Formel 1:Vielleicht kommt Mick Schumacher zu spät

Lesezeit: 5 min

Sein Trainingsstart am Nürburgring fiel aus: Mick Schumacher. (Foto: AFP)

Sein Formel-1-Debüt dürfte bald anstehen, doch die Zukunft des Sports ist ungewiss. Wie lang tolerieren die Menschen in Zeiten von Fridays for Future noch zum Spaß kreiselnde Hybrid-Motoren?

Von Philipp Schneider, Nürburg

Auf den Fahrer, sicher. Aber worauf achtet man genau? Zumal in diesem Jahr der Maske, in der sich die maßgeblichen Anzeichen menschlicher Regungen hinter drei Lagen Tuch verbergen. Ist er konzentriert, oder wird er nun doch nervös? Und falls ja, wäre das überhaupt ein positives oder negatives Indiz für seine Qualifikation als Rennfahrer?

Elf Uhr eins. Ursprünglich sollte Mick Schumacher seit einer Minute in dem Rennwagen sitzen, der im nächsten Jahr seiner sein könnte. Nur hängt jetzt vor seiner Garage der Nebel so tief, dass er die Pfützen auf dem Asphalt berührt. Eifelwetter. Aus der zweiten Etage des Pressezentrums lässt sich gerade so die Kuppe des nächsten Hügels erkennen. In Anbetracht der Vielzahl von Eifelhügeln, die es der Legende nach geben soll, ist das ein schlechtes Zeichen. Die Formel 1 ist ein Sport voller strittiger Regeln, aber an einer zweifelt niemand: Wenn die Sicht so schlecht ist, dass der Rettungshelikopter nicht zum Krankenhaus fliegen kann, darf kein Rennwagen auf die Piste. Das gilt auch für das Auto des Sohns des Rekordweltmeisters.

Seit seiner Kindheit hat Mick Schumacher, 21, auf diesen Moment gewartet, auf die paar Minuten kommt es nicht mehr an. Er steht in der Garage, hat seine Fäuste in die Taschen seiner Daunenjacke gestopft und redet unaufhörlich auf einen seiner Mechaniker ein. Wobei: Es ist ja noch nicht sein Mechaniker. Es ist einer von Alfa Romeo. Der von Antonio Giovinazzi, einem 26 Jahre alten Rennfahrer aus Martina Franca in Italien. Aber man vergisst das leicht. Weil sie Giovinazzis Namensschild von der Decke geholt haben. Es ist der 9. Oktober 2020 und oberhalb von Giovinazzis Auto ist der Name zu lesen, der dort auch im März beim Auftakt der nächsten Saison stehen dürfte: "Mick Schumacher".

Worauf also achten beim ersten Freitagstraining eines Fahrers in der Formel 1? Puh, sagt Andreas Seidl um kurz vor elf, der bayerische Teamchef von McLaren. Bei diesen Wetterbedingungen werde es eine "Riesenchallenge" für Schumacher. Die Rundenzeiten beim ersten Auftritt eines jungen Fahrers seien ohnehin nicht von Belang. Seidl sagt: "Es ist erst mal wichtig, dass er nichts kaputt macht."

Formel 1
:Eigenartig, alt - und für viele die schönste Rennstrecke

Der berühmte Nürburgring geriet zunehmend in Vergessenheit, doch durch Corona wurde die Rennstrecke für die Formel 1 wieder interessant. Die Rückkehr nach sieben Jahren ist für den deutschen Motorsport ein Segen.

Von Philipp Schneider

Nun, kaputt machte er wahrlich nichts. Seine Riesenchallenge fiel aus. Weil sie aus Sicht der Rennleitung zu riesig gewesen wäre. Unaufhörlich fiel der Regen nieder, Schumacher wartete und wartete, nach 60 Minuten wurde die Trainingseinheit abgesagt. "Bislang war es jedes Mal, wenn ich ein neues Auto getestet habe, nass. Immer!", sagte Schumacher. Man ahnte: Er wäre gerne rausgefahren zu den Pfützen. Andererseits: Er hat seit seiner Kindheit gewartet, irgendwann kreist die Formel 1 auch mal wieder in der Sonne. Auf die paar Wochen kommt es auch nicht mehr an.

Sportgeschichte, Wachablöse, Nürburgring - ein bewegender Moment wäre es gewesen

Aber ein bisschen schade ist es schon! Der Ausritt Mick Schumachers an diesem Wochenende in der Eifel wäre ja eine auf sehr vielen Ebenen im Wortsinn unglaubliche Geschichte gewesen. Ein klassisches Rührstück, in dem alles mögliche zusammengerührt worden wäre: Der Nürburgring, den seit sieben Jahren als Veranstaltungsort niemand mehr auf dem Zettel hatte, und der es nur in den Kalender schaffte, weil im Winter ein Virus auf einem Fischmarkt in Wuhan zu einer zähen Welttournee antrat. Vermischt mit den Gedanken an Vater Michael Schumacher, der ab Sonntag seinen Rekord von 91 Rennsiegen wohl mit Lewis Hamilton wird teilen müssen - ein Rekord, von dem man glaubte, die Menschheit breche auf in ferne Galaxien, ehe ihn jemand egalisiere.

An diesem Wochenende also wollten die Managements von Fahrer und Formel 1 die Gelegenheit nutzen, Mick Schumacher erstmals in seiner künftigen Rolle als Formel-1-Fahrer aus der Garage rollen zu lassen. Am Nürburgring, wo in den Zwanzigerjahren Arbeitslose die "Erste deutsche Gebirgs-, Renn- und Prüfstrecke" in die hügeligen Wälder pressten. Und wo im historischen Fahrerlager noch immer ein Satz aus großen, schwarzen Lettern zu lesen ist: "Jeder lobt, was der Nürburgring erprobt." Er bezieht sich auf die Ruppigkeit der legendären Nordschleife. Mit ihren Steilkurven, Kuppen und Steigungen bis 18 Prozent lässt sie Autos schneller altern als jede andere Piste. Mick Schumacher wäre gerne am Nürburgring erprobt worden. Der Plan verschwamm im wabernden Nebel.

Menschen erinnern sich gerne an Anfänge. Um zu verstehen, warum es so kam, wie es kam. Und um Theorien zu entwickeln, wie es vielleicht mal werden wird. Ehe Vater Schumacher im Jahr 1991 die Bühne der Formel 1 betrat, spielte diese in Deutschland keine Rolle. Nun drängt 29 Jahre später der Sohn auf dieselbe Bühne, und man fragt sich: Wie lang spielt sie noch eine Rolle? Wie lang tolerieren die Menschen in Zeiten von Fridays for Future noch zum Gaudi kreiselnde Hybrid-Motoren? Kommt Mick Schumacher zu spät?

1991, also zwölf Jahre vor der Geburt Greta Thunbergs, gab es in Deutschland kein Team, keinen Hersteller - und auch keinen Fahrer, der es vermochte, die Menschen am Sonntag vor den Fernseher zu saugen. Es gab nur Michael Bartels aus Plettenberg im Sauerland, den Sohn des als "Bergkönig" bekannten Rennfahrers Willi Bartels. Bartels junior wurde in erster Linie bekannt als zeitweiliger Freund von Steffi Graf. Und in zweiter Linie als Pilot, der viermal an der Qualifikation für ein Formel-1-Rennen scheiterte.

Vermarkter Bernie Ecclestone, 89, damals schon genauso schlau und klein wie heute, fahndete mit Leidenschaft nach einem Helden aus dem Land der Autokonzerne. Sein Spruch ging um die Welt: "Wir brauchen einen schnellen Deutschen, einen Schwarzen und eine Frau." Doch erst der Zufall und eine dreiste Lüge halfen Ecclestone. Zufall, Lüge und viel Reizgas.

Schumacher übernahm recht plötzlich den Platz im Jordan von Bertrand Gachot. Der hatte wenige Tage vor dem Rennen in Spa-Francorchamps einen Termin in London. Am Hyde Park geriet er in die Rush Hour. Ein Taxifahrer drängte sich vor Gachot in die Spur und provozierte mit unnötigen Bremsmanövern. Gachot wurde wütend, rammte die Stoßstange des Autos vor ihm. Türen auf, Fahrer raus. Und dann ging's rund. Der Taxifahrer packte Gachot an einer Krawatte, der Rennfahrer sprühte mit Reizgas. Dafür ging Gachot kurz ins Gefängnis. Aber lang genug für Schumacher.

Eddie Jordan suchte nun einen Fahrer, er fragte Schumachers Manager Willi Weber, ob sein Klient die Strecke in Spa gut kenne. Aber sicher, log Weber. Quasi blind könne er die legendär anspruchsvolle Strecke in den Ardennen befahren. Er sei doch ganz in der Nähe aufgewachsen: in Kerpen. Dabei wusste der damals 22 Jahre alte Schumacher nicht mal genau, wie er von seinem Heimatort zum Großen Preis von Belgien kommen sollte. Jordan fiel rein auf Webers Finte, ließ den Neuling ins Auto - und musste ihn nach einem Rennen schon wieder weiterreichen. Ecclestone wollte seinen ersten schnellen Deutschen nicht bei Jordan rumpeln sehen. Er gab keine Ruhe, ehe Schumacher bei Benetton untergekommen war. Mit diesem Team holte er seine ersten beiden Titel.

Der Zufall, der Mick Schumacher am Freitag fast zu seinem Trainingsdebüt mitverhalf, ist sein Erbe. Aber seit er kürzlich die Gesamtwertung in der Formel 2 übernommen hat, der Vorschule der Königsklasse, kann er seinen Kritikern diese WM-Punkte vorlegen, sollten sie mäkeln, er steige ausschließlich auf, weil die Formel 1 den nächsten Schumacher zum Überleben benötigt. Auch wenn da sicher etwas dran ist. Honda hat gerade erst seinen Ausstieg als Motorenhersteller zum Jahresende 2021 angekündigt. Die Japaner wollen Ressourcen bündeln, um sich auf alternative Antriebe zu konzentrieren. Ferrari, Mercedes und Renault sind nun die letzten verbliebenen Hersteller. Der Motorsport ist nichts weiter als ein Werbeplakat der Automobilindustrie. Was also passiert mit der Formel 1, sollte es sich nicht mehr lohnen, für Hybrid-Antriebe zu werben?

So weit muss Mick Schumacher vielleicht noch nicht denken. Er wolle erst einmal die Meisterschaft in der Formel 2 gewinnen, sein Ziel bleibe aber die Formel 1, sagte er auf der Pressekonferenz. Die wurde wegen des riesigen internationalen Interesses an seiner Person nicht etwa abgesagt, obwohl seine Testfahrt ja ausgefallen war. Oh nein. Dafür erzeugt der Name Schumacher eine viel zu große Aufregung bei den Menschen. Das liegt nicht allein an dessen Rekorden, von denen bald kaum einer mehr übrig sein dürfte. Sondern auch an seiner Haltung zum Leistungssport.

Ob er es bedauere, dass Hamilton bald häufiger gesiegt haben könnte als sein Vater? Gar nicht, antwortet Mick Schumacher. "Wie schon mein Vater gesagt hat: Rekorde sind da, um gebrochen zu werden."

© SZ vom 10.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Mick Schumacher
:Der Plan geht perfekt auf

Fährt er wirklich bald in der Formel 1? Mick Schumacher testet den Wagen, der 2021 seiner sein könnte - und redet schon genauso wie sein berühmter Vater.

Von Philipp Schneider

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: