Nationalelf-Neuling Bellarabi:Überraschungsgast vom Nebenplatz

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Karim Bellarabi: Überzeugte in kurzer Zeit nicht nur Roger Schmidt (Foto: dpa)

Er sollte den Verein kürzlich noch verlassen, nun ist Karim Bellarabi Bayer Leverkusens einziger deutscher Nationalspieler. Doch unter Bundestrainer Löw kommt auf ihn eine schwere Aufgabe zu.

Von Sebastian Fischer, Leverkusen

Der Spieler mit der Nummer 38 balanciert den Ball auf seinem rechten Ohr. Von dort rollt er ihn über die Stirn in den Nacken, flippt den Ball mit einer ruckartigen Kopfbewegung in die Luft, fängt ihn mit der Fußspitze auf und lässt ihn um seinen Fuß kreisen: Einmal, zweimal, zehnmal. Die Kinder, die sich im Kreis versammelt haben, um dieses Spektakel zu erleben, staunen. Und wahrscheinlich zerren sie ihre Mütter und Väter kurz darauf in den wenige Meter entfernten Fanshop von Bayer 04 Leverkusen, um auch so ein Trikot mit der Nummer 38 zu ergattern.

Der Spieler, der bei Bayer Leverkusen die 38 trägt, heißt Karim Bellarabi. Doch natürlich war es nicht er selbst, der am Samstag, etwa eine Stunde vor dem Anpfiff der Bundesligapartie gegen den SC Paderborn vor dem Leverkusener Fußballstadion Kunststücke präsentierte, es war ein dafür ausgebildeter und bezahlter Fußballjongleur. Dass er ausgerechnet das Trikot von Bellarabi trug, war sicherlich kein Zufall - Joachim Löw hatte den Spieler gerade erst in die Nationalelf berufen.

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Dabei hätte es mit Karim Bellarabi, 24, alles ziemlich anders kommen können. Vor kaum mehr als einem Jahr bolzte er noch auf einem Rasenplatz hinter der Haupttribüne in der zweiten Mannschaft von Bayer 04. Dann wurde er an Eintracht Braunschweig verliehen und er nutzte seine Chance: Bellarabi absolvierte eine starke Bundesligasaison.

Alles eine große Ehre

Doch noch vor wenigen Wochen wollte der Klub ihn trotzdem loswerden - bis Trainer Roger Schmidt intervenierte, als er ihn trainieren sah. Und jetzt ist Bellarabi das Leverkusener Aushängeschild; der einzige Spieler des Klubs, der für die deutsche Nationalmannschaft nominiert wurde.

Als sich Bellarabi am Samstagabend für etwas mehr als eine Woche aus Leverkusen in Richtung Frankfurt und Nationalmannschaft verabschiedete, scheint ihm so etwas Ähnliches auch noch einmal durch den Kopf gegangen zu sein. Bellarabi schritt als einer der letzten Spieler durch die Milchglastür, die den Kabinentrakt von der Außenwelt trennt. Er hustete ein wenig - eine harmlose Erkältung, kein Problem, versicherte er. Er sprach über die große Ehre, die es gewesen sei, von Bundestrainer Löw angerufen worden zu sein, er sagte ungefähr 27 Mal, dass er sich riesig freue. Und dann fragte er in die Runde der Journalisten: "Wer hätte das vor ein, zwei Jahren gedacht?"

Es war eigentlich keine Frage, sondern schon die Antwort, mit Ausrufezeichen versehen: Ihr hättet das ganz bestimmt nicht gedacht! In ganz Leverkusen hatte es niemand gedacht. Wahrscheinlich auch nicht Bellarabi selbst.

Das 2:2 am Samstag gegen Paderborn wird nicht als eines der herausragenden Spiele in die Leverkusener Chronik dieser Saison eingehen. Doch Bellarabi bewies seine Qualitäten trotzdem. Er ist jetzt einer der Spieler, auf die sich die Mannschaft verlassen kann. Vor dem 1:1 lief er diagonal zum Tor durchs Mittelfeld, führte den Ball dabei mit seinem Außenrist eng am Fuß und schoss aus 20 Metern mit einer Geschwindigkeit von 114 Kilometern pro Stunde aufs Tor. Lars Bender staubte ab. Und als in der 90. Minute die 1:2-Niederlage drohte, nahm er den Ball im Strafraum an, wieder mit dem rechten Außenrist, und jagte ihn mit dem Vollspann zum Ausgleich ins Netz.

Nach sieben Spieltagen in der Bundesliga hat die Mannschaft von Bayer 04 Leverkusen dem kraftraubenden, an offensivem Pressing und schnellen Kontern orientierten Spielstil von Trainer Schmidt schon ein paar Mal Tribut zollen müssen. Bellarabi jedoch scheint dieser Stil wie auf den Leib geschneidert. Schmidt erklärte jüngst, der Flügelstürmer habe "aus unserer Spielidee seine Spielidee gemacht". Nicht nur im Spiel mit, sondern auch gegen den Ball.

Mittelfeld überbesetzt

In der kommenden Woche wird Bellarabi mehr mit Ball spielen müssen als ohne, der Stil von Nationaltrainer Löw ist ein anderer als in Leverkusen. Nicht nur deshalb liegt eine schwere Aufgabe vor ihm, das offensive Mittelfeld ist in der Weltmeistermannschaft überbesetzt. Bellarabi, in Berlin als Sohn einer deutschen Mutter und eines marokkanischen Vaters geboren, aufgewachsen bei seinem ghanaischen Stiefvater in Bremen, hätte auch für Marokko oder Ghana spielen können, vor allem der marokkanische Verband hatte sich um ihn bemüht.

"Ich liebe Marokko immer noch", versicherte Bellarabi am Samstag, er blickte ernst, als wollte er in diesem Punkt auf keinen Fall missverstanden werden. Es wäre letztendlich eine Herzensangelegenheit gewesen, für Deutschland spielen zu dürfen. Für die Nachwuchsmannschaften des Deutschen Fußball-Bundes ist er bereits neunmal aufgelaufen.

Bellarabi blickte auch ernst, als er über sein Debüt im Nationaltrikot spekulieren sollte, das ja eigentlich die zwangsläufige Konsequenz der Nominierung ist. "Ich freue mich, das ist eine große Ehre für mich", sagte er dann zum gefühlt 28. Mal. Natürlich wollte er Zitate verhindern, die ihm als zu selbstbewusst ausgelegt werden könnten. Das Besondere war: Aus seinem Mund klang es trotzdem glaubwürdig.

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