Nationalelf: Joachim Löw:Legitime Neugier

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Joachim Löw lässt Lahm und Schweinsteiger zu Hause und nominiert die Jungstars Schmelzer, Hummels, Schürrle und Holtby. Das Experiment ist verständlich.

Philipp Selldorf

Der Fußballer Marco Engelhardt gibt in seinem Steckbrief an, dass die Stadien seiner Träume in Barcelona und London stehen. Zurzeit muss er sich allerdings mit den Stadien in Aue und Paderborn begnügen, wobei das Wort begnügen eine Beschönigung ist, weil seinem Klub der Abstieg droht und ihm damit die Aussicht auf Stadien in Sandhausen und Heidenheim.

Andre Schürrle und Lewis Holtby werden offenbar von Joachim Löw für das Spiel der Nationalelf gegen Schweden nominiert. (Foto: dpa)

Engelhardt gehört mittlerweile dem Profikader des Karlsruher SC an, für beide Seiten hat sich daraus noch keine Erfolgsgeschichte ergeben. Mit Karlsruhe ist er 2009 aus der Bundesliga abgestiegen, im Jahr zuvor passierte ihm dasselbe mit dem 1. FC Nürnberg. Es gab aber auch Zeiten, in denen Engelhardt tatsächlich davon träumen durfte, in Wembley oder im Nou Camp zu spielen, seine Biografie vermerkt drei amtlich anerkannte Länderspiele.

Dass diese Einsätze für Deutschlands wichtigstes Fußballteam auf den Experimenten eines unkundigen Forschers beruhten, hat vor mehr als fünf Jahren kaum jemand gewusst. Man glaubte, der Bundestrainer Jürgen Klinsmann habe gerade deshalb den Durchblick, weil er in Kalifornien lebte und dadurch wertvollen Abstand zum Bundesligaalltag besaß.

In Wahrheit war Klinsmann so weit weg, dass er fröhlich ins Blaue hinein disponierte und es für eine gute Idee hielt, Spieler wie Marco Engelhardt einzuladen. Einmal berief er auch den darüber sehr erstaunten England-Profi Moritz Volz, der sich allein durch sein Premier League-Engagement qualifiziert hatte.

Inzwischen ist sich die Bundesliga wieder selbst gut genug, die englische Bruderliga ist nicht mehr das unbedingte Leitbild. Die neuen deutschen Leitbilder finden sich jetzt in Dortmund und Mainz, was mit dem charismatischen Fußball der Borussia und des FSV 05 zu tun hat, ein bisschen aber auch mit modischen Affekten.

Dennoch muss sich niemand sorgen, weil Klinsmanns Nachfolger Joachim Löw für das Test-Länderspiel nächste Woche in Schweden lauter neue Dortmunder berufen will, namentlich Schmelzer, Götze, Großkreutz und Hummels, dazu noch die Mainzer Schürrle und Holtby fügt, die Bayern Lahm und Schweinsteiger aber zuhause lässt. Zwar hat Löw 2008 schon mal eine Handvoll Spieler nominiert, die mit ihrem Klub auf einer modischen Welle geritten sind, und seitdem wurden die Hoffenheimer Compper und Weis in der DFB-Auswahl nicht mehr wiedergesehen.

Aber Löws schwedisches Experiment steht weder unter Engelhardt- noch unter Compper- oder Kalifornien-Verdacht. Es beruht lediglich auf Zweckmäßigkeit und legitimer Neugier.

© SZ vom 11.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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