Nach dem Tod von Robert Enke:Länderspiel 825 fällt aus der Reihe

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Schwierige Rückkehr in den Alltag: Die deutsche Nationalmannschaft zwischen Trauerfeier und der Partie gegen die Elfenbeinküste.

Philipp Selldorf

In den vergangenen Tagen haben die meisten Nationalspieler das getan, was ihnen am ehesten dazu hat verhelfen zu können, den Heimweg in die Normalität zu finden: Sie sind zu ihren Klubs gefahren und haben mit ihren Teamkollegen trainiert.

Wortlos im Stadion: Die Nationalspieler mit Teammanager Oliver Bierhoff (ganz links) und Bundestrainer Joachim Löw. (Foto: Foto: dpa)

Schon am Donnerstag, einen Tag, nachdem sie in der akuten Trauer über den Tod von Robert Enke aus dem Hotel des DFB in Bonn abgereist waren, haben Spieler wie Lahm, Schweinsteiger und Gomez, Neuer, Westermann und Podolski in ihren Vereinen die Arbeit aufgenommen. Niemand hat das von ihnen verlangt, Bundestrainer Joachim Löw hatte den Profis freigegeben, und auch die Klubtrainer hatten keine Ansprüche gestellt.

Aber die Spieler haben ihre eigene Wahl getroffen, wie sie die Stunden bis zum Abschied am Sonntag füllen wollten. Nur Bremens Verteidiger Per Mertesacker, der mit Enke bei Hannover 96 zusammengespielt hatte, verzichtete auf den Sport.

"Hier kann keiner lachen"

"Wir müssen auch das Heute gestalten", hatte Theo Zwanziger am Mittwoch erklärt, als er aus einigen grundsätzlichen Gedanken über den Todesfall des Torwarts zur Mitteilung überleitete, dass der DFB das Testspiel gegen Chile nicht austragen werde. Die Frage nach den Notwendigkeiten - der Gestaltung des Heutes und des Morgens - ergibt sich jetzt aufs Neue, da unvermeidlich der Gang in den Alltag einsetzt.

Wieder steht ein Länderspiel bevor, am Mittwochabend in Gelsenkirchen gegen den WM-Teilnehmer Elfenbeinküste. Unter gewöhnlichen Umständen wäre diese Premiere - noch nie hat eine DFB-Auswahl gegen ein Team aus dem westafrikanischen Land gespielt - interessant und reizvoll. Unter den herrschenden Bedingungen aber gerät die Begegnung für die Trainer und Fußballer zu einem Balanceakt zwischen persönlichem Empfinden und öffentlichem Anspruch - dieses 825. Länderspiel in der Geschichte des DFB fällt völlig aus der Reihe.

Zwanziger sagte am Sonntag, dass die Bilder der Trauer und des Erlebten sicher noch eine Weile vor aller Augen stehen würden, aber er sagte auch: "Diese Bilder verändern sich. Sie werden mal stärker und sie verblassen. Die Zeit wird vergehen. Das Leben wird wieder seinen Anfang nehmen."

Am Sonntag war daran für die Nationalspieler unter dem Eindruck der Trauerfeier in Hannover aber noch nicht zu denken. Kurz nach 14 Uhr traf die Mannschaft in ihrem Hotel in Düsseldorf ein, nur Miroslav Klose, dessen Kinder an Schweinegrippe erkrankt waren, fehlte aus gegebenem Anlass.

In der Reisegruppe herrschte, wie Beobachter berichteten, "eine sehr demoralisierte Atmosphäre", nicht viel anders als am vergangenen Dienstag und Mittwoch. Jeder sei mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, und nach Zerstreuung und den üblichen Späßen war niemandem zumute: "Hier kann keiner lachen", hieß es, "die Mannschaft hat wortlos das Stadion in Hannover verlassen, sie hat wortlos das Flugzeug bestiegen, und sie hat wortlos das Hotel betreten."

Der Bundestrainer schickte die Spieler dann in den Fitnessraum des Hotels. Am Montagmorgen um halb elf findet das erste gemeinsame Training im Düsseldorfer Stadion statt, um halb eins gibt es die erste Pressekonferenz. Das Programm der Öffentlichkeitsarbeit wurde aufs Nötigste reduziert, Interviews wurden vom Plan gestrichen.

Den knapp zwei Dutzend Reportern vor dem Hotel in Düsseldorf gab Teammanager Oliver Bierhoff ein paar Antworten. "Wir müssen wieder das Lächeln und die Hoffnung finden", sagte er, "wir merken aber schon, dass noch eine große Betroffenheit da ist.'' In der großen Anteilnahme - auch durch ehemalige Nationalspieler - sieht er ein "Zeichen für den Zusammenhalt in unserem Team und für die Freundschaft unter den Spielern", das hat ihn und Löw erfreut, und er glaubt, dass den Spielern die Rückkehr auf den Platz guttun werde. "Der Anpfiff des Spiels am Mittwoch soll für uns alle auch ein Schritt nach vorne sein", sagt er.

Aber zugleich wird man auch ein weiteres Mal zurückblicken, weil natürlich mit dem Anpfiff nicht alles vorbei ist, was die vergangenen Tage bestimmt hat. Die Fahnen am Stadion in Gelsenkirchen werden auf Halbmast wehen, die Spieler werden Trauerflor tragen, und auf dem Videowürfel wird in Anwesenheit der beiden Mannschaften ein Film über Robert Enke gezeigt werden. Es wird eine - noch nicht benannte - Geste der Mannschaft geben, die das Gedenken ausdrücken soll, und es wird an diesem Abend keine Nummer eins im deutschen Tor stehen. Manuel Neuer, der in diesem Stadion zu Hause ist, wird die Nummer 12 tragen, und nach der Pause soll ihn, so wird es zumindest überlegt, Tim Wiese ablösen.

Durch die Absage der Partie gegen Chile ist der Bremer Torwart um seinen ersten Einsatz in der Startelf des Nationalteams gebracht worden. Aber ob ihn das wirklich enttäuscht hat? "Über Sport", sagt ein Beteiligter, "hat hier seit Dienstag keiner mehr geredet."

Ein paar Tage haben diese Themen keine Rolle gespielt: Wer wird bei der WM im Tor stehen? Wer darf mit auf die Reise? Die Betriebsnachrichten hatten Sendepause. Das lässt sich auch als Trost empfinden.

Im Video: Zenhtausende Menschen nehmen Abschied von Robert Enke. DFB-Präsident Zwanziger: Fußball ist nicht alles.

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© SZ vom 15. November 2009/segi - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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