Der erste Traum vom Fechten entstand beim Fernsehen. 1988 gab es noch keine Super-Zeitlupe, das Florettfechten blieb für Laien oft ein Rätsel, die Regeln durchschaute nicht jeder. Und doch, als der sechsjährige Peter Joppich im Fernsehen verfolgte, wie Anja Fichtel bei den Olympischen Spielen in Seoul Gold gewann, da stand sein Plan fest. Er wollte, wie er damals spontan verkündete, auch so ein "Ritter" werden.
Allerdings ist das Fechten eher kein Abenteuer. Es besteht aus viel Arbeit, Training, mühsamen Lektionen, in denen Angriff, Parade und Riposte, also der Gegenstoß, in allen möglichen Varianten im Trockentraining ausprobiert werden. Fechter müssen reichlich Frust verarbeiten, ehe sie Erfolg haben. Und doch bleibt es ein kleiner Sport, der auch bei Großereignissen oft nur in der stillen Nische stattfindet. Und so fragt man sich, wie es Joppich geschafft hat, gut 20 Jahre lang auf dem höchsten Niveau durchzuhalten, als scheinbar unverwüstliche Hauptfigur, länger als jeder andere bislang im deutschen Fechten.
Nun naht das Karriereende. Joppich und das Florett-Team hatten im Viertelfinale verloren, er stand in der Mixed-Zone der Makuhari-Messehalle B von Tokio und antwortete den beiden Reportern, die gekommen waren, um nach der Zukunft zu fragen. Das deutsche Florett wird sich verändern, die beiden bislang Besten nehmen ihren Abschied. Benjamin Kleibrink, Olympiasieger von 2008, wird Jugendtrainer beim Deutschen Fechter-Bund, und Joppich hat auch schon Alternativen sondiert, wartet zunächst aber noch mit einer endgültigen Entscheidung. Außerdem, sagte er: "Erstmal haben wir ja noch die Platzierungsgefechte." Da geht es um die Ränge fünf bis acht.
Angriff im fliegenden Spagat - auch diese Kunst beherrscht Joppich
Das meint er ernst, denn Joppich ist ein gewissenhafter Sportler. Und man wundert sich, wie es ein derart ruhiger Mensch, der nicht flucht im Gefecht, nicht schimpft, sich nicht mit dem Referee anlegt, der keine Kampfansagen platziert, sondern immer höflich bleibt, ja, nicht mal die Stimme hebt, sondern sachlich antwortet - wie der sich in einem Kampfsport so lange behaupten konnte. Das Fechtmagazin hat einmal analysiert, Joppich sei eben der liebe nette Junge von nebenan. Tatsächlich hat er gute Manieren und bestätigte zum Beispiel, dass es Spaß mache, "in der Fußgängerzone beim Einkaufen erkannt und angesprochen zu werden".
Das kommt von seinen Erfolgen, die der 38-Jährige in den ersten beiden Dritteln seiner Karriere errang. Viermal wurde er Weltmeister, zudem Europameister, und er errang Bronze mit dem Team bei den Olympischen Spielen 2012 in London. Beeindruckend war sein Auftritt bei der WM 2010 in Paris, einer Fecht-Party, auf die sich alle Akteure lange gefreut hatten. Denn sie fand nicht in einer menschenleeren Halle irgendwo im Industriegebiet statt, sondern im Zentrum der Hauptstadt, unter der Glaskuppel des Grand Palais des Champs-Elysees, vor ausverkauften Rängen. Joppich fühlte sich davon inspiriert.
Schon damals lobten die Trainer sein großes Repertoire. Joppich hatte früh verstanden, dass er für jede Situation eine Antwort braucht. So arbeitete er immer an seinen Attacken und Abwehrbewegungen. Er pflegte die Kunst der Sprungangriffe, der zweiten Absicht, also einer Art Falle, oder der Treffer aus der Drehung über die Schulter auf den Rücken des Gegners. Der US-Amerikaner Race Imboden sagte einst, Joppich sei deshalb sein sportliches Vorbild. Verdankt hat er dies seinem langjährigen Trainer Ulrich Schreck, der ihn von Beginn an trainierte. Später sagte er: "Ich hatte das Talent, er hat es geformt." Und gäbe es wie im Turnen auch Namen für Fechtaktionen, so schloss zuletzt DFeB-Sportdirektor Sven Ressel, "dann hätte Peter Anspruch auf etliche". Etwa auf den Angriff hoch in der Luft im Spagat.
Doch ist dies alles das Wichtigste im Sport, zumal in einer Kampfdisziplin? Athleten, die auf einer abgegrenzten Bahn mit Klingen treffen und von ihnen getroffen werden, brauchen vermutlich eine spezielle Energie. Fechter in Aktion sind nicht nett. Allein als zuvorkommender Junge von nebenan hätte Joppich nie diese Karriere geschafft. Und deswegen steckt in ihm wie bei allen Planchen-Cracks neben dem umgänglichen Sportsmann, wie das Fechtmagazin zu Ende dachte, auch ein Killer.
Der sanfte Joppich konnte im Laufe seiner Karriere auch deshalb zu einem der besten Fechter aufsteigen, weil er seine Gegner konsequent getroffen, ausgekontert und mit seinen präzisen Schnellangriffen überrannt hatte. Auch in Teilgefechten war dies nun gelungen, etwa als er im Viertelfinale gegen die USA bei einer ersten Aufholjagd seinen Gegner in die Enge trieb, links fuchtelte und dann rechts traf, zufälligerweise war dies Race Imboden.
"Fechten war immer mein Leben", sagt Joppich in Tokio
Der brauchte sich nicht zu ärgern, denn Joppichs Attacken brachten ja letztlich nichts. Am Ende zogen die US-Fechter locker davon, was auch daran lag, dass die Deutschen einen Rückstand an Gefechten in den vergangenen Monaten hatten. Vor allem aber bestand Schrecks Team wegen Kleibrinks Verletzung nicht aus drei, sondern nur zweieinhalb Fechtern - Ersatzfechter Luis Klein sollte wegen seiner Unerfahrenheit nur im äußersten Fall eingesetzt werden. Kleibrink hatte sich vorab eine Zerrung im Oberschenkel zugezogen und konnte keinen Ausfallschritt ausführen, er ähnelte also einem Schwimmer, der mit einem verletzten Arm krault. Also verlegte sich Kleibrink aufs Verteidigen, konnte sogar einige Treffer setzen, aber es half nichts.
Der letzte Traum vom Fechten, eine Medaille in Tokio, war also irgendwann Utopie. Joppichs Auftritt in Tokio wird nicht mehr in die Sportgeschichte eingehen, aber vieles von dem davor. "Fechten war immer mein Leben", sagte er in der stillen Mixed-Zone noch. Und unabhängig davon, wie lange es noch dauert, in nicht allzu langer Zeit wird er sich verabschieden müssen, von seiner Rolle als aktiver Florettfechter, vom Gefühl des Sieges und auch von dem Killer in sich.