Stephen Curry in der NBA:Außerweltlicher in einem grottenschlechten Team

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Stephen Curry ist der Beste, nur leider zieht sein Team nicht mit. (Foto: Will Newton/AFP)

Stephen Curry spielt eine grandiose NBA-Saison, die Golden State Warriors könnten dennoch die Playoffs verpassen. Kann so einer der wertvollste Spieler sein? Über eine unsinnige Debatte.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Natürlich sollte man sich alle 90 Dreier ansehen, die Stephen Curry alleine diesen April in den Korb geworfen hat. Der Zusammenschnitt ist ein Erlebnis, Poesie in Bewegung, die Geräusche des Balles beim Berühren des Parketts oder des Netzes beim Durchqueren des Rings könnte man als Beat unter einen Jazz-Song legen. Der Scharfschütze der Golden State Warriors wirft direkt nach Zuspiel der Kollegen, nach sieben oder mehr Dribblings oder nach drei Tippelschritten nach links- die US-Kollegen haben mittlerweile groteske Kategorien entwickelt -, doch was er auch tut, am Ende gibt es stets dieses Gemälde, das sich Kinder mittlerweile statt krachender Dunkings als Poster ins Zimmer hängen: der rechte Fuß leicht vor dem linken, die großen Zehen und die Hüfte zeigen leicht links vom Korb. Der Ball ruht in der rechten Hand, die linke dient allein der Sicherung - und im Hintergrund, da jubelt Kollege Draymond Green bereits vor dem Wurf.

Es ist dieses immergleiche Bild, das einem eindrucksvoll vor Augen führt, warum Curry der wohl beste Schütze aller Zeiten (ja, aller Zeiten, denn die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass auch in Zukunft niemand so werfen wird wie er) ist: Egal, was er davor tut, er kehrt beim Wurf stets zurück zu diesen Grundlagen, die er millionenfach geübt hat und noch immer verfeinert. Als die Warriors in der vergangenen Saison (Curry fehlte verletzt) wegen Chancenlosigkeit nicht in die Covid-Bubble nach Florida eingeladen wurden, entwickelte Curry einen Plan: Er trainierte und spielte daheim immer dann, wenn die Warriors trainiert oder gespielt hätten.

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Curry packte dazu fünf Kilo Muskelmasse drauf und übte eine Stunde pro Tag daran, dass die feine Wurfhand auch mit den Extra-Kilos noch funktioniert. Damit es keine Missverständnisse gibt: eine Stunde Wurftraining pro Tag - zusätzlich zu den Einheiten, Spielen und Muskelübungen.

Es ist allein Curry zu verdanken, dass die Warriors noch eine Chance auf die Playoffs haben

Das Gemälde vom werfenden Curry ist ein Kunstwerk, das wie viele eine tiefe Traurigkeit transportiert , weil unten der Spielstand zu sehen ist. Die Warriors haben nach der üblen 103:133-Niederlage am Dienstagabend gegen die Dallas Mavericks (der Deutsche Maxi Kleber schaffte zehn Punkte und sechs Rebounds für Dallas) eine ausgeglichene Bilanz (31:31), sie bangen um die Playoff-Teilnahme, und nichts verdeutlicht den Zustand der Mannschaft so sehr wie dieser Moment am Ende des ersten Viertels: Curry rettete den Ball, purzelte dabei aber vom Spielfeld. Die Warriors brachten das Spielgerät ohne ihn nach vorne, die Augen des ballführenden Jordan Poole sagten: "Ach herrje! Bitte, Steph, komm schnell hierher!" Curry kam, er konnte sich jedoch nicht freilaufen, und nun sagten Pooles Augen: "Du heiliger Bimbam, was soll ich denn jetzt machen?" Er probierte ein Heiliger-Bimbam-Dribbling, irrlichterte über das Parkett, verlor den Ball und und musste von Curry getröstet werden.

Sie sind einfach grottenschlecht, diese Warriors, vor allem im Vergleich zu den Zehnerjahren, in denen sie fünf Mal die Finals erreicht und drei Titel gewonnen haben. Es ist allein Curry zu verdanken, dass sie eine Chance auf die Playoffs haben, und das führt zu einer kruden Debatte: Sollte Curry am Ende der regulären Saison zum MVP gewählt werden, zum wertvollsten Spieler der Liga, selbst wenn sein Team die Ausscheidungsrunde verpassen sollte? Oder sollte das zwischen Nikola Jokic (Denver Nuggets), Joel Embid (Philadelphia 76ers) und Giannis Antetokounmpo (Milwaukee Bucks) entschieden werden, die ihre jeweiligen Mannschaften zu Titelkandidaten machen? Curry selbst sagt: "Ich sollte es sein, aber wahrscheinlich werde ich es nicht."

Nur mal so ein Gedanke: Sind die Leistungen von Curry nicht umso erstaunlicher, weil er sie eben nicht inmitten grandioser Kollegen bei einem möglichen Meisterteam erbringt?

Zur Erinnerung: Die Warriors gewannen 2015 den Titel, die Mitspieler waren Scharfschuss-Zwilling Klay Thomson (sie hießen "Splash Brothers") und die Ein-Mann-Naturgewalt Green. Ein Jahr später hatten sie die beste Bilanz der NBA-Geschichte (73:9), verloren aber im Finale gegen Cleveland. Sie verpflichteten Kevin Durant, das Team las sich wie eine All-Star-Ansammlung : Curry, Durant, Thompson, Green, Andre Iguodala. Nach zwei Titeln wechselte Durant nach Brooklyn, Thompson ist seit zwei Jahren verletzt (erst Kreuzband-, dann Achillessehnenriss), Green ist 31 Jahre alt und nur noch Unwetter statt Naturgewalt. Der Erfolg der Warriors ist also mehr denn je von Curry abhängig, und der liefert zuverlässig: 31,2 Punkte pro Spiel, 5,7 Zuspiele, 5,5 Rebounds; die Wurfquote von jenseits der Drei-Punkte-Linie liegt bei 42,8 Prozent.

"Mir fehlen mittlerweile die Worte dafür, was Steph tut", sagt Warriors-Trainer Steve Kerr

Das ist der entscheidende Wert, damit hat Curry den Sport nachhaltig verändert, denn, es kann bei aller Freude über detaillierte Statistiken manchmal ganz einfach sein: Wenn jemand wie Curry 12,1 Dreier pro Spiel probiert und 5,2 davon trifft, schafft er damit 15,6 Punkte. Der Ligaschnitt für Zweier liegt bei 51 Prozent, das sind bei 12,1 Versuchen also 12,3 Punkte. Einzig über diese Treffsicherheit schafft Curry also 3,3 Punkte mehr als der Ligaschnitt, und das ist nur die prägende von vielen herausragenden Fähigkeiten - jene, die lange in Erinnerung bleiben wird.

Es gibt eine Grafik, wie sich Basketball in den vergangenen Jahren verändert hat; 2001 war es noch recht gleichmäßig verteilt, von wo aus die Profis gerne auf den Korb zielen, mittlerweile: Dreier oder das, was sie in den USA "The Paint" nennen, also der andersfarbige Bereich unter dem Korb. Natürlich ist Curry außerweltlich begabt, seine Botschaft an Kinder ist jedoch: Dribbeln, Passen, Werfen - die Grundlagen des Sports. "Es geht nur darum, eine möglichst gute Position zu finden, die Füße unter dich zu bringen; der Rest ist Muskelgedächtnis, Selbstvertrauen und Kreativität", sagt er über sich.

"Mir fehlen mittlerweile die Worte dafür, was Steph tut", sagt Warriors-Trainer Steve Kerr, der gewöhnlich selbst komplizierte gesellschaftliche Zusammenhänge eloquent erklären kann. Deshalb kann die Antwort auf diese MVP-Debatte nur lauten: Es ist ein ohnehin unbedeutender Titel, Basketball ist immer noch ein Mannschaftssport, und es ist völlig egal, ob Curry ihn in dieser Saison gewinnt. Er hat diesen Sport nachhaltig verändert, in dieser Saison ist er nun mal ein Außerweltlicher inmitten irdischer Kollegen. Einer, der diese Mitspieler dennoch in die Playoffs führen kann und den Zuschauern dabei ein Kunstwerk nach dem anderen schenkt. Und es ist nicht das, warum die Leute so gerne Sport gucken: Weil jemand bei einem Spiel etwas tut, das sonst keiner kann.

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