Olympia:Captain America und seine Superhelden-Freunde

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Zwischen den Wettkämpfen als Comic-Superheld unterwegs: Ashton Eaton mit einer blauen Kühl-Kappe. (Foto: Franck Fife/AFP)

Ashton Eaton gewinnt zum zweiten Mal den olympischen Zehnkampf - und wird zu einer Sportlegende. Wie jeder große Gewinner profitiert er von einem harten Gegenspieler.  

Von Jürgen Schmieder

Wer es vorher nicht wusste, der weiß es jetzt: Ashton Eaton ist ein Superheld mit übermenschlichen Kräften, wahrscheinlich gar von einem fremden Planeten. Das liegt nicht an der blauen Kopf-Kühl-Kappe, die sich der amerikanische Zehnkämpfer zwischen den einzelnen Disziplinen aufsetzte und damit so aussah wie Captain America. Es lag an dem Wettkampf, den er in Rio präsentierte. Eaton, 28, gewann diesen Zehnkampf mit neuem olympischen Rekord von 8893 Punkten vor Kevin Mayer (Frankreich, 8834 Punkte) und Damian Warner (Kanada, 8666).

Weil es gar so beeindruckend war, was Eaton schaffte, hier zum Zungeschnalzen die Zahlen: 10,46 Sekunden (100 Meter), 7,94 Meter (Weitsprung), 14,73 Meter (Kugelstoßen), 2,01 Meter (Hochsprung), 46,07 Sekunden (400 Meter), 13,80 Sekunden (110 Meter Hürden), 45,49 Meter (Diskus), 5,20 Meter (Stabhochsprung), 59,77 Meter (Speerwurf) und 4:23.33 Minuten (1500 Meter). Wer in diesem Jahr so einen Wert in nur einer Disziplin geschafft hat, dem sei hiermit virtuell auf die Schulter geklopft, alle anderen mögen sich kurz ehrfürchtig verneigen und dann weiterlesen.

Jeder Superheld braucht seinen Gegenspieler - für Eaton war es Mayer

Eaton hatte sich ein paar Jahre lang regelrecht gelangweilt, vor zwei Jahren ist er in Ermangelung menschlicher Kontrahenten eine Saison lang nur 400 Meter gelaufen. Im Zehnkampf, da hatte es lange nur das Duell gegen die eigenen Zahlen gegeben. In Rio wurde er gefordert von Kevin Mayer, der eine persönliche Bestleistung nach der anderen aufstellte und Eaton an eine Grenze trieb, die er ohne Gegner wohl nicht erreicht hätte. Nach dem 1500-Meter-Lauf umarmte er Mayer und sagte: "Thank you!" Dann sank er auf die Knie, er war völlig fertig.

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Jeder Superheld braucht diesen Gegenspieler, er braucht aber auch diesen Moment, in dem er entweder von einer radioaktiven Spinne gebissen wird oder in dem ihm jemand mitteilt, dass er zu größten Taten berufen sei. Vor zehn Jahren versuchte Eaton, sich für ein Stipendium an einer amerikanischen Elite-Uni zu empfehlen. Er war ein brauchbarer Sprinter und Springer, doch in keiner Disziplin herausragend. Sein High-School-Trainer Tate Metcalf regte an, dass er es als Zehnkämpfer packen könnte. "Sicher", soll Eaton gesagt haben: "Aber was ist Zehnkampf?"

Nun, Zehnkampf ist nach wie vor eine der bedeutendsten Disziplinen bei Olympischen Spielen, der Sieger gilt als "König der Athleten". Zuletzt hatte der Brite Daley Thompson zwei Olympia-Goldmedaillen nacheinander gewinnen können, das war allerdings - bei allem Respekt vor Thompsons Leistung - bei den zuerst von den Westnationen und dann vom Osten boykottierten Spielen 1980 und ´84. Eaton gewann in London und in Rio, er verpasste dabei seinen eigenen Weltrekord (9045 Punkte bei der WM in Peking im vergangenen Jahr) nur knapp. "Ich muss Thompson unbedingt kennen lernen und ihm dafür danken, dass er mir etwas zum Jagen gegeben hat", sagte Eaton danach und fügte augenzwinkernd an: "Ob ich drei hintereinander schaffen kann? Das müssen Sie Daley fragen." Thompson wurde bei Olympia 1988 Vierter.

Es gab auch einen deutschen Protagonisten bei diesem Wettbewerb - wobei an dieser Stelle dringend gesagt werden muss, dass jeder Teilnehmer an einem olympischen Zehnkampf das Zeug zum Superhelden hat. Kai Kazmirek wirkte zwei Tage lang wie jemand, der dringend Hilfe brauchte - und rettete sich stets selbst: Vor dem 400-Meter-Lauf humpelte er zum Start, danach machte er eine Geste, als müsse er sich übergeben. Dazwischen: persönliche Bestleistung (46,75 Sekunden), wie auch beim Weitsprung (7,69 Meter), beim Speerwurf (64,60 Meter) und beim 1500-Meter-Lauf (4:31.25 Minuten) - und mit 8580 Punkten auch im kompletten Zehnkampf. Das reichte zu einem hervorragenden vierten Platz. "Es hat mir Spaß gemacht, ich bin voll zufrieden", sagte Kazmirek danach: "Was will man mehr, als bei Olympia eine Bestleistung zu schaffen?"

Die Zehnkämpfer, das sind die Avengers der Olympischen Spiele. Natürlich kämpfen sie um Medaillen, aber sie bemühen sich auch gemeinsam um möglichst viele Punkte. "Man ist ständig zusammen, man unterhält sich, man unterstützt sich", sagt Kazmirek über den Zusammenhalt: "Man muss die 100 Meter beobachten: Da ist jeder für sich und zieht seine Show ab. Und was machen die Mehrkämpfer? Die gehen durch die Reihen und klatschen sich alle ab." Es ist eine Gemeinschaft. Der Chef der Superhelden-Gruppe, das ist der mit dem Captain-America-Hut.

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Eatons nächstes Ziel: der Mars

"Ich habe mich immer gefragt, warum es so gut tut, sich nach dem Rennen eine Flasche Wasser über den Kopf zu kippen", sagt Eaton zu seiner Kühlkappe, die er gemeinsam mit einem Sponsor entwickelt hat: "Die psychologische Antwort kenne ich nicht, aber die Tatsache, dass ich mich dadurch besser und erfrischter fühle, verbessert auch meine Leistung." Dass er nebenbei aussah wie ein Captain America, schadete dem Selbstbewusstsein bei Olympia gewiss nicht.

Natürlich hat so ein Held auch eine Superheldin an seiner Seite. Seine Ehefrau, die Kanadierin Brianne Theisen-Eaton, gewann bereits am vergangenen Sonntag die Bronzemedaille im Siebenkampf. Sie hatten sich übrigens an der University of Oregon kennengelernt - jene Uni, die Eaton einst als Zehnkämpfer aufnahm. Seit drei Jahren sind sie verheiratet. "Wir ordnen die Beziehung unseren Träumen als Sportler unter", sagte Theisen-Eaton: "Statt ins Kino gehen wir ins Training." Mit großer Macht kommt eben große Verantwortung.

Sein nächstes Ziel übrigens: Eaton will nach seiner sportlichen Karriere auf einer Mission zum Mars dabei sein und hat dafür bereits die Raumfahrtbehörde Nasa und Weltraum-Pionier und SpaceX-Chef Elon Musk kontaktiert. Wenn man diesem Ashton Eaton so zusah bei diesen Olympischen Spielen, dann konnte einem schon der Gedanke kommen: Da will einer zurück auf seinen Heimatplaneten.

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