Skispringer Karl Geiger bei Olympia:Das Küken fliegt zu Bronze

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Gold? Oder doch nicht? Karl Geiger jubelt nach seinem Sprung auf den dritten Platz derart ausgelassen, als sei er soeben Olympiasieger geworden. (Foto: Zhu Zheng/Xinhua/imago)

Eine Woche lang scheiterte Karl Geiger an der Kleinschanze von Peking. Nun feiert er auf der Großschanze ein überraschendes Olympia-Comeback - und könnte damit dem ganzen Team helfen.

Von Volker Kreisl

Zwei Arten von Siegen sind denkbar. Zum einen der offizielle, der bei Olympia mit Gold-Medaille und Hymne gewürdigt wird. Und zum anderen der inoffizielle, der zum Beispiel ein dritter Platz ist, aber dem Sportler sogar mehr bedeutet.

Zumindest schien dies beim Skispringer Karl Geiger aus Oberstdorf am Samstag zuzutreffen. Als klar war, dass er Bronze sicher hatte, da brach er in Jubel und Freude aus, derart, dass man meinen konnte, er hätte auf der Großschanze von Zhangjiakou soeben Gold gewonnen. Dabei standen nach zwei Durchgängen der Norweger Marius Lindvik als Sieger und der Japaner Ryoyu Kobayashi als Zweiter fest. Aber Lindvik hatte auch kaum Schwierigkeiten in den vergangenen Tagen, er schien sich sogar wohl zu fühlen, auf diesen Schanzen mit ihrem ungewohnten Radius. Ganz anders Geiger, dem so gut wie nichts gelang und der nun verriet, wie es ihm die ganze Woche über so ging - nämlich "dreckig".

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Geiger hat für einen stets auf innere Balance achtenden Skispringer erstaunlich offen über seinen Gemütszustand gesprochen, sein olympisches Tief war ja sogar so weit gegangen, dass er in die Nähe des Wunsches geriet, aufzugeben. "Ich habe keine Ahnung mehr gehabt, was ich hier eigentlich zu suchen habe", erklärte er nun. Ein Sprung nach dem anderen war missraten, und da half es auch nichts, dass auch andere mit den letzten Metern des Anlaufs auf dem Kleinschanzentisch Schwierigkeiten hatten.

Dieser hatte den Springern nicht die übliche Rückmeldung gegeben, über den Druckpunkt, den sie von den meisten Schanzen in Europa gewohnt sind. Die Pekinger Schanzen haben vielmehr einen gleichmäßigen Radius, die Belastung der Muskeln verändert sich nicht, der Absprungpunkt, der bei gut 80 Stundenkilometern aus dem Gefühl kommen muss, war auch für Geiger schwer zu finden: "Ich habe nur Haue gekriegt und eigentlich nie gewusst, wie ich da wieder rauskomme." Doch es steht ja im Olympia-Areal immer auch eine Großschanze, für den zweiten Teil.

Nach seinem Sprung ist Geiger kaum wiederzuerkennen, als wäre dies eine Szene aus einem Fantasy-Film

Die Zeit der Umstellung war zwar knapp, aber Geiger hatte erkannt, dass er hier seine Stärken wieder aufbauen kann. Und ein Athlet, der Hoffnung schöpft, ist zu erstaunlichen Comebacks fähig, oder, wie Geiger es ausdrückte, "es ist mir gelungen, den Schalter im Kopf umzulegen". Als dann nicht nur sein Kopf, sondern auch sein übriger Körper kapiert hatte, wann er hier wie aus der Hocke hinaufschnellen musste, um gleichzeitig hoch und rasant genug zu fliegen, da war es fast schon zu spät - aber eben nur fast.

Nach seinem Flug am Samstag im zweiten Durchgang, mit dem er jenseits der grünen Linie und noch einmal bei 139 Metern landete, war er kaum wiederzuerkennen, als spielte er eine Rolle in einem Fantasy-Film. Der bleiche, nach innen gekehrte Geiger mit dem versteinerten Gesicht verwandelte sich wieder zurück, als hätte ihn jemand von einem bösen Fluch befreit: Geiger strahlte nicht nur, er lachte, er ballte die Fäuste und jauchzte vor Glück.

Plötzlich war alles wieder da. Die Energie, das richtige Gefühl, die souveräne Telemarklandung, die Zuversicht, und natürlich auch die Gratulation seines Freundes Markus Eisenbichler, der im Finale knapp vor ihm an die Reihe kam - nach einer fabelhaften Weite selber noch voller Glückshormone war und die Leaderbox für den Karl sehr gerne räumte.

Am Ende ist Karl Geiger doch noch mit den Pekinger Schanzen klargekommen. Im Teamspringen am Montag ist noch einmal alles möglich. (Foto: Jiang Kehong/imago)

Mit dessen Medaille ist vorerst das am meisten enttäuschende Szenario abgewendet, nämlich ein medaillenloser Gesamtauftritt. Nun haben alle Springer von Bundestrainer Stefan Horngacher mit diesem Abend möglicherweise einen Schub für die letzte Herausforderung erhalten. Im Teamspringen am Montag ist noch einmal alles möglich. Mit Geiger und Eisenbichler, zudem mit dem 22-jährigen Constantin Schmid, der auf Platz 14 landete, steht der Hauptteil der Mannschaft. Über den vierten Startplatz wollte Horngacher erst später entscheiden, nachdem er im Training noch einmal Pius Paschke und Stephan Leyhe verglichen hat.

Die Zuversicht ist jedenfalls zurückgekehrt ins deutsche Skisprung-Team, sie hat den Hauptbetroffenen sogar ziemlich poetisch klingen lassen. Jedenfalls sagte Geiger noch, der Moment, als er merkte, er könne nun doch wieder fliegen, der habe sich angefühlt, als ginge alles von vorne los, "als würde ein neugeborenes Küken aus dem Ei schlüpfen und loslegen". Das Küken ist ziemlich weit gekommen.

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