Olympia:"Gold glänzt Oranje": Olympia-Rausch sorgt für Boom

Sotschi (dpa) - Sogar der Regierungschef ist berauscht. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte ruft gern bei seinen Eisschnelllauf-Helden in Sotschi an und bedankt sich für die positive Außendarstellung.

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Sotschi (dpa) - Sogar der Regierungschef ist berauscht. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte ruft gern bei seinen Eisschnelllauf-Helden in Sotschi an und bedankt sich für die positive Außendarstellung.

Beim 10 000-Meter-Olympiasieger Jorrit Bergsma klingelte das Handy mitten in der Pressekonferenz. "Es war Ministerpräsident Mark Rutte", erzählte Bergsma. "Er hat mir erzählt, wie stolz das ganze Land auf uns ist." Die Oranjes räumen in Sotschi ab wie nie zuvor bei Olympia. "Oranje überschwänglich", titelte der "Telegraaf". Das Fernsehen freut sich über Rekordquoten - dem Rest der Welt wird die Siegesserie langsam unheimlich.

Nach neun von zwölf Disziplinen haben die Skater aus dem deutschen Nachbarland, das gerade mal so groß ist wie Nordrhein-Westfalen, immerhin 19 von 27 möglichen Medaillen geholt - je sechsmal Gold und Silber, dazu siebenmal Bronze. In der Adler-Arena begleitet die Band "Kleintje Pils" die Siegesgesänge der niederländischen Fans, im überfüllten "Holland-Haus" geht die Party abends weiter. Das bisherige Rekordergebnis bei den Nagano-Spielen 1998 mit elf Medaillen hatte das Oranje-Team bereits zur Halbzeit geknackt.

Bis zu vier Millionen, rund ein Viertel aller Niederländer, lockt die Erfolgswelle vor den Fernseher. In sozialen Netzwerken wird mitgefiebert. "Gold glänzt Oranje", twitterten Fans enthusiastisch zur Übermacht der Niederländer, die auch in den abschließenden Team-Rennen klare Favoriten sind. "Solche Erfolge wird es wohl nie wieder geben. Sie sind einmalig in der olympischen Geschichte", sagte die frühere Vorsitzende des olympischen Sportbundes NOCNSF, Erica Terpstra, dem TV-Sender NOS. "Eisschnelllauf zeigt, wer wir sind und vor allem was wir nicht sind: nämlich der Rest der Welt", spottete die Zeitung "De Volkskrant" und plädierte dafür, das Schauen der 10 000 Meter in Zukunft für Einwanderer zur Einbürgerungspflicht zu machen: "Nicht als Strafe, sondern als Warnung."

Die Sportfans fragen sich, worin diese Erfolgssträhne ihre Ursache hat. Ein Fördersystem wie in Deutschland gibt es nicht. Dafür hat der niederländische Eislauf-Verband KNSB aber rund 150 000 Mitglieder - und nach dem Gold-Rausch von Sotschi erwarten Vereine einen weiteren Zulauf von jungen Mitgliedern. Zum Vergleich: Die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft zählt nur knapp 1200 Mitglieder.

Eisschnelllaufen ist in den Niederlanden Volkssport, aber nicht nur das. Die zahlungskräftigen Profi-Teams können sich aus einem Heer von etwa 15 000 Läufern mit Lizenz bedienen. Die reichlich 40 Vollprofis verteilen sich auf sieben dieser allein von Sponsoren finanzierten Mannschaften, die sportliche Heimat der Sotschi-Sieger ist vielschichtig. Bergsma läuft regelmäßig beim Eis-Marathon, 500-Meter-Champion Michel Mulder betreibt im Sommer Inline-Skating, 1500-Meter-Olympiasiegerin Jorien ter Mors lief in Sotschi beim Shorttrack knapp am Podest vorbei. Die 16 Kunsteisbahnen des Landes sorgen für ideale Trainingsbedingungen.

Die interne Konkurrenz ist enorm. "Ich brauchte zwei ganz starke Läufe, um mich überhaupt für Sotschi zu qualifizieren. Wer da durch kommt, ist Medaillenkandidat bei Olympia", meinte Michel Mulder, der in Sotschi mit Zwillingsbruder Ronald zum Fernsehliebling avancierte. Das Jahreseinkommen von Topstar Sven Kramer wird auf 700 000 Euro geschätzt. Sein Team-Sponsor, das Versicherungs-Unternehmen TVM, pumpte zuletzt jährlich 3,5 Millionen Euro in die Eisschnellläufer. TVM wird sich nach der Saison aber zurückziehen. Der Poker um Kramer hat längst begonnen.

Auch das Wissen der Oranje-Trainer ist in aller Welt gefragt. Rund 10 000 besitzen eine Lizenz. "Spitzentrainer verdienen dort um die 10 000 Euro im Monat. Da können wir nicht mitbieten", sagte der deutsche Verbandsboss Gerd Heinze resignierend. Anders die Norweger: Den Coaches Jac Orie und Gerard Kemkers wurden Angebote unterbreitet, um die Norges wieder zu alter Stärke zu bringen.

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