Olympia:Timo Boll wird zehn Jahre jünger gespritzt

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Timo Boll leidet im kleinen Finale gegen Südkorea unter Schmerzen am Hals, nur eine Spritzenkur hilft ihm beim Kampf um Bronze. (Foto: AP)

"Tränen der Verzweiflung" hatte der deutsche Fahnenträger im Tischtennis-Bronze-Match gegen Südkorea in den Augen. So sehr schmerzte sein Nacken. Erst nach einer Spritzenkur dreht er auf.

Von René Hofmann, Rio de Janeiro

Nachher waren die Spritzen das große Thema. "Ich habe sie gesehen", erzählte Dimitrij Ovtcharov mit Ehrfurcht in der Stimme, bei dem Anblick sei ihm ganz anders geworden. Timo Boll, dem die Nadeln gegolten hatten, verweigerte die Auskunft, wie viele es gewesen waren: "Ich habe nicht mitgezählt." Nur so viel: "Im ersten Moment habe ich gedacht, es ist vorbei."

Der Moment spielte in dem Doppel, zu dem er nach einer knappen 2:3-Niederlage von Bastian Steger gegen Südkoreas Spitzenspieler Jeoung Youngsik und einem hart erkämpften 3:2 vom Dimitrij Ovtcharov gegen Joo Saehyuk zusammen mit Steger angetreten war. Es stand also 1:1 in der Partie um die Bronzemedaille im Teamwettbewerb, und das Doppel, das war allen Beteiligten klar, würde die Richtung, die diese Partie nehmen würde, entscheidend beeinflussen. Es ging gegen Jeoung Youngsik und Lee Sangsu. Und bei einem Ball, der unerwartet und obendrein noch schnell auf Boll zukam, reagierte dieser mit einem Reflex, der einen Gleitwirbel in seinem Hals in Bewegung setzte.

"Das hatte ich zuletzt schon öfter", berichtete Boll, "ich habe daraufhin versucht, dagegen Nackenmuskulatur aufzubauen. Hier habe ich extra mit Kabeltrainern geübt, und beim Einschlagen ging mir noch durch den Kopf: ,Hoffentlich passiert das heute nicht.'" Es passierte.

Arzt rückt zur Spritzenkur an

Der Wirbel hüpfte zwar schnell wieder dorthin zurück, wo er hingehört. Aber die Muskeln und Bänder, die ihn umgeben, protestierten. Zur ersten Linderung drückte Boll Eis auf seinen Nacken. Das brachte wenig. Beim Stand von 2:2, vor dem entscheidenden Satz, nahm er eine medizinisch begründete Auszeit - und der Arzt rückte zur Spritzenkur an.

Was danach geschah, ist schnell erzählt. Boll und Steger gewannen den fünften Durchgang des Doppels, im folgenden Einzel spielte Boll als sei er keine 35, sondern vielleicht 25; er ließ Joo keine Chance (3:0) und so gewannen nach den deutschen Frauen, die am Abend zuvor nach einem 0:3 gegen China mit Silber dekoriert worden waren, auch die deutschen Tischtennis-Männer eine Medaille.

"Timo hat gezeigt, dass er hart im Nehmen ist. Das traut man ihm manchmal gar nicht so zu", frotzelte Dimitrij Ovtcharov. Der Medaillengewinn ließ sich je nach Perspektive als Triumph des besonderen "Odenwälder-Kampfgeistes" deuten, wie Boll es tat, oder als Erfolg der Pharmazie. Ohne die Spritzen, das räumte Boll ein, hätte er kaum eine Chance mehr gehabt.

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"Ich hatte schon Tränen der Verzweiflung in den Augen", berichtete er. Im ersten Satz seines Einzels habe er "einfach versucht, die Bälle auf den Tisch zu löffeln". Je länger ihm das glückte, desto besser habe die Medizin gewirkt. Erst als der Sieg feststand und das Adrenalin langsam wich, kehrte die Unbeweglichkeit zurück. Als Boll sich mit vorsichtigen Schritten Richtung Umkleide bewegte, fühlt er sich "ein bisschen wie Robocop".

Erstaunlich wenig einfühlsam begegnete Bundestrainer Jörg Roßkopf der Verletzung seines Schlüsselspielers. "Keine Ahnung, was er hat", sagte Roßkopf, "wichtig war, dass er sich durchgebissen und richtig gut gespielt hat. Das zeichnet einen großen Spieler aus." Die Partie wertete der einstige Tischtennis-Profi auf dem Ranking der aufregendsten Erlebnisse seines Lebens auf Platz vier - nach den drei Geburten, die er miterlebt hat. "Wir wussten wie wichtig das Doppel ist", führte Roßkopf aus, "die Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt. Die Medaille ist ein toller Abschluss." Nach Silber 2008 in Peking und Bronze 2012 in London gewannen Boll, Steger und Ovtcharov zum dritten Mal nacheinander eine Olympia-Medaille. Wie es mit ihnen nun aber weitergeht, ist offen. Dass Boll in vier Jahren in Tokio noch einmal an der Platte steht, ist möglich, aber unwahrscheinlich. Dann ist er 39. Wahrscheinlich werden künftig eher die deutschen Tischtennis-Frauen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Diesen glückte in Rio ein Kunststück. Bei den Frauen war seit der Einführung der olympischen Tischtennis-Wettbewerbe 1988 erst eine Medaille nach Europa gegangen. Ihr Team-Silber war die zweite. Zudem glückte es dem Team von Bundestrainerin Jie Schöpp, den Chinesinnen zumindest einen Satz zu entreißen. Petrissa Solja und Shan Xiaona gelang das im Doppel. Zuvor hatten die Chinesinnen im ganzen Turnier nur einen Durchgang abgeben müssen. "Ich bin froh, dass wir das noch geschafft haben", freute sich Jie Schöpp: "Silber ist super, mehr war nicht drin."

Die deutschen Frauen zeigen eine aufsteigende Tendenz: Vor vier Jahren waren sie im Viertelfinale ausgeschieden. Vier Jahre zuvor, 2008 in Peking, war sogar schon in der Gruppenphase Schluss gewesen. Nun überzeugte nicht nur ihr Erfolg. Die erst 22-jährige Petrissa Solja verkündete nach dem ebenso ruhig wie selbstbewusst: "Ich hoffe, dass ich in vier Jahren die Nummer eins bin und der Teamleader sein kann."

© SZ vom 18.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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