Olympia:"Harmonie im Team - das geht gar nicht"

Beach Volleyball - Olympics: Day 12

Freuen sich über Gold: Laura Ludwig (l.) und Kira Walkenhorst.

(Foto: Getty Images)

Die eine feiert Gold in sich gekehrt, die andere brüllt die Gefühle heraus. Das deutsche Beachvolleyballerinnen-Duo führt ein spannungsreiches Innenverhältnis - und dem Trainer gefällt das.

Von Thomas Kistner, Rio de Janeiro

Laura Ludwig, 30, lümmelt im Stuhl, die silberne Trainingsjacke weit geöffnet. Sie winkt, lacht, ruft durch den Saal und macht Faxen; Ludwig strahlt um die Wette mit ihrer Goldmedaille, die Augen glückselig zu Strichen verengt wie die Schlitze an einem Glücksspielautomaten. Neben ihr Kira Walkenhorst in hochgeschlossener Silberjacke, sie knabbert kurz und scheu an der Goldmedaille, nach Anleitung der Fotografen, dann weicht das Lächeln wieder einem vegetativen Ausdruck der Ruhe, ihr Blick geht nach innen.

Es sind dies die Schlüsselszenen einer Vernunftehe im Moment des größten Erfolges; das Beachvolleyball-Duo Ludwig/Walkenhorst hat in Rio nicht einfach gesiegt, sondern alles vom Sand gefegt, was zu Beginn als breit aufgestellte Weltspitze galt. Auch das Vollmond-Finale in einer stürmischen Donnerstagnacht gestalteten sie als Trainingspartie, die Brasilianerinnen Agatha/Barbara hatten beim 2:0 (21:18, 21:14) keine Chance und ihre 12 000 Landsleute auf fast ausverkauften Rängen nie Anlass, ihre gefürchtete Lärmkulisse zu entfalten.

Das Wichtigste zu Olympia 2016 in Rio

"Es war so unwirklich", beschrieb Walkenhorst die Siegerehrung, erstaunt über sich und ihre Tränen. "Es wird dauern, bis mich das erreicht hat." Als "unwirklich" umschrieb auch Ludwig den Mitternachtstraum, ihre Gefühlswelt konnte sie aber präzise darlegen: "Glücklich wie nie!" Die Berlinerin hat sich das hier aufs Mühevollste erarbeitet. Da war, mit 18 Jahren, der leichte Schlaganfall; dann der Wechsel aus der Halle in den Sand, schließlich der Anstieg über drei Sommerspiele hinweg an die Spitze: Nach Platz neun in Peking und Rang fünf in London mit der damaligen Partnerin Sara Goller hat sie mit Walkenhorst, 25, der Olympia-Debütantin, endlich erreicht, was sie ihr Lebensziel nennt.

Der Trainer verfolgt die Pressekonferenz mit einer Bierdose

Die Distanz zu allem, was abseits des Sandgevierts geschieht, muss das Duo wohl erst wieder abtrainieren, wie ein Marathonsportler sein Läuferherz. Noch voll im Turnier-Modus, sprudelten die beiden in jedem Siegerinterview die Begriffe hervor, die monatelang ihre Arbeitswelt durchdrungen haben, Effekt zahlloser Therapierunden: die "totale Fokussierung" auf ihr Doppel, das "handlungsorientierte Spiel" gegen "jede Ablenkung von außen". Das Gefühl, gemeinsam "im Tunnel" zu sein. Eine "klare Strategie" zu haben und für jede Spielsituation die notwendigen "Tools im Kopf" - ein Satz unsichtbarer Werkzeuge, fast täglich neu ausgereicht von der Teampsychologin. Im Beachvolleyball hilft es, den Kopf tief in den Sand zu stecken.

Nachfrage bei Jürgen Wagner. Der Erfolgscoach verfolgt die Pressekonferenz mit einer Bierdose in der Hand, neben ihm hockt Ex-Schützling Jonas Reckermann, der zum Freund geworden ist. Wagner, 60, ist ein unaufgeregter Mann, auch kennt er bestens den Rummel hier. Schon vor vier Jahren in London hatte er mit Reckermann und Julius Brink einen Gold-Coup gelandet. Und jetzt? "Ich bin relativ zufrieden - nein, schon sehr zufrieden". Damit, dass es seinen Mädchen gelang, fast das Optimum aus sich herauszuholen: "90 Prozent."

Da wäre noch Luft nach oben. Unklar ist nur, ob Wagner derjenige sein wird, der nach diesen letzten Prozent schürft. Ende September findet ein internes Bilanzgespräch statt, dann will er weitersehen. Die Golden Girls möchten gerne, aber Wagner sieht auch: "Dreieinhalb Jahre intensiver Arbeit sind kräftezehrend." Und was kann noch locken nach einem Olympiasieg?

Wagner sieht sich als Aufbauhelfer, nicht als Goldtrainer

Das Goldprojekt der Rio-Frauen war im Goldtriumph der London-Männer angelegt. Damals saß Laura Ludwig wehmütig auf der Tribüne; nach Olympia ging sie auf Walkenhorst zu, die sie im Kollegen-Pool als Idealbesetzung an ihrer rechten Flanke identifiziert hatte. Dann ging sie zu Wagner. Der war von der Sache bald überzeugt, ihn treibt die Sucht nach Olympias Sandkästen an. Schon bei seinen ersten Spielen in Athen 2004 war er sicher, dass dieses Erlebnis ein einmaliges sei. Zwölf Jahre später lässt er sich jede Option offen.

Wagner sieht sich als Aufbauhelfer, nicht als Goldtrainer. "Ich habe zu viele Kollegen erlebt, die sich nur über Erfolg definierten. Eine Chance pro Jahr - das ist brutal. Ich vergleiche meine Arbeit nie mit dem, was andere machen, das ist nicht meine Baustelle. Ich will Entwicklung sehen."

Mit Ludwig/Walkenhorst war das ein zäher Prozess voller Rückschläge. Walkenhorst fiel ein Jahr lang aus; erst kam das Pfeiffersche Drüsenfieber, dann streikte das Knie. Hinzu kam das spannungsreiche Innenverhältnis des Duos. "Wir sind sehr unterschiedlich", formuliert Ludwig, "wir brauchen auch Abstand voneinander." Der bemaß sich in Rio auf "fünf Minuten Fußweg", sagt Walkenhorst, das ist die Strecke, die zwischen ihren Appartements lag. "Ich bin die laute, die emotionale Spielerin", beschreibt Ludwig, "Kira ist ruhiger, oft in sich gekehrt."

"Frauen nehmen ständig alles um sich herum auf"

Was auf dem Feld zur Erfolgsmischung wurde, sollte privat nicht gefördert werden, erklärt der Gold-Guru von Rio. "Harmonie im Team", sagt Wagner, "das geht gar nicht. Wenn eine immer nur will, dass es der Partnerin gut geht, kann sie nichts gewinnen." Selbststeuerung sei für Frauen im Spitzensport das zentrale Thema. Die Gefühlswelt dominiere, "Frauen nehmen ständig alles um sich herum auf". Während den Männern "ein Selbstbewusstsein aus dem Kopf springt", das oft deplatziert sei.

Sie rauften sich zusammen. Ludwig, die Erfahrene. Und Walkenhorst, die oft Verletzte, die ein Faible für schwarze Kinesio-Tapes pflegt, mit denen sie den rechten Arm von der Schulter bis zum Ellbogen verziert. Am Netz stieg die 1,85-Meter-Athletin dann, martialisch zugepflastert wie eine Klon-Kriegerin, in die Lüfte und drosch oder blockte die Bälle ins gegnerische Feld. Letzteres gelang ihr allein im Finale siebenmal, eine wahrhaft überragende Leistung, die für wichtige Punkte und blanke Zermürbung auf der Gegenseite sorgte.

Was Zermürbung anrichtet, schon der leiseste Zweifel, weiß wiederum Ludwig sehr gut. In London waren sie auch an der Nervosität von Partnerin Goller gescheitert, es fehlten diese ausgefeilten Werkzeuge im Kopf, die innerhalb einer kurzen Auszeit aktiviert werden müssen. Im Sand der Copacabana wirkte jede Auszeit wie ein Boxenstopp zum Auftanken für die beiden; jedesmal kehrten sie stärker ins Feld zurück.

In Rios aufgeladenem Beachvolleyball-Mekka gab das Duo den Party-Crasher. Bei der eigenen Siegerfete, frühmorgens über den Dächern Ipanemas, spülte dann das Nationalgetränk Caipirinha den Weg frei, zurück in eine wunderbare Wirklichkeit.

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