Nationalelf: WM-Kader:Mit heiligem Furor

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In der Debatte um eine Begnadigung Kevin Kuranyis steigt der Druck auf Bundestrainer Löw. Er hat bis zum 6. Mai Zeit, und tut gut daran, über eine Entscheidung gründlich nachzudenken.

Ludger Schulze

Gegen Ende des Finales um die deutsche Meisterschaft riefen die Zuschauer höhnisch "Herberger, Herberger". Es stand 5:1 für Hannover 96, und peinvoll war diese Vorführung anno 1954 nicht nur für den Endspielgegner 1. FC Kaiserslautern, sondern mehr noch für den Bundestrainer: Es war der Kern seines WM-Kaders, der da soeben demontiert wurde.

Herberger erhob sich von seinem Sitz, um zu demonstrieren, dass er sich Volkes Meinung nicht beugen werde. Er hielt fest an den fünf Lauterern, und so falsch kann sein Beschluss wider die öffentliche Meinung nicht gewesen sein - wenig später wurde Deutschland Weltmeister. Mit Fritz und Ottmar Walter, mit Werner Liebrich, Werner Kohlmeyer und Horst Eckel, alle vom 1. FC Kaiserslautern.

Je näher die endgültige Nominierung für eine Fußball-WM rückt, desto erbitterter wird der Debatten-Ton um einzelne Spieler. Am erstaunlichsten in der aktuellen Diskussion um Kevin Kuranyi ist der heilige Furor, mit dem hierzulande um den Schalker gestritten wird. Die überwältigende Mehrheit votiert mit einer Entschiedenheit für Kuranyi, als würde der die besten Eigenschaften von Messi, Ronaldo und Rooney in sich vereinen. Derlei Qualitäten hat man in seinen 52 Länderspielen freilich eher nicht erkennen können. Allerdings befindet sich Kevin Kuranyi in einer brillanten Form, und ginge es nur darum, würde Löw keine Sekunde mit seiner Berufung zögern.

In der Vergangenheit hat der Bundestrainer die Erfahrung gemacht, dass der Schalker nicht unbedingt als fügsamer Mannschafts-Spieler taugt, Kuranyis Ego hat vor zwei Jahren wild gegen die Rolle als Ersatzspieler aufbegehrt. Damals wurde er gefeuert, er hatte die Lust an der Nationalmannschaft verloren, als er nicht genügend Beachtung fand. Das kann immer wieder passieren, vor allem bei einer WM.

Löw muss also mehr Kriterien anlegen als nur die momentane Form. Zumal Kuranyis letzte Auftritte optisch dadurch aufgewertet werden, dass sich das Stammpersonal, Klose, Gomez und Podolski geschlossen am Tiefstpunkt einer prächtigen Torjägerkrise befindet. Löw hat bis zum 6. Mai Zeit, und er tut gut daran, über eine Entscheidung gründlich nachzudenken.

Die öffentliche Meinung ist dabei nicht zwangsläufig der beste Ratgeber. Vor dem Turnier 1970 hatten Medien und Stammtische das eindeutige Urteil gefällt, dass die im Stil ähnlichen Stürmer Uwe Seeler und Gerd Müller unter keinen Umständen zusammenpassen würden. Bundestrainer Helmut Schön blieb stur: Dank Seelers großartiger Zuarbeit wurde Müller sogar WM-Torschützenkönig.

© SZ vom 07.04.2010/jbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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