American Football:Wie ein Krimi zur besten Sendezeit

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Trennung nach 20 Jahren: Spielmacher Tom Brady wechselt von New England nach Tampa. (Foto: Kevin Dietsch/imago)
  • Mit spektakulären Wechseln wie dem von Tom Brady sorgt die NFL für gute Unterhaltung.
  • Um das Geschehen zu verfolgen muss ja niemand ins Stadion.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Scott Van Pelt redet also über Tom Brady und darüber, was dieser Wechsel von den New England Patriots zu den Tampa Bay Buccaneers für die amerikanische Footballliga NFL bedeutet. Warum auch nicht? Brady ist der erfolgreichste Quarterback der NFL-Geschichte, Van Pelt ist beim Fernsehsender ESPN als Moderator des Sportscenter eine Art Claus Kleber des amerikanischen Sports: Jeden Abend erklärt er, was passiert ist an diesem Tag, er zeigt Höhepunkte, befragt Experten, analysiert Szenen, Skandale, Sensationen, und dann schickt er die Leute ins Bett.

Worüber soll Van Pelt denn auch sonst reden angesichts der Auswirkungen der Coronavirus-Krise? American Football hat im Frühling normalerweise Pause. Beim Basketball und Eishockey geht es für gewöhnlich um Playoff-Plätze, bei Fußball und Baseball beginnt die neue Spielzeit. Um im Gespräch zu bleiben, hat die NFL in diese Zeit Transferfenster und Talentbörse gelegt, die Saison beginnt erst in einem halben Jahr. Aber weil nichts normal ist derzeit, werden diese beiden Anlässe, für die niemand ein Stadion betreten muss, zu einer willkommenen Mischung aus Krimi und Kaffeesatzleserei. Van Pelt sagt: "Es bietet ein wenig Abwechslung; ein Thema, über das sich die Leute unterhalten können, auch wenn nirgendwo gespielt wird."

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In der NFL geht es gerade drunter und drüber während der sogenannten "Free Agency" - einige Handlungsstränge könnten von Hollywood-Autoren stammen. Die Klubs verpflichten Spieler, tauschen mit anderen Franchises und bekommen dabei zusätzliches Wahlrecht beim Draft im April - und die Fans dürfen debattieren: Hilft dieser Transfer meinem Team? Wie wirkt er sich auf mögliche andere Verpflichtungen aus? Was ist mit der Gehaltsobergrenze? Wer ist noch auf dem Markt?

Die Patriots wollten Brady keine 30 Millionen Dollar mehr geben für eine Saison - er ist ja schon 42

Wie das funktioniert und warum es den Amerikanern ein bisschen Normalität bietet, lässt sich am besten am Wechsel von Brady darstellen. Der 42-Jährige hatte verkündet, die Patriots nach 20 Spielzeiten mit sechs Meisterschaften verlassen zu wollen. Das lag wohl auch daran, dass Patriots-Trainer und Brady-Förderer Bill Belichick wegen der zuletzt eher unterdurchschnittlichen Leistungen seines Spielmachers einen Neuanfang auf dieser Position wollte: Angesichts einer Gehaltsobergrenze von etwa 200 Millionen Dollar pro Team mochte Belichick keine 30 Millionen auf einen Quarterback verwenden, dessen Spielweise als nicht mehr zeitgemäß gilt.

Auf dem Markt sind derzeit bewegliche Spielmacher wie Cam Newton (noch bei den Carolina Panthers) oder Jameis Winston (Tampa), aber auch konventionelle Quarterbacks wie Joe Flacco (zuletzt in Denver) und Andy Dalton (Cincinnati). Gerade wird spekuliert, dass die Patriots eine Übergangslösung wie Flacco, 35, wählen und sich im Sommer 2021 bei der Talentbörse die Dienste von Trevor Lawrence sichern könnten; der ist derzeit noch an der Clemson University und gilt als größtes Quarterback-Talents des Jahrtausends.

Für die Patriots könnte sich der Weggang von Brady, so schmerzlich das für Nostalgiker auch sein mag, also lohnen. Für die Buccaneers allerdings auch. Brady mag ein Dinosaurier sein, ist aber im richtigen System noch immer hocheffizient. Seine Spielweise passt zu dem, was Tampa aufzubauen versucht: Er dirigiert nervenstark, triebt ehrgeizig an, wirft präzise. Tampas Offensive Line, die den Quarterback beschützt, gilt als stabil; die Passempfänger Mike Evans und Chris Goodwin zählen zu den besten der Liga. Und Antonio Brown ist ja auch noch zu haben.

Der Wide Receiver ist nach seinen Problemen wegen sexueller Belästigung von mehreren Frauen weiterhin arbeitslos. Es wäre eine Seifenoper, würden ihn die Buccaneers verpflichten: Brown wurde in der vergangenen Saison von den Patriots nach nur einer Partie entlassen - nun könnten er und Brady gemeinsam zeigen, wie wertvoll und einzigartig sie noch immer sind.

Der Wechsel lohnt sich deshalb für Brady nicht nur wegen des mit 59 Millionen Dollar dotierten Zwei-Jahres-Vertrags. In der Offensive fehlt Tampa nur ein brauchbarer Laufspieler, der auch zuverlässig kurze Pässe fängt, wie es James White in New England getan hat. Aber auch auf dieser Position ist der Markt gerade üppig bestückt.

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Verlierer des bisherigen Transfer-Theaters sind bislang die Los Angeles Chargers. Die rivalisieren in der kalifornischen Metropole mit den deutlich beliebteren Los Angeles Rams und können nur mit raschen Erfolgen die Fans für sich gewinnen - das hatten sie mit Tom Brady vor. Sie hatten deshalb Philip Rivers fortgeschickt, der 16 Jahre lang das Spiel des Teams gestaltet hatte. Nur: Brady kam nicht.

Und zu allem Übel ist nun auch noch Melvin Gordon weg, einer der besten Running Backs der Liga, der sich den Denver Broncos angeschlossen hat. Er hatte sich über die vergangenen Vertragsverhandlungen offensichtlich derart echauffiert, dass er sogar auf Geld verzichtete und nun mit 16 Millionen Dollar für zwei Jahre zufrieden ist. Rivers ist derweil zu den Indianapolis Colts gewechselt, die im Gegensatz zu den Chargers als Titelanwärter gelten.

Es gibt sogar eine Debatte, ob die Hände eines Talents nicht zu klein sind für den Ball der Profis

Es gibt 32 NFL-Franchises und damit 32 Schauplätze für möglichst dramatische Geschichten. Die Leute debattieren etwa, warum der Blockbuster-Transfer zwischen den Houston Texans und den Arizona Cardinals von jedem Trade-Analyse-Algorithmus wegen Ungerechtigkeit abgelehnt wird, von der Liga jedoch akzeptiert wurde: Die Texans bekommen den 29 Jahre alten und häufig verletzten Running Back David Johnson sowie zwei Draft Picks (in der zweiten und vierten Runde), sie geben dafür aber ihren Star-Passempfänger DeAndre Hopkins und einen Draft-Pick in der vierten Runde ab. Die übereinstimmende Meinung: Die Texans haben nach diesem und ein paar anderen Deals erst mal keine Chance auf die Playoffs, zumal die Gehaltsstruktur (ja, auch darüber reden die Leute unter Zuhilfenahme von Mathe-Genies) zusätzlich vertrackt daherkommt.

Der nächste wichtige Termin ist nun die Draft vom 23. bis 25. April, und wie wahnsinnig das alles ist, zeigt diese Debatte davor: Der Quarterback Joe Burrow galt als sicherer Kandidat, als Erster seines Jahrgangs von den Cincinnati Bengals gewählt zu werden - bis seine Hände gemessen wurden. Die sind mit 22,5 Zentimetern recht kurz für einen Spielmacher, die bei den Profis verwendeten Footbälle könnten ihm durchrutschen. Burrow reagierte mit einem sarkastischen Twitter-Eintrag, den Van Pelt vorlas, bevor er die Leute ins Bett schickte: "Muss übers Karriereende nachdenken. Denkt bitte ab und zu an mich."

© SZ vom 23.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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