Nachfolge von Philipp Lahm:Lahm hinterlässt eine Lücke so groß wie der Chiemsee

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  • Mit dem Karriereende von Philipp Lahm geht dem FC Bayern ein Außenverteidiger vom Format Weltklasse verloren.
  • Rafinha, Joshua Kimmich und der zum Sommer verpflichtete Sebastian Rudy wären Optionen, doch gegen jeden der drei Spieler gibt es begründete Einwände.
  • Möglicherweise wäre ein Außenverteidiger von Bayer Leverkusen ein Kandidat - der könnte jedoch teuer werden.

Von Jonas Beckenkamp

Über die Schwierigkeit, sich einen Außenverteidiger zu schnitzen, hat der Schwarzwälder Schreinermeister Joachim "Jogi" Löw im Jahr 2012 hinreichend referiert. Es ging damals um einen Fußballer namens Marcel Schmelzer, der zur Gattung der Linksverteidiger gehört. Ihn findet Löw bis heute okay, aber eben nicht gut genug, um ihm den Posten bei der DFB-Elf anzuvertrauen. Beim FC Bayern München haben sie links einen gewissen David Alaba, dessen Einbürgerung Löw bestimmt befürworten würde - und rechts Philipp Lahm. Das ist eine Kombination im Premiumsegment. Das Problem ist nur: Es wird sie nicht mehr lange geben.

Denn nach dem kleinen Fußball-Erdrutsch in der vergangenen Nacht, der das angekündigte Karriereende Lahms mit sich brachte, müssen sie in München ernsthaft darüber nachdenken, wie es nun weitergehen soll auf Rechts. Wenn Lahm im Mai seinen letzten Kringel an der Linie gedreht hat, stehen sie nach aktuellem Stand ohne adäquaten Ersatz da. Die Vereinslegende Lahm, ein gebürtiger Münchner, hinterlässt nach mehr als 500 Partien im Bayern-Trikot (davon etwa fünf nicht ganz so gute) eine Lücke vom Ausmaß des Chiemsees.

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"Ich bin mir sicher, dass ich bis zum Ende der Saison meine Leistung abrufen kann, aber nicht darüber hinaus", sagte Lahm nach dem Pokalsieg gegen Wolfsburg am Dienstagabend. Die Frage ist nun: Wer wird derjenige sein, der im "Darüberhinaus" der neue Lahm wird? Ein Blick auf den aktuellen Kader verrät, dass es darin nicht gerade vor lauter Rechtsverteidigern wimmelt. Wenn man es genau nimmt, befindet sich mit Rafinha nur ein weiteres solches Exemplar auf der Gehaltsliste des FC Bayern. Den Vertrag des Brasilianers verlängerten die Vereinsbosse bereits im Dezember vergangenen Jahres vorsorglich bis 2018.

Die Krux ist: Der gute alte Rafinha wird im Herbst auch schon 32. Und das Format eines Philipp Lahm wird er höchstens dann noch erreichen, wenn er in einen Trog mit Zaubertrank purzelt wie einst Obelix. Wenn man es mit der artgerechten Haltung nicht ganz so genau nimmt, käme natürlich auch Joshua Kimmich als neuer Außenminister in Frage. Der kleine Ehrgeizling aus Rottweil ist einer, der überall kann und will und das am liebsten sofort. Der 22-Jährige kann sich das auf der rechten Seite sicherlich vorstellen, auch Trainer Carlo Ancelotti dürfte sich dagegen nicht sperren.

In der deutschen Nationalelf hat Kimmich auf dieser Position ja schon bewiesen, dass er annähernd kringeln und flanken kann wie Lahm. Er spielte eine sehr ordentliche EM 2016, weil Joachim Löw und zuvor auch Pep Guardiola ein wenig an ihm herumgeschnitzt hatten. Dennoch spricht auch einiges dagegen, einen Hochbegabten wie ihn derart zweckzuentfremden: Wie sich bereits vergangene Saison zeigte, ist Kimmich in seinem Herzen ein Mittelfeldspieler. In ihm steckt dank seiner weiten Wege, seiner Torgefahr und seines Riechers mehr Michael Ballack als Philipp Lahm.

Kimmich mag ein "süßer, süßer Junge" (Guardiola) sein, aber vielleicht ist er insbesondere durch das anstehende Karriereende von Xabi Alonso eher einer für die Kommandozentrale als für den Außenposten. In den wichtigen Spielen gegen Leverkusen oder Dortmund setzte auch Ancelotti auf den deutschen Nationalspieler - und zwar in der Mitte. "Ich erkenne jetzt besser die Situationen, in denen ich mit vorne reingehen kann", sagte Kimmich kürzlich. Wie ein zukünftiger Abwehrspieler klang er dabei nicht.

Bliebe als weitere Möglichkeit für kommende Jahre noch ein gewisser Sebastian Rudy, den die Bayern von vielen unbemerkt im Paket mit Innenverteidiger Niklas Süle aus Hoffenheim weglotsen. Im Sommer bekommen die Münchner mit Rudy eine Art Allzweckwaffe, der jedoch zur absoluten Klasse etwas die Zuspitzung fehlt. In Hoffenheim fungiert der 26-Jährige als technikaffiner Sechser, er beherrscht das Durchdachte ebenso wie das Läuferische - und er kann zur Not auch Rechtsverteidiger, wie er in diversen Länderspielen schon vorführte. Als endgültige Lösung für das Post-Lahm-Zeitalter sehen die Bayern ihn aber genauso wenig wie der Bundestrainer.

Wahrscheinlicher ist also, dass Lahms plötzliche Abschiedsankündigung in München zu personellen Überlegungen führt - und die Sportbild liefert dazu einen ersten Namen: Gespräche über eine Verpflichtung von Leverkusens Benjamin Henrichs sollen bereits in Gang gekommen sein. Der 19-Jährige wäre von all den genannten Kandidaten wohl tatsächlich die plausibelste Variante für die Zukunft: Er gilt als vielseitiger und flinker Mann mit Perspektive, der in jungen Jahren schon regelmäßig Champions League spielt.

Zudem besteht über den früheren Leverkusener und heutigen Münchner Kaderplaner Michael Reschke ein guter Draht an den Rhein. Weil die Bayern sich aber eigentlich erst 2018 an Henrichs (ein Länderspiel gegen San Marino) heranpirschen wollten, ist jetzt Dringlichkeit geboten. Sein Kontrakt bei Bayer geht bis 2020 - es dürfte also ein hübsches Sümmchen fällig werden, falls dieses Geschäft zustande kommt.

Immerhin käme man so ums Schnitzen herum.

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