Doping bei Olympia:Aus Washington droht die größte Gefahr

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Kamila Walijewa steht im Fokus der Öffentlichkeit - staatliche Ermittler könnten bald auf ihr Umfeld abzielen. (Foto: Anne-Christine Poujoulat/AFP)

In der Affäre um die russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa geht es um mehr als die üblichen Sport-Sanktionen. Ein neues Gesetz in den USA zielt auf Doping-Hinterleute auf der ganzen Welt.

Von Thomas Kistner

Auf den ersten Blick lässt der Dopingfall um die 15-jährige Russin Kamila Walijewa die üblichen Protagonisten erkennen: die russische Anti-Doping-Agentur (Rusada), die in den noch immer nicht gänzlich aufgerollten Staatsdopingskandal tief verwickelt war, sowie die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) und die olympische Testagentur (ITA) als im Wind flatternde Feigenblätter. Und natürlich das Internationale Olympische Komitee (IOC) als Vorstand dieser Familienbande. Aber: Ganz so einfach wie viele Fälle in der Vergangenheit dürfte der organisierte Sport diese Affäre nicht unter seinem Dach verhandeln können. Denn in den USA gibt es seit Kurzem ein Anti-Betrugs-Gesetz für den Sport, das den Namen eines russischen Überläufers trägt - und das wie gemacht ist für die Causa Walijewa.

Bereits am vergangenen Freitag gab der Senator Ben Cardin, ein Demokrat aus dem Bundesstaat Maryland, den Startschuss. Wladimir Putin, sagte Cardin, benutze Korruption als Instrument der Außenpolitik - Doping bei Olympia inklusive. Dann rief Cardin den Staatsanwalt: "Ich fordere das US-Justizministerium auf, alle mutmaßlichen Dopingverbrechen in Peking zu untersuchen und die Täter nach dem Rodtschenkow-Gesetz zur Verantwortung zu ziehen!"

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Das Ende 2020 in Kraft getretene Dekret stellt Doping bei internationalen Großevents unter Strafe. Im vergangenen Januar hatte die Bundespolizei FBI erste Anklagen zu Dopingfällen verkündet, die sich bei den Tokio-Spielen ereigneten. Das Gesetz - benannt nach dem Whistleblower Grigorij Rodtschenkow, der viel zur Aufdeckung des russischen Staatsdopings bei den Sotschi-Spielen 2014 beigetragen hatte - zielt auf Hinterleute des Betrugs bei Events, an denen amerikanische Athleten, Sponsoren und Sendeanstalten teilnehmen. Also auf fast alle Großveranstaltungen.

Das Gesetz soll Kronzeugen schützen - auch und gerade jene aus Russland

Was symbolisch klingt, hat scharfe Instrumente: Verdächtige, die sich Verfahren entziehen, auch Personen und Organe, die in Abwesenheit verurteilt werden, müssen nämlich Länder meiden, die Auslieferungsabkommen mit den USA haben. Denn Banken und Firmen, die mit Dollar hantieren - also fast alle Institutionen -, können ihrerseits belangt werden, wenn sie Geschäftskontakte mit solchen Personen pflegen. Das gilt auch für Sportverbände. Die Sanktionen umfassen Geldstrafen von bis zu einer Million Dollar - oder bis zu zehn Jahre Gefängnis.

Auch Travis Tygart, der Chef der robusten US-Anti-Doping-Agentur (Usada), findet: Der Rodtschenkow-Act sei wie gemacht für diesen Fall, wie er jetzt dem Nachrichtensender CNN sagte. "Steckt da ein Arzt, Trainer oder Funktionär mit drin" - falls also die 15-Jährige das starke Herzmittel nicht selbst erworben hat -, "dann passt das Gesetz wie angegossen." Und das sei ganz offenkundig der Fall. Auch sonst seien alle Anforderungen des Gesetzes erfüllt: "In Peking läuft ein großer internationaler Wettbewerb, der amerikanische Gelder, Sender und Sponsoren umfasst", sagte Tygart, "auch gibt es dort mehr als drei ausländische Athleten, und mehr als ein US-Athlet trat dort an."

Für die Russen könnte das mehr Gefahr bedeuten, als von den Sportkameraden im IOC droht. Das Gesetz ist nicht nur benannt nach einem aus Moskau geflohenen Whistleblower, es soll solche auch schützen. Das heißt, Flüchtlinge aus dem russischen Sport könnten in den USA auspacken, Straffreiheit erwarten und womöglich neue Existenzen aufbauen. Und noch ein Problem: Die Superläuferin Walijewa steht am Anfang einer großen Karriere, auch dürfte sie keine allzu lange Strafe erwarten - aber könnte diese Laufbahn demnächst beendet sein, weil ihr professionelles Umfeld in kein Veranstalterland mehr reisen kann, weil dort Haftgesuche vorliegen?

Speziell dieser Aspekt setzt auch die Sportverbände unter Druck. Vorneweg das IOC. Das hatte sich lange gegen den Rodtschenkow-Act in Washington gewehrt, sogar Lobbyisten wurden tätig. Für die Apparatschiks um den deutschen Wirtschaftsanwalt Thomas Bach ist eine harte staatliche Kontrolle seit jeher das größte Übel; auf nichts pocht diese Industriesparte heftiger als auf ihre Autonomie. Es wird diesmal also einen Befreiungsschlag brauchen. Denn der Weltsport muss sich auch im freien Westen bewegen können - und die nächsten Spiele finden in Paris (2024), Mailand und Cortina d'Ampezzo (2026) sowie, autsch, in Los Angeles (2028) statt. In der Höhle des Löwen.

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