Olympia:Im IOC rumpelt es gefährlich

Lesezeit: 3 min

Thomas Bach unter den Ringen. (Foto: dpa)

Der Ticket-Skandal um einen der einflussreichsten Männer im Internationalen Olympischen Komitee ist typisch für die Branche. Der hohe ethische Anspruch fällt in sich zusammen.

Kommentar von Thomas Kistner

Gute Nachrichten aus dem Fachhandel: Bettwäsche boomt. Sind die hohen Herrschaften des Fußball-Weltverbandes Fifa oder des Internationalen Olympischen Komitees unterwegs, zieht die Nachfrage nach Laken kräftig an. Wie bei der Verhaftung der bösen Fifa-Buben im Mai 2015 im Zürcher Nobelhotel Baur au Lac, gaben am Mittwoch auch die Bediensteten des Strandhotels Windsor Maripendi im Stadtteil Barra dem IOC-Mitglied Patrick Hickey diskretes Geleit: hinter blütenweißen Bettlaken. Das Prozedere spricht sich offenbar herum.

Der 71-jährige Ire Hickey, Olympia-Chef seines Landes, IOC-Mitglied und seit 2012 Mitglied des IOC-Vorstands - er soll laut brasilianischer Betrugsermittler der Kopf einer Ticket-Schwarzmarkt-Gang sein. Das wäre an sich schon dreist genug. Und doch weist der Fall weit über den Schwarzhandel-Vorwurf hinaus. Er ist typisch für die Branche. Zum einen sind viele der Vorwürfe gegen Hickey und Anverwandte keineswegs neu, sie wurden über Jahren in den Medien erhoben. Den eigenen Granden nicht auf die Finger schauen (übrigens auch bei anderen dubiosen Geschäftstätigkeiten Hickeys, insbesondere in Osteuropa) - so haben es auch die Fifa-Brüder untereinander gehalten. Und so hält man es im IOC. Oder ging das IOC den öfter aufflammenden Vorwürfen gegen seinen Spitzenfunktionär jemals ernsthaft nach? Nie.

Olympia
:IOC-Mitglied Hickey verhaftet

Das Internationale Olympische Kommitee ähnelt immer mehr der Fifa: Ein Vertrauter von Boss Thomas Bach muss sich wegen Ticket-Schwarzhandels verantworten.

Von Thomas Kistner, Rio de Janeiro

Das führt zum zweiten Teil des Problems: Hickey ist einer aus dem inneren Zirkel, dem Kreis um IOC-Präsident Thomas Bach. Und in der olympischen Familie ist es - wie auch in der Fifa-Familie - unvorstellbar, dass Leute mit Zugang nach oben intern in Schwierigkeiten geraten könnten. Schlüsselfiguren wie Hickey sorgen dafür, dass die sogenannte Einheit der Bewegung gewahrt und der Throninhaber souverän bleibt. Sie halten die Herde beisammen, über Druck und Intrigen.

Der verhaftete IOC-Vorstand ist Thomas Bachs enger Vertrauter

Denn sie sitzen überall dort, wo sich was bewegen lässt. In der olympischen Welt ist das die Vereinigung aller Nationaler Olympischen Komitees ANOC, außerdem die Vergabestelle der Fördermittel. An diesen Schalthebeln im IOC sitzt Scheich Ahmed al-Sabah aus Kuwait, der nebenbei auch dem Fifa-Vorstand angehört. Der Scheich hat einen treuen Mitstreiter an der ANOC-Spitze, er ist sein Vizepräsident und heißt, richtig: Patrick Hickey. Der außerdem der Vereinigung aller europäischen NOKs vorsteht, dem EOC. Der mächtige Scheich und der mächtige Ire waren die Wegbereiter, als Bach 2013 den IOC-Thron bestieg. Und sie blieben wichtige Helfer.

Vor den Rio-Spielen ritt Hickey schärfste Attacken gegen alle, die in der Staatsdoping-Affäre um Russland auf einen Komplett-Ausschluss des Teams drängten. Er lag damit voll auf Bachs Linie, und wie geschmeidig die Räder der olympischen Macht ineinander greifen, zeigte sich, als die IOC-Exekutive ihren Beschluss pro Russland (und gegen die Whistleblowerin Julia Stepanowa) kundtat. Richard Pound, der Alterspräsident des IOC, vermutet, dass dieser Beschluss schon vor der Sitzung gefasst war; der kanadische Anwalt verweist auf die Kürze der Zeit, in der das IOC gleich nach seiner angeblichen Russland-Debatte ein perfekt ausformuliertes 20-seitiges Papier dazu vorlegte. Hinterzimmer-Diplomatie.

Ideale, Fairness, Erziehung - wer glaubt dem IOC das noch?

Doch die olympische Zwischenbilanz sieht gerade so aus: Staatsdoping ohne harte Konsequenz. Ein Dopingtest-Programm in Rio, das von Experten verspottet wird - es hakt es an allen Ecken und Enden, weil überforderte Freiwillige ihren Aufgaben nicht nachkommen. Die ausgesperrte Whistleblowerin Stepanowa, die nun sogar in ihrem Versteck in den USA Personenschutz benötigt, weil Hacker offenbar versucht haben, ihren Aufenthaltsort herauszufinden. Abstruse Affären im Boxen und Gewichtheben, über die das IOC hinweglächelt. Erstaunliche Rekorde, über deren Natur künftige Nachtests Auskunft geben müssen.

Und jetzt auch noch Hickey, der Mann hinterm Laken.

Es rumpelt gefährlich in der Ära Bach - der deutsche Strippenzieher muss aufpassen, dass er nicht in den Sog eines schon spürbaren Niedergangs gerät. Den aufzuhalten er offenkundig außerstande ist.

Es gibt einen Punkt, der das IOC von der Fifa unterscheidet. Bei Olympia ist der ethische Anspruch höher als im Fußball-Entertainment. Ein quasi-religiöses Selbstverständnis ist die Geschäftsbasis des Betriebs, weshalb die Funktionäre allzeit Frömmeleien ausschütten, als stünden sie auf dem Petersplatz. Wirkte das Wortgeklingel schon bei der Eröffnungsfeier bizarr, so lässt sich Bachs Wort zum Sonntag für die Schlussfeier jetzt schon vorformulieren. Es wird um Heldentum und Fairness gehen, um Ideale und Erziehung. Von Bettlaken und anderen olympischen Realitäten wird nicht die Rede sein. Doch der Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit tritt immer klarer zu Tage. Seit Rio stellt sich die Frage, wie lange das IOC damit noch durchkommt.

© SZ vom 19.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Olympia
:Lavillenie erlebt Unfairness in einer neuen Dimension

Der Stabhochspringer Lavillenie wird bei der Siegerehrung erneut ausgepfiffen und muss weinen. Das Verhalten des Publikums ist mehr als unsportlich.

Kommentar von Martin Schneider

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: