Mittelstürmer Davie Selke:Die Geschichte einer Bekehrung

Lesezeit: 3 min

"In Köln wird jeder Spieler besser", sagt Stürmer Davie Selke. Bei ihm hat das eine Weile gedauert, aber zuletzt durfte er zwei Derby-Tore feiern. (Foto: Horst Mauelshagen/Imago/Pepphoto)

Davie Selke galt nicht nur lange als verhinderter Torjäger, sondern er hat bei Gegnern auch den Ruf einer echten Nervensäge. Seit seinem Wechsel nach Köln durchlebt der Stürmer eine Wandlung - sportlich und menschlich.

Von Philipp Selldorf, Köln

Die Erfolgsmeldungen beim 1. FC Köln scheinen in diesen Tagen gar kein Ende nehmen zu wollen. Unvermittelt trat der Klub am Mittwoch mit der Nachricht hervor, die Zusammenarbeit mit Trainer Steffen Baumgart mindestens bis 2025 fortzusetzen, die Kölner Methodik ähnelt bei diesem Thema mittlerweile dem Modell des SC Freiburg: Irgendwann im Frühling unterschreibt der Trainer den Vertrag für ein weiteres Dienstjahr und braucht nicht viele Worte, um die Entscheidung zu begründen. Ihm mache es "jeden Tag Spaß, für den FC und mit meinem Team zu arbeiten", sagte Baumgart. Da war es keine Überraschung, dass am Donnerstag auch der bislang vom FC Genua geliehene Verteidiger Jeff Chabot, 25, sein dauerhaftes Bleiben bekanntmachte: Weil er solche Verhältnisse wie beim FC "noch nicht erlebt" habe.

Wie Christian Streich in Freiburg wird auch Steffen Baumgart in Köln als Vater des Erfolgs gesehen. Das ist nicht verkehrt und dennoch zu viel der Ehre. Darauf hat - ohne die Absicht, den Mythos Baumgart in Frage stellen zu wollen - der Angreifer Davie Selke, 28, in einem Interview mit Sport Bild hingewiesen: Er habe "noch keinen Verein erlebt, bei dem so akribisch gearbeitet wird und bei dem es im Trainerstab so viele Experten gibt, deren Stärken dann auch noch zu hundert Prozent genutzt werden, wie beim FC".

SZ PlusFC Bayern
:Hauptsache, irgendwie ins Ziel kommen

Der FC Bayern sichert in Bremen durch ein 2:1 die Tabellenführung - und blendet nur zu gerne aus, wie viel Ballast er in der wichtigsten Saisonphase mit sich herumschleppt.

Von Thomas Hürner

Dies ist zwar ein verdammt langer, aber auch ein sehr bemerkenswerter Satz, und zwar nicht deshalb, weil Worte wie Akribie und Effizienz in der Stadt der einstürzenden U-Bahnen und stillstehenden Baustellen einen widersprüchlichen Klang haben. Sondern weil Selke aus seiner Erkenntnis zu einer aufregenden Schlussfolgerung gelangt: "In Köln wird jeder Spieler besser", sagt er. "Das passiert bei dem intensiven, guten Training zwangsläufig." Von individuellen Analysen und Schulungen ist dann noch die Rede, vom Yoga-Angebot, von den Verdiensten des Team-Psychologen Moritz Anderten und vom Einfluss des Neuro-Trainers Niko Romm.

Selke lässt sich von Schmähungen nicht aus der Ruhe bringen, selbst wenn ihm Bierbecher gewidmet werden

Wenn Selke sagt, beim FC werde jeder Spieler besser, dann könnte er Jeff Chabot im Sinn haben, der sich von einem Rumpelverteidiger zu einer souveränen Abwehrinstanz entwickelt hat. In erster Linie meint er aber sich selbst. Als der Mittelstürmer im Januar zum 1. FC Köln wechselte, haben die meisten Anhänger höchst skeptisch auf den Transfer reagiert. Selke stand nicht nur im Ruf eines verhinderten Torjägers, sondern auch im Rang einer echten Nervensäge. Die Neigung, ausdrucksstark an Fouls zu leiden, die es nie gegeben hatte, prägte sein Ansehen. Dieselben Kölner Fachleute, die im Januar noch geschimpft hatten, versichern nun jedoch, Selke habe beim FC eine Bekehrung erfahren wie einst die frühen Christen in Rom. Sowohl als Mittelstürmer wie als Mensch.

Seine Gegenspieler und die Fans der gegnerische Teams sehen das allerdings nach wie vor anders, weshalb Selke beim hitzigen Derby in Leverkusen am vorigen Wochenende - der FC siegte 2:1 - Angriffen und Schmähungen ausgesetzt war. Die Attacken vom Leverkusener Vorarbeiter Robert Andrich verdarben ihm aber ebenso wenig den Abend wie die Bierbecher und Beleidigungen, die ihm die Bayer-Fans nach der Auswechslung auf dem langen Weg zur Kölner Bank widmeten. In Wahrheit habe er die Anfeindungen genossen, teilte er später mit. Seine beiden Tore hatten dem FC drei Punkte im Nachbarschaftsduell gebracht und ihm selbst eine gute Portion Genugtuung. Dass die Leute in der FC-Kurve seinen Namen riefen, bedeute ihm "viel - ich habe hier das gefunden, was ich seit Jahren gesucht habe: Einen emotionalen Klub, zu dessen Spielweise ich passe".

Beide Tore könnte Selke in seine Bewerbungsmappe aufnehmen, sie gaben zu erkennen, warum er in jungen Jahren beim SV Werder ausdrücklich als Hoffnung für die Nationalmannschaft gehandelt wurde. Bei Hertha BSC hingegen galt er zuletzt als sportlicher Sanierungsfall. Die Berliner schoben ihn regelrecht ab nach Köln und gaben ihm für das letzte halbe Vertragsjahr noch eine stattliche Abfindung mit, angeblich 900 000 Euro. In Köln verdient er bedeutend weniger als zuvor, dafür hat er aber nun den Status einer erwünschten Person und einen Vertrag bis 2024. Vor diesem Hintergrund werden sich beim Wiedersehen mit der Hertha am Freitagabend in Köln-Müngersdorf automatisch die Blicke auf ihn richten. Ob es ein besonderes Spiel für ihn sei, wurde Davie Selke am Schauplatz Leverkusen gefragt. Sein Blick sagte 1000 Worte.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusFC Bayern
:Kahn macht Boss-Dinge

Er sendet Grüße vom Fahrersitz und gibt demonstrative Interviews: Oliver Kahn kämpft um seine Stellung als Vorstandsvorsitzender des FC Bayern. Nun nutzt er das Potenzial der Debatte um einen möglichen Thomas-Müller-Abschied.

Von Christof Kneer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: