Nationalmannschaft: Abwehr:Schleichs Erben

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Der Wechsel von Jérôme Boateng zum FC Bayern verändert die Lage in der Nationalmannschaft. Setzt sich der 22-Jährige in der Innenverteidigung der Münchner durch, wird er auch ein Aspirant für Bundestrainer Löw. Dieser muss sich dann aber noch einen neuen Boateng für die Außenposition suchen.

Christof Kneer

Christoph Metzelder zählt zu den Menschen, die eine präzise Meinung zu allem haben, zum Klimawandel, zum Druck im Profifußball oder zur Schmähkritik. Bei der EM 2008 hatte ein Boulevardblatt das Innenverteidiger-Paar Mertesacker & Metzelder als "Schnarch & Schleich" verhunzt, eine genaue Zuteilung der Ehrentitel aber unterlassen. Metzelder hat die Gemeinheit damals sofort analysiert: "Ich denke, dass ich Schleich war", folgerte er mit messerscharfer Selbstironie.

Vielleicht bald Konkurrenten im DFB-Team: Per Mertesacker und Jérôme Boateng, hier noch bei der WM 2010 in Südafrika.  (Foto: Getty Images)

Drei Jahre taugt Metzelder nicht mehr zum Spottobjekt, er hat die große Bühne längst verlassen. Aber ohnehin käme gerade keiner auf die Idee, über deutsche Innenverteidiger-Paare zu lästern. Bundestrainer Joachim Löw betrachtet Schleichs Erben mit wachsender Begeisterung, erst recht seit dieser Woche. "Der Wechsel zum FC Bayern ist gut für die Entwicklung von Jérôme Boateng", sagt Löw, "das wird ihn sicher weiter voranbringen."

Die Personalie Boateng wird die Architektur in Löws Kader weiter verändern. Bisher hat Löw die flexible Begabung des jungen Mannes vor allem genutzt, um die Problemzonen im Kader zu bekämpfen. Die größte Problemposition ist ja immer die, auf der Philipp Lahm nicht spielt. Spielte Lahm hinten links, füllte Boateng das Vakuum hinten rechts; spielte Lahm hinten rechts, flickte Boateng das Loch hinten links.

"Jérôme kann das", sagt Löw, "aber ich habe mit ihm vereinbart, dass er auf Sicht gesehen als Innenverteidiger eingeplant wird." Löw kannte ja Boatengs Wunsch, Manchester City zu verlassen, wo sie ihn absprachewidrig nach rechts hinten verschoben haben; Löw weiß schon länger von Boatengs Plan, sich mittels eines Wechsels nach München endlich dauerhaft im Abwehrzentrum niederzulassen.

Auch Löw hat erkannt, dass Boateng im Abwehrzentrum "am meisten Potential" hat, aber vor allem sieht er in ihm das Potential, ein echter Löw-Spieler zu werden. "Es war erstaunlich, wie Jérôme vor der WM in den Trainingslagern ständig besser geworden ist", sagt Löw, "er ist lernwillig und unglaublich aufmerksam und hat sich auf der Strecke von Sizilien über Südtirol bis nach Südafrika jeden Tag gesteigert."

Löw mag Spieler, die genügend Qualität und Eifer haben, um das umzusetzen, was sich das Trainerteam ausgedacht hat. "Wenn Jérôme im Verein dauerhaft Innenverteidiger spielt", sagt Löw, "wird er auf dieser Position auch für uns eine ernsthafte Alternative."

Der Rotationsprozess in Löws Kader hat eine neue Dimension erreicht. Es ist jetzt nicht mehr so, dass neun von elf Stammplätzen feststehen und nur die Plätze 15 bis 25 ständig neu gemischt werden. Boatengs Beispiel zeigt, dass auch mancher Stammplatz bald neu verhandelt werden könnte. Die WM-Innenverteidigung Mertesacker/Friedrich ist zurzeit außer Gefecht, Friedrich lang-, Mertesacker mittelfristig. "Per hat bei uns immer hervorragende Leistungen gebracht", sagt Löw, "wenn er fit ist, zählen wir weiter auf ihn."

Dennoch ist die Abwehrmitte zurzeit ein einladendes Fleckchen Erde für alle Herausforderer: für Holger Badstuber, Mats Hummels, Benedikt Höwedes - und bald für Jérôme Boateng. "Die Innenverteidigung war lange eine Problemposition", sagt Löw, "aber inzwischen bereitet sie mir keinerlei Kopfzerbrechen mehr." Eher schon, wer künftig der neue Boateng wird. Wer künftig die Lücken füllen muss, rechts und links hinten.

© SZ vom 16. Juli 2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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