Olympia:"Dann können wir den Sack zumachen!"

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Deutscher Frust: Paul Biedermann (li. oben) ging bei seinen letzten Spielen leer aus. Alexandra Wenk (re. oben) wurde getadelt, weil sie zu lange schlief. Franziska Hentke und Marco Koch erlebten auch Rückschläge. (Foto: Reuters, dpa(2), Getty)

Vor vier Jahren in London blieben die deutschen Schwimmer erstmals ohne Medaille - jetzt sind sie sogar noch schwächer. Der Bundestrainer holt zum Rundumschlag aus.

Von René Hofmann, Rio de Janeiro

Franziska Hentke, Paul Biedermann und jetzt auch noch Marco Koch. Der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) war mit drei ernst zu nehmenden Medaillenkandidaten zu den Olympischen Spielen nach Rio gereist. Alle drei enttäuschten. Franziska Hentke war nach ihrem Aus im Halbfinale über 200 Meter Schmetterling tief getroffen; weinend schlich sie aus der Arena. Paul Biedermann, der seine Karriere nach Platz sechs in der 4x200 Meter Freistilstaffel beendete, wirkte beinahe erleichtert, dass für ihn nun alles vorbei ist; aufrecht schritt er davon.

Das Gezerre fing noch in der Nacht an, in der Koch böse baden ging

In der Nacht zum Donnerstag nun war Marco Koch an der Reihe, erst seine Leistung über 200 Meter Brust vorzuführen und anschließend seinen Umgang mit der Enttäuschung darüber. Koch entschied sich für die trotzige Variante. "In vier Jahren ist Tokio", konstatierte er und versprach, "morgen fange ich zu trainieren an." Wie das geschehen soll, und wer ihn dabei alles unterstützen soll oder kann: das sind spannende Fragen, über die in den nächsten Wochen und Monaten hart gerungen werden wird. Das Gezerre fing noch in der Nacht an, in der Koch böse baden ging. Aber der Reihe nach.

Marco Koch war als einer der Favoriten zu den Spielen gekommen. Zwei Jahre lang schwamm er konstant voraus, wenn bei internationalen Treffen die Schwimmer über 200 Meter Brust ins Wasser gebeten wurden. Wie Franziska Hentke und Paul Biedermann war ihm deshalb ein Sonderstatus zugestanden worden. Elite-Team nannte der DSV die kleine Gruppe an Auserwählten, der er viele Freiheiten zugestand. Elite-Team - das klang ein wenig nach besonderer Eingreifgruppe, nach einer GSG9 des Schwimmens: Experten, die alle anderen aus der größten nur denkbaren Sport-Katastrophe raushauen können. Vor vier Jahren in London hatte sich die ja ereignet: Zum ersten Mal seit Menschengedenken waren die deutschen Schwimmer medaillenlos geblieben.

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Diese Bilanz könnte in Rio noch mal unterboten werden. Denn bei den Finalteilnehmern, also denjenigen, die es überhaupt unter die besten Acht der Welt über ihre Strecke schaffen, sieht es aktuell für den DSV noch düsterer aus als vor vier Jahren. Und die Plätze unter den ersten Acht sind die Währung, in der mit dem Deutschen Sportbund (DOSB) und dem für den Sport zuständigen Bundesinnenministerium (BMI) Leistungen abgerechnet werden.

Vor seinem Start in Rio hatte Marco Koch eines immer wieder betont: Wer hier gewinnen will, muss Weltrekord schwimmen! Weltrekord! Weltrekord! Weltrekord! Das war so etwas wie sein Mantra gewesen. Als es dann losging in dieser Nacht, in der ein ausdauernder Sprühregen über der Stadt niedergegangen war, der die Temperaturen in der Halle drastisch drückte, zeigte sich aber flugs: Das stimmte gar nicht! Der Kasache Dmitri Balandin näherte sich dem Gold in 2:07,46 Minuten - das lag deutlich über der Bestmarke von 2:07,01. Koch patschte die Hand als Siebter an die Wand, nach exakt 2:08,00 Minuten.

Nicht die Platzierung - die Zeit war die eigentliche Enttäuschung. Kochs Saisonbestzeit, die er bereits im Januar, vor allen Olympia-Trainingslagern, bei einem überschaubaren Schwimmfest in Luxemburg aufgestellt hatte, hätte für Bronze gereicht. Für Gold hätte er keineswegs den Weltrekord knacken müssen, die 2:07,01 des Japaners Akihiro Yamaguchi. Es hätte genügt, wenn er seinen eigenen deutschen Rekord von 2:07,47 Minuten unterboten hätte. Aber das blieben Zahlenspiele. "Ich konnte heute nicht mehr, jetzt muss ich damit leben", sagte Koch.

Die Erkenntnis akzeptieren, dass das alles gewesen sein soll: Das wollen aber keineswegs alle. Das Wasser im Olympic Aquatics Stadium hatte sich kaum beruhigt, da trat Henning Lambertz auf, der Bundestrainer, der nach den Enttäuschungen in London ins Amt gekommen war. Lambertz hielt eine Brandrede. Die Schwimmer. Deren Trainer. Der DSV. Der DOSB. Das BMI. Er selbst. Lambertz legte auf jedem Stockwerk, aus dem das Gebäude der deutschen Schwimmer besteht, munter Feuer.

Generell seien einige "etwas minimalistisch unterwegs" gewesen

"Die Zeiten, die hier geschwommen werden, um Medaillen zu gewinnen, sind auf den Strecken, auf denen wir Chancen haben, alle nicht Lichtjahre entfernt. Die Medaille wird uns auf dem Silbertablett präsentiert. Aber wir wollen sie nicht haben. Wir nehmen die Finger wieder weg und greifen nicht zu", kritisierte er die Athleten. "Man hätte schon etwas mehr im Umfang machen können in den letzten Wochen", kritisierte er Kochs Training und damit auch dessen Trainer. Generell seien einige "etwas minimalistisch unterwegs" gewesen. Auch er selbst habe Dinge versäumt: "Ich hätte an vielen Stellen eingreifen sollen, können, müssen."

Noch ist seine Zukunft nicht geklärt: Der Vertrag des Bundestrainers Henning Lambertz läuft nach den Spielen aus. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Den Gedanken des Elite-Teams will Lambertz "extrem überdenken". Auch die anderen, von ihm geschaffenen Sondereinheiten Olympia-Team und Perspektiv-Team stehen zur Disposition. Am dringendsten aber, findet der 45-Jährige, müsse "ganz oben in der Kette" angesetzt werden, bei den wichtigsten Gliedern, bei denen, die das Geld bewilligen. "Wir haben kaum Möglichkeiten. Es geht bei der Manpower los. Wir sind viel zu wenige. Und es geht bis ins Geld. Wir haben viel zu wenig", klagt Lambertz. Die 27 Pool-Schwimmer des DSV werden in Rio von vier Trainern betreut. Bei den großen internationalen Wettkämpfen in den vergangenen Jahren waren meist mehr als doppelt so viele dabei. Die Betreuer seien heillos überlastet, behauptet Lambertz, der findet: "Wenn man alles immer reduziert, das kann ja nicht funktionieren."

Nach den Spielen wird jeweils festgelegt, wie viel Geld ein Sportverband bis zu den nächsten Spielen an Förderung zufließt. Was geschieht, wenn den Schwimmern nun weniger zukommt? Lambertz: "Dann können wir den Sack zumachen und sagen, das war's. Wenn wir jetzt nicht darüber nachdenken, in den Umkehrschluss zu gehen und zu sagen: Jetzt investieren wir richtig, damit im Schwimmen was passiert, dann können wir es sofort lassen. Dann wird es nullkommanull besser."

Der Vertrag des Bundestrainers läuft nach den Spielen aus. Bis Mittwochnacht sah es so aus, dass der DSV gerne mit ihm weitermachen wollte und Lambertz auch gerne mit dem DSV. Diese Nacht aber, sie stellte vieles in Frage.

© SZ vom 12.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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