Rituale eigentlich fürs Turnen nichts sind. In diesem Sport muss viel gelernt, viel Wissen für Körper, Technik und Kraft angehäuft werden. Jetzt hat sich Dauser kurz vor den Europameisterschaften stark erkältet, doch er und seine Entourage haben einen Grund dafür, dass dieser Sommer ein guter Sommer für den Barren-Weltmeister wird.

Bei der Turn-EM in Rimini testen die Athleten die Frühform. Und natürlich ist dies auch eine Möglichkeit, das Selbstvertrauen für diese Saison zu stärken, etwa mit einem Top-Ten-Platz oder gar einer Medaille. Auch die gesamte Mannschaft kann ein wenig den Teamgeist fördern im Training in der Vorphase in Jesolo bei Venedig, bevor es ein paar Autostunden gen Süden nach Rimini geht - statt des Strandes werden die Turner aber wohl nur eine dunkle Halle mit sechs Geräten sehen. Vom deutschen Team indes werden zwei fehlen: Nämlich Lucas Kochan, der eigentlich endlich seine Karriere beschleunigen will, aber kürzlich einen Kreuzbandriss erlitt - und ja, Lukas Dauser.

"Es ist diesmal ein Krankheitsgefühl, das ich noch nie so hatte"

Der derzeit beste und wichtigste Turner von Trainer Valeri Belenki ist zu Hause in Halle/Saale, wo er aus München im Jahr 2020 hinzog, um mit seinem Coach Hubert Brylok täglich zu üben. Das fällt nun erst einmal aus, Dauser liegt im Bett, mit Fieber und weiteren typischen Symptomen. An Turntätigkeiten jeglicher Art ist nicht zu denken. Dauser gilt nicht als zimperlich, aber diese Grippe sitzt offenbar tief in den Bronchien und sonst wo in den Atemwegen. "Eine akute Influenza in Kombination mit einer bakteriellen Infektion und damit ein zu hohes gesundheitliches Risiko", so die Diagnose, bedeuteten kurz vor der Abreise das Aus. Sechs Tage hohes Fieber hatte er schon, dazu weitere alarmierende Symptome, der Deutschen Presse-Agentur berichtete er von einem "Krankheitsgefühl, das ich in so einem Ausmaß noch nie hatte".

Einerseits bedeutet dies, dass er die EM verpasst, andererseits wartet ja noch ein zweiter noch viel attraktiverer Höhepunkt auf ihn, jener, der vom 26. Juli an in der Bercy-Arena ausgetragen wird, in Paris, bei den Olympischen Spielen.

Natürlich ärgert sich Dauser, dass er sein überragendes Können am Barren nicht zeigen kann, er ist ja schließlich eine Art Profi des Turnens, was juckt ihn jetzt Olympia? Aber Turn-Fans können schon ein bisschen abergläubisch werden angesichts dieser Pechkette, dieser Tendenz, die Dauser in den vergangenen Jahren bei den Europameisterschaften zu schaffen machte.

Die Spiele in Paris sind noch weit genug entfernt, um sich auszukurieren

2021 hatte er bei der EM in Basel noch Bronze gewonnen, das er sich aber gewissermaßen teilen musste, weil der Schweizer Christian Baumann ebenfalls 15,100 Punkte erreichte. 2022 hatte der aus Unterhaching stammende Dauser eine Heim-EM in München; er war voll motiviert, kam in seiner hochklassigen Übung aber aus dem Rhythmus und musste absteigen: Er wurde Achter und Letzter des Barren-Finales. 2023: Kurz vor der EM in Antalya riss ein Muskelbündel in der Schulter. Und nun, 2024: ein Virus.

Bei den Welthöhepunkten seines Sports im Sommer oder Herbst indes hatte Dauser Erfolg: 2021 gewann er die olympische Silbermedaille, 2022 WM-Silber, 2023 WM-Gold. Und 2024 - da sind die Spiele in Paris sind noch weit genug entfernt, um eine EM-Grippe rechtzeitig auszukurieren.

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Weil die Frauen vom Deutschen Turnerbund mit ihrer sehr jungen Riege erst ab 2. Mai in Rimini an die Geräte gehen, liegt der Fokus nun also auf den anderen Männern. Und auch hier ist die Riege nicht wiederzuerkennen. Ohne Dauser und Kochan ist der Grad der Erfahrung deutlich gesunken. Das Team sieht so aus, als hätte nicht der Bundestrainerstab es nach den bewährten Kriterien über Wochen konzipiert, sondern zur Abwechslung ausgewürfelt. Das verbliebene Team hat natürlich ein anderes Gesicht. Die Gruppe lässt sich vorsichtig in drei Teilen denken. Die Erfahrenen, voran Andreas Toba, Reck-Silbergewinner bei der EM 2021, der seine Reckübung aufgestockt hat; aber auch Nils Dunkel (Halle/Saale), EM-Bronze 2022, schließlich der deutsche Mehrkampf-Meister Pascal Brendel (Wetzlar) und Carlo Hörr, 25, der für Dauser nachrückt. Und dann die Jüngsten, Milan Hosseini, 22, und der 18-jährige Gabriel Eichhorn komplettieren die DTB-Riege.

Und dahinter stehen ja noch, für jene, die abergläubisch sind, die unsichtbaren Mächte. Nun haben diese Kräfte die deutsche Männerriege mit dem Barrenspezialisten Lukas Dauser wieder einmal bei einer EM geschwächt. Aber im Sommer, in drei Monaten, wenn der große Höhepunkt ansteht, wird das Gesetz der Serie wieder gelten und ihm aufs Podium helfen. Oder es wird doch viel einfacher sein, denn bei Lukas Dauser entscheidet das Können.

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