Bundesliga-Profis bei Bezirksliga-Spiel:Anton Stach läuft viel zu wenig

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Sonst in der Bundesliga aktiv, aber diesmal ganz in Schwarz: Stürmer Nils Petersen leitet als Schiedsrichter das Spiel in Nierstein. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Die Auftaktveranstaltung im "Jahr der Schiris" führt zu kurios vertauschten Rollen: Die Erstligaspieler Stach und Petersen leiten in Rheinland-Pfalz eine Bezirksligapartie - "fehlerlos", wie Deniz Aytekin bestätigt.

Von David Kulessa, Nierstein

Knapp 88 Minuten waren am vergangenen Wochenende in der Bundesligapartie zwischen Mainz 05 und dem SC Freiburg gespielt, als der Mainzer Anton Stach, 24, in der eigenen Hälfte noch einmal zur Grätsche ansetzte. Er gewann den Ball und wollte schon den Gegenangriff starten, da ertönte der Pfiff von Schiedsrichter Bastian Dankert. Freistoß Freiburg. Teamkollege Anthony Caci sah Gelb wegen Meckerns, Teile der Mainzer Fans besangen Bastian Dankert unflätig. Und Anton Stach?

Der sank etwas ungläubig zu Boden, verzichtete aber auf die direkte Konfrontation mit dem Unparteiischen und nahm die Entscheidung brav hin. Womöglich ahnte der zweimalige Nationalspieler, wie das ausgesehen hätte, wenn er sich ausgerechnet in diesem Spiel mit dem Schiedsrichter angelegt hätte. Denn keine Woche später schlüpfte er in Nierstein nun selbst in die Rolle des Spielleiters. Beim Bezirksliga-Spiel des heimischen VfR gegen den TSV Mommenheim entschied Anton Stach eine Halbzeit lang über Zweikämpfe, Handspiele und Abseitspositionen. Die zweiten 45 Minuten übernahm der Freiburger Nils Petersen.

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"Hier knallt's normalerweise richtig", warnte Kisanet, ein junger Schiedsrichter aus der Umgebung, der vor dem Derby Werbung für das Schiedsrichterwesen machte und Interessierten im Grundschulalter das professionelle Zeigen von gelben und roten Karten demonstrierte. Er kenne die Liga und habe hier selbst schon gepfiffen. Für eine Feuertaufe sei das keine einfache Aufgabe.

Jedoch sollten seine Karten die einzigen bleiben, die an diesem Tag in Nierstein gezeigt wurden. Denn insbesondere Anton Stach in der ersten Hälfte ließ von Beginn an eine großzügige Linie erkennen. Doch während er bei der Zweikampfbewertung eher Bundesliga-Maßstäbe anlegte, passte er sich bei der Laufarbeit dem Achtliga-Klischee an und verließ den Mittelkreis eher selten. "Der läuft viel zu wenig", urteilte ein extra aus Stuttgart angereister Amateurschiedsrichter.

"Ich bin wegen Deniz hier", erklärte dieser Mann: "Ein geiler Typ und Vorbild für jeden jungen Schiri." Deniz, damit war Deniz Aytekin gemeint, zweimaliger Schiedsrichter des Jahres und an diesem Samstagnachmittag ebenfalls nach Nierstein gekommen, um die beiden Bundesligaprofis per Headset von der Seitenlinie zu unterstützen. "Die wahren Helden sind in den Amateurligen unterwegs", hatte Aytekin zuvor gesagt, "bei allem, was sie unterstützt, bin ich sofort dabei." So wie bei dieser Partie in der achten Liga, die einige Stunden vor dem Länderspiel der Nationalmannschaft gegen Peru stattfand und einen möglichst öffentlichkeitswirksamen Auftakt in das vom DFB ausgerufene "Jahr der Schiris" darstellen sollte.

Nur noch 50 000 aktive Schiedsrichter gebe es in Deutschland - vor zehn Jahren waren es noch 70 000

Ein gutes Dutzend Kamerateams und mehr als 1000 Zuschauer fanden dafür den Weg auf die Bezirkssportanlage in Nierstein. Die Notwendigkeit der Aktion erläuterte die zuständige Abteilungsleiterin des Verbandes, Moiken Wolk, auf einer Pressekonferenz Anfang der Woche: "Der Schiedsrichterschwund ist enorm fortgeschritten." Nur noch rund 50 000 aktive Unparteiische gebe es in Deutschland aktuell, vor zehn Jahren habe diese Zahl noch bei über 70 000 gelegen: "Das Schiedsrichterwesen hat ein Imageproblem."

Grund seien vor allem mangelnde Wertschätzung und Respektlosigkeiten - vom Bundesliga- bis zum Amateurbetrieb, auf und neben dem Platz. Ein besonders hässliches Beispiel dafür bot kürzlich ebenjene Bezirksliga Rheinhessen, in der nun Anton Stach und Nils Petersen ein Spiel leiteten. Vor einem guten Monat brach der Schiedsrichter Josip Pfadt dort ein Spiel ab, weil ein Zuschauer ihn angeblich rassistisch beleidigt hatte: "So Ausländer wie du verdienen einen Kopfschuss", soll der Mann gesagt haben. Der Fall wird jetzt vor Gericht verhandelt.

Neben verbalen Attacken gegen Schiedsrichter sind auch körperliche Angriffe keine Seltenheit. In einer aktuellen DFB-Umfrage gibt die Hälfte der befragten Schiris an, schon Gewalt gegen sich oder einen Kollegen erlebt zu haben. Auch Aytekin kann eine solche Geschichte aus seiner Zeit in den Amateurligen erzählen: "Das Spiel ging 15:1 aus, und hinterher hat mich ein Spieler getreten, weil er wohl der Meinung war, wegen einer Fehlentscheidung von mir das Spiel verloren zu haben."

Deniz Aytekin lobt Nils Petersens "Lauf- und Umschaltspiel"

Für eine Aufwandsentschädigung, die häufig gerade so die Spritkosten der Anreise deckt, möchten sich das immer weniger antun. Jedes Jahr steigen mehr Schiedsrichter aus. In Nierstein hingegen blieb es auf wie neben dem Platz größtenteils ruhig. Ob das an der "fehlerlosen Leistung" (Aytekin) der Ein-Tages-Schiris lag oder an der womöglich doch etwas einschüchternden Kulisse, ließ sich nicht abschließend klären. Auch das deutliche Ergebnis von 6:0 (3:0) nahm dem sonst so leidenschaftlich geführten Derby wohl einiges seiner Schärfe.

Anton Stach (Mitte) pfiff ebenso an diesem Tag - der Mainzer Profi machte seine Sache einigermaßen souverän. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Für den größten Ärger bei den unterlegenen Gästen aus Mommenheim sorgte ein ausbleibender Abseitspfiff Anton Stachs nach gut 30 Minuten, der den zweiten Treffer des Tages ermöglichte. "Da muss aber der Assistent winken", sprach der Stuttgarter Schiedsrichter den Fußballprofi von Schuld frei. Die Beschwerden der Mommenheimer moderierte Stach jedenfalls souverän. Souverän war dann auch die Leistung Nils Petersens im zweiten Durchgang. "Das Lauf- und Umschaltspiel war sehr elegant", lobte Deniz Aytekin den Auftritt des Freiburger Mittelstürmers, 34, der nach seinem Auftritt sagte: "Durch das Spiel bin ich schon angefixt."

Dem Fußball nach der Karriere durch die Schiedsrichterei erhalten zu bleiben, wolle er jedenfalls nicht ausschließen. Anton Stach hingegen sagte: "Ich fühle mich doch wohler, dem Ball entgegenzulaufen, als ihm ständig auszuweichen." Gerne hätte man nach Schlusspfiff auch die beiden Amateurschiedsrichter nach ihrem abschließenden Fazit gefragt, doch sie waren da schon wieder unterwegs.

Beide müssen schließlich noch pfeifen an diesem Wochenende. Ohne Kamerateams, ohne Gesichter aus der Bundesliga, vor nicht ganz 1000 Zuschauern und für eine ziemlich geringe Aufwandsentschädigung. So wie jedes Wochenende.

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